Schleswig

Wissenswertes

Drei historische Epochen prägten die Geschichte und das Stadtbild von Schleswig: die mittelalterliche Wikingerzeit mit der Siedlung Haithabu (heute Freilichtmuseum), die Barockzeit mit Schloss Gottorf (heute Landesmuseum für Kunst- und Kulturgeschichte) und die deutsch-dänischen Auseinandersetzungen des 19. Jahrhunderts (weniger im Stadtbild sichtbar als in patriotischen Bildern, Gedichten und Gesängen wie dem Schleswig-Holstein-Lied).

Schon im Frühmittelalter war Haithabu ein wichtiger Umschlagplatz für den europäischen Fernhandel, insbesondere zwischen dem Baltikum und Westeuropa. Die geographische Lage von Haithabu / Schleswig war für den Handelsverkehr, der bis zur Industrialisierung vor allem über den Wasserweg lief, außerordentlich günstig. Die Schlei, ein schiffbarer Meeresarm der Ostsee, reicht weit ins Binnenland hinein. Von der Schleispitze war lediglich eine 16 km breite Landbrücke zu überwinden, um über die Treene und die Eider zur Nordsee zu gelangen. Zudem verlief in der Nähe der Ochsenweg, eine der wichtigsten Nord-Süd-Verbindungen. Beste Voraussetzungen also für die Entwicklung Schleswigs zu einer großen und mächtigen Handelsstadt.

Dass Schleswig dennoch immer ein wenig provinziell blieb, hat mit den politischen Verhältnissen einerseits und mit den geographischen Bedingungen andererseits zu tun. Schon im 13. Jahrhundert war die Schlei für die damaligen Handelsschiffe stellenweise nicht mehr tief genug. In der großen Zeit der Hanse konnten größere Schiffe die Schlei nicht mehr befahren. Schleswig profitierte zwar weiterhin von seiner günstigen Lage zwischen Nord- und Ostsee, verlor aber gegenüber Lübeck und Flensburg an wirtschaftlicher Bedeutung.

Auch die Gründung des Bistums Schleswig durch Otto I. im Jahr 947 und die Anbindung an das Heilige Römische Reich führte nur bedingt zur Weiterentwicklung der Stadt. Sichtbarer Ausdruck der kirchenpolitischen Bedeutung Schleswigs ist der aus dem 12. Jahrhundert stammende Dom St. Petri mit seinem großen neugotischen Westturm. Dieser Turm, viel zu hoch im Verhältnis zu den Proportionen des Domes, war 1888 eine Schenkung Kaiser Wilhelms II. an die preußische Provinz Schleswig-Holstein. Von der ursprünglichen romanischen Basilika sind trotz vielfacher Überbauungen seit dem Mittelalter noch Reste erhalten wie zum Beispiel das romanische Petri-Portal, durch das man den Dom betritt.

Seine Glanzzeit erlebte Schleswig im 16. und 17. Jahrhundert, der Zeit des Barock. Seit 1544 war die Stadt Residenz der Herzöge von Schleswig-Holstein-Gottorf. Deren Territorium bestand aus verschiedenen separaten, über die Herzogtümer Schleswig und Holstein verstreuten Gebieten. Das heutige Schleswig-Holstein war damals kein einheitliches Herrschaftsgebiet, sondern ein bunter Flickenteppich aus königlich-dänischen, herzoglichen und gemeinsam regierten Anteilen, noch dazu aufgeteilt unter den verschiedenen herzoglichen Linien. Auch die Gottorfer Anteile waren in mehrere räumlich voneinander getrennt liegende Territorien zersplittert, die sich von Tondern über Nordfriesland, Eiderstedt und Ostholstein bis in den Raum östlich von Hamburg verteilten. Alles andere also als ein wirtschaftlich mächtiges Flächenland. Trotzdem wurde das kleine Herzogtum Schleswig-Holstein-Gottorf im 17. Jahrhundert zu einem politischen und vor allem kulturellen Machtfaktor. Insbesondere unter Herzog Friedrich III. (reg. 1616-1659) erlebte Schleswig eine Blütezeit. Unter seiner Herrschaft entwickelte sich Schloss Gottorf zu einem der bedeutendsten Fürstenhöfe der Barockzeit, berühmt für seine Kunstkammer, seine Bibliothek, seine barocken Gartenanlagen und nicht zuletzt für ein mathematisch-astronomisches Wunderwerk seiner Zeit, den Gottorfer Riesenglobus. So viel Kunst und Kultur lockte natürlich nicht nur hochqualifizierte Baumeister und Handwerker, Gärtner und Köche, Hofbeamte und Geistliche in die Residenz, sondern auch Künstler, Gelehrte und Dichter. Untrennbar verbunden mit der Blütezeit Schleswigs unter Friedrich III. sind die Namen des Mathematikers und Universalgelehrten Adam Olearius und des Barockdichters Paul Fleming. Beide nahmen an einer mehrjährigen Gesandtschaft teil, die Friedrich III. ab 1633 nach Russland und Persien schickte mit dem Auftrag, einen Landweg für den Orienthandel zu suchen. Das Herzogtum war nicht reich, aber Wissenschaft, Kunst und Kultur kosten Geld. Am meisten Geld war damals im Handel mit Gewürzen und Seide aus Ostindien zu verdienen. Deshalb plante der Herzog, in Konkurrenz zur Niederländisch-Ostindischen Kompanie eine Anbindung an die Seidenstraße zu finden, Warenströme aus Südostasien über Persien, Russland und die Ostsee nach Schleswig zu leiten, von hier unter Umgehung der dänischen Zollschranken über Treene und Eider zum neu gegründeten Friedrichstadt und über die Nordsee nach Westeuropa. Die Idee war kühn, aber unrealistisch. Was von ihr blieb, ist vornehmlich die Beschreibung der „persianischen Reise“ aus der Feder des Adam Olearius, eine der wichtigsten Quellen zur Geographie und Kultur Persiens und insbesondere Russlands.

Ende des 17. Jahrhunderts begann der Umbau von Schloss Gottorf zu seiner heutigen Form, einem repräsentativen Barockbau. Politisch banden die Gottorfer Herzöge sich nun enger an das Königreich Schweden, während sich ihr Verhältnis zu Dänemark zunehmend verschlechterte. Das erwies sich als fatal. Im Großen Nordischen Krieg der Jahre 1700 bis 1721 wurde Gottorf zwischen den Großmächten Schweden, Dänemark und Russland zerrieben. Die aufstrebende Großmacht Russland wollte endlich Schwedens Vorherrschaft im Ostseeraum brechen und freien Zugang zum Atlantik gewinnen. Der Krieg endete mit einer Niederlage Schwedens. Die Verbündeten Russland und Dänemark verzeichneten erfreuliche Gebietsgewinne. Das kleine Gottorfer Herzogtum, das auf der Seite Schwedens gestanden hatte, sank in politische Bedeutungslosigkeit. Dem vormaligen Herzog von Schleswig-Holstein-Gottorf blieben nur seine holsteinischen Landesteile und der Rückzug nach Kiel. Das gesamte Herzogtum Schleswig war nun Teil des Königreichs Dänemark. Für Schloss Gottorf bedeutete das einen enormen Verlust. Ein großer Teil der Kunstschätze, die Bibliothek und die wissenschaftlichen Sammlungen der Kunstkammer wurden nach Kopenhagen verbracht. Den weltberühmten Gottorfer Globus reklamierte Peter der Große für seine neue Kunstkammer im gerade erst gegründeten St. Petersburg. Gottorfs Glanzzeit war vorbei.

Aber auch im 18. Jahrhundert entwickelte sich die Stadt langsam weiter. Schloss Gottorf war nun Verwaltungssitz des dänischen Statthalters. Der Hof war zwar wesentlich kleiner als früher, aber der Hofstaat, Verwaltungsbeamte und der dänisch-schleswigsche Adel blieben. In der höfischen Umgebung lebten weiterhin Künstler und Schriftsteller wie der dänische Dichter Adolph Wilhelm Schack von Staffeldt. Ludolf Wienbarg starb hier, Hermann Heiberg wurde hier geboren.

Eine treffende Beschreibung Schleswigs verdanken wir dem Reiseschriftsteller Carl Gottlob Küttner, der die Stadt 1798 auf dem Weg nach Skandinavien besuchte: Schleswig sei „nichts weniger als eine stark bevölkerte, ja nicht einmal eine große Stadt, weil sie gar keine Tiefe hat, und in vielen Theilen bloß aus einer einzigen Gasse besteht. Sie zieht sich um den ganzen obern Theil des langen Meerbusens herum, den man Schley nennt, und macht von der Wasserseite her, oder auch, wenn man sie von einer Anhöhe besieht, eine große Figur, da denn alle bessern und ansehnlichere Häuser in die Augen fallen. Diese letztern gehören mehrentheils dem Adel, der hier sehr zahlreich ist, und der im Winter aus allen Theilen des Herzogthums und von den Inseln hierher kommt. Da nun der Ort auch der Sitz des Statthalters ist, und einen Hof hat, so können Sie ihn wirklich als eine Haupt- und Residenzstadt betrachten. Sie hat aber fast keinen Handel, und ihr großer und sicherer Hafen nutzt ihr nichts, weil er an der Mündung gegen das Meer zu keine Tiefe hat, auch andere Ursachen da sind, warum Flensburg die Hauptstadt für den Handel des Landes geworden ist.“ #1

Das 19. Jahrhundert brachte wiederum eine bewegte Zeit. In vielen Regionen Europas rumorte es, insbesondere dort, wo Menschen verschiedener Sprachen dicht beieinander lebten. Der seit der Romantik aufgekommene Gedanke eines Nationalstaates als „Vaterland“ für alle Menschen gleicher Sprache und Kultur wurde mehr und mehr zur politischen Forderung. Auch im Herzogtum Schleswig, das über Jahrhunderte auf engste mit Dänemark verflochten war, wurde der Ruf nach Unabhängigkeit laut, nach Vereinigung mit dem Herzogtum Holstein und Anschluss an den Deutschen Bund. Auf dem Schleswiger Sängerfest 1844 sangen Studenten, Turner und Soldaten in patriotischer Begeisterung „Schleswig-Holstein meerumschlungen, deutscher Sitte hohe Wacht!“ Das Lied war eigens für das Fest von Matthäus Friedrich Chemnitz getextet worden, der aus dem älteren Text „Schleswig, Holstein, schöne Lande …“ kurzerhand „Schleswig-Holstein“ machte.

Die antidänische Stimmung eskalierte in blutigen Kriegen. 1848 begannen mit der Schleswig-Holsteinischen Erhebung die kriegerischen Auseinandersetzungen, in die später auch Preußen und Österreich involviert waren. Sie endeten 1867 damit, dass die Herzogtümer Schleswig und Holstein als „Provinz Schleswig-Holstein“ Preußen einverleibt wurden – nicht gerade das, was die Freiheits- und Unabhängigkeitskämpfer sich erträumt hatten. Der preußische Adler war letzten Endes nicht besser als der dänische Löwe. Aber die Schlachten bei den Düppeler Schanzen, bei Missunde und bei Idstedt haben sich ins historische Gedächtnis Dänemarks, Schleswigs und Preußens eingeprägt. Der Berliner Journalist Theodor Fontane bereiste die Kriegsschauplätze 1864, kaum dass sich der Pulverdampf verzogen hatte. Patriotisch bewegt, aber auch kritisch schildert er das Kriegsgeschehen in seinem Buch Der Schleswig-Holsteinische Krieg im Jahre 1864. Auch Fontanes Roman Unwiederbringlich, der im Jahr 1859 an der Flensburger Förde und in Kopenhagen spielt, ist im Spannungsfeld des deutsch-dänischen Konflikts angesiedelt.

Preußische Garnisonsstadt blieb Schleswig bis zum Ende des Ersten Weltkriegs. Eine wenig rühmliche Rolle spielte die Stadt im Vorfeld des NS-Staates. Schon 1932 erhielt die NSDAP bei der Reichstagswahl über 50 % der Stimmen. Im Zweiten Weltkrieg hatte Schleswig dann das Glück, von schweren Zerstörungen weitgehend verschont zu bleiben. Anders als Kiel war die Stadt militärisch unbedeutend. Ihre Funktion als Verwaltungssitz hatte sie 1917 an Kiel verloren, und als Industriestadt hatte Schleswig ohnehin nie eine Rolle gespielt. So blieben Kulturdenkmäler wie Schloss Gottorf, der Dom, Kirchen, Klöster und historische Adels- und Bürgerhäuser weitgehend erhalten. Manchmal ist es eben von Vorteil, nicht zu den kriegswichtigen Stätten zu gehören, sondern einfach nur eine „allerliebste Stadt“ zu sein, wie Küttner 1801 schrieb. #2

 

Literarisches

Neben den genannten Namen ist eine Vielzahl weiterer Literaten mit Schleswig verbunden, insbesondere Rochus von Liliencron, der als Diplomat im deutsch-dänischen Konflikt engagiert war. Gleich zu Beginn der Schleswig-Holsteinischen Erhebung stellte er sich der provisorischen Regierung in Kiel zur Verfügung. Sein politisches Engagement für die Abspaltung Schleswigs von Dänemark kostete ihn später seine Professur in Kiel. In Schleswig geboren ist der umstrittene Schriftsteller Waldemar Augustiny, Mitglied des Eutiner Dichterkreises und in der NS-Zeit ein populärer Autor heimatverbundener, nationalkonservativer Romane. In friedlicheren Zeiten lebte und arbeitete in Schleswig der niederdeutsch schreibende Autor Friedrich Ernst Peters, der 1962 hier starb. 1953 wurde der Schriftsteller Ralf Rothmann in Schleswig geboren. Er verbrachte hier seine ersten Kinderjahre, bevor die Familie ins Ruhrgebiet zog. Auch Joachim Meyerhoff verbrachte seine Kindheit in Schleswig.

In der Umgebung

Nahe bei Schleswig an der Schlei liegt das idyllische Dorf Sieseby, Teil der Gemeinde Thumby. Hier wohnte Jurek Becker in seinen letzten Lebensjahren, hier starb er mit nur 59 Jahren und hier ist er auch begraben. Wenige Kilometer südlich davon, auf Gut Marienhof (ebenfalls Gemeinde Thumby) ist eine literarische Antagonistin zu Jurek Becker geboren, die Schriftstellerin Helene Voigt-Diederichs. Sie gehörte zum Eutiner Dichterkreis und war eine von nur zwei Autorinnen auf Hitlers „Gottbegnadeten-Liste“. Die Schleswig nächstgelegene größere Stadt ist Eckernförde, seit 1912 ein wichtiger Marinestandort und Wohnort mehrerer Schriftsteller. Fährt man zur Westküste hinüber, locken Husum und Friedrichstadt, beide im Kreis Nordfriesland gelegen und historisch zu Schleswig-Gottorf gehörig. Husum, die „graue Stadt am Meer“ verbindet wohl jeder mit Theodor Storm, aber auch andere Schriftsteller haben hier gelebt. Lohnend ist ein Besuch in Friedrichstadt, dem von Herzog Friedrich III. 1621 gegründeten Holländerstädtchen. Hier sind Ludwig Friedrich Hudemann und Johannes Biernatzki geboren. Etwa genauso weit, rund 40 km, ist es nach Rendsburg. Die ehemalige Militär- und Festungsstadt hat sich als Standort des Nordkollegs Rendsburg einen weit über die Region hinausreichenden Ruf als Kulturzentrum erworben.

17.06.2021 Susanne Luber

ANMERKUNGEN

1 Anonym [Küttner, Carl Gottlob]: Reise durch Deutschland, Dänemark, Schweden, Norwegen und einen Theil von Italien, in den Jahren 1797. 1798. 1799. Leipzig: Göschen 1801. Theil 2, S. 18.

2 Ebd., S. 17.