Christian Ludolf Wienbarg

Wienbarg, Christian Ludolf; Pseudonym(e): Ludolf Vineta; Freimund.

Geboren in Altona am 25. Dezember 1802
Gestorben in Schleswig am 02. Januar 1872

99 Jahre, bevor Hermann Meyerhoff, der Vater des Schauspielers und Schriftstellers Joachim Meyerhoff, die Leitung der Psychiatrie in Schleswig-Hesterberg übernimmt, stirbt dort am zweiten Tag des Jahres 1872, 69 Jahre alt und von der Umwelt weitgehend vergessen, eine der streitbarsten und streitlustigsten Persönlichkeiten ihrer Zeit: der Schriftsteller, Aufklärer und Freiheitskämpfer Christian Ludolf Wienbarg.

Der Sohn eines Altonaer Schmieds besucht zunächst das altsprachliche Christianeum und zieht nach dem Abitur 1822 nach Kiel, um dort das Studium der Theologie aufzunehmen. Er wird Mitglied der „Alten Kieler Burschenschaft“. Chronischer Geldmangel zwingen Wienbarg 1826 zum vorzeitigen Abbruch des Studiums. Er geht nach Lauenburg und verdingt sich dort im Hause des dänischen Diplomaten Christian Günther Graf von Bernstorff als Lehrer, ehe er weiter nach Bonn zieht und dort Philosophie, Philologie und Ästhetik studiert. Seine Promotion legt er 1829 in Marburg ab.

In Hamburg lernt Ludolf Wienbarg 1830 Heinrich Heine kennen, den er verehrt; außerdem veröffentlicht er unter dem Pseudonym „Ludolf Vineta“ sein erstes Buch, die biografische Studie „Paganini's Leben und Charakter nach Schottky“. Nach einer weiteren, zweijährigen Hauslehrertätigkeit, diesmal in Den Haag, kehrt er 1833 nach Kiel zurück und habilitiert dort ein Jahr später in Ästhetik und Literatur. Seine 22 Ästhetik-Vorlesungen werden in dem Buch Ästhetische Feldzüge veröffentlicht. In dessen Widmung popularisiert Wienbarg den von Heinrich Laube geprägten Begriff des „Jungen Deutschlands“, jener literarischen Bewegung des Vormärz, deren aufwieglerische Schriften 1835 auf Geheiß der Bundesversammlung verboten werden – so auch jene von Ludolf Wienbarg (darunter die romantikkritische Polemik Soll die plattdeutsche Sprache gepflegt oder ausgerottet werden?: Gegen Ersteres und für Letzteres beantwortet von 1834). Wienbarg selbst, der sich gerade in Frankfurt am Main aufhält, wird aus der Stadt gewiesen und geht für mehrere Monate in die damalige britische Kronkolonie Helgoland, wo der Inseltourismus gerade vor seiner ersten großen Blüte steht. Im ersten Kapitel des 1838 veröffentlichten Exil-Tagebuchs beschreibt Wienbarg den Anblick der Insel allerdings ungleich schroffer als die meisten seiner Zeitgenossen:

 

Helgoland durch ein Fernrohr betrachtet. Die Landungsseite hat nichts Imposantes. Ein großer Fleischerklotz, oder, wenn man poetischer reden will […], ein ungeheurer plumper Altar, an den Seitenwänden mit falbem Blute getüncht und mit den Eingeweiden der Opferthiere streifenweise überzogen.

 

Ludolf Wienbarg: Tagebuch von Helgoland. Hamburg 1838, S. 2

Die Begleiterscheinungen des Tourismus kritisiert Wienbarg unverhohlen, wenn er sich etwa über die überzogenen Preise beschwert: „[…] es macht Helgoland keine Ehre, seine Gäste so schändlich zu prellen.“#1 Ebenso kritisiert er die offensichtliche Verdrängung des ursprünglichen Inselcharakters: „Alles fand ich elegant und auf städtischem Fuße eingerichtet. Nichts Insulanisches als die reine Seeluft und die Frauenzimmer, die mir auf der Flur und im Billardzimmer begegneten.“#2

Im Herbst 1836 kehrt Ludolf Wienbarg zurück aufs Festland und setzt sich mit seiner journalistischen und editorischen Tätigkeit erneuten Verfolgungen und Zensurmaßnahmen aus. Allein die finanzielle Unterstützung durch seine Geschwister bewahrt ihn vor der Armut. Auch die Heirat mit der Altonaer Bürgertochter Elisabeth Wilhelmine Dorothea Marwedel im Mai 1839 vermag die Situation nicht merklich zu bessern.

Tollkühne Pläne zur Auswanderung in die USA werden von Ludolfs Wienbargs gesteigertem Engagement für die Unabhängigkeit Schleswig-Holsteins von Dänemark durchkreuzt. In den beiden Schriften Der dänische Fehdehandschuh, aufgenommen von Ludolf Wienbarg und Die Volksversammlung zu Nortorf am 14. September 1846 fordert er erstmals offen die Befreiung Schleswig-Holsteins; weitere werden in den nächsten zwei Jahrzehnten folgen, ebenso eine zweibändige Geschichte Schleswigs (1860/61).

1869 wird Ludolf Wienbarg, bei dem man einen schweren Verfolgungswahn, vermutlich infolge seines jahrzehntelangen Alkoholmissbrauchs, diagnostiziert, in die Psychiatrie in Schleswig eingeliefert. Dort verstirbt er am 2. Januar 1872.

18.4.2021 Jens Raschke

ANMERKUNGEN

1 Ludolf Wienbarg: Tagebuch von Helgoland. Hamburg 1838, S. 5

2 Ebd., S. 9