Helene Voigt-Diederichs

Voigt-Diederichs, Helene Theodora; geboren als Helene Theodora Voigt

Dichterin des Landlebens und der Entsagung

Geboren auf Gut Marienhoff am 26. Mai 1875
Gestorben in Jena am 3. Dezember 1961

Helene Voigt-Diederichs (nicht zu verwechseln mit der 1857 geborenen Jugendbuchautorin Helene Voigt), wuchs auf dem Gut ihrer Familie bei Sieseby unweit der Schlei auf. In ihren Kindheitserinnerungen Auf Marienhoff beschreibt sie den Ort, an dem sie umgeben von acht Geschwistern Kindheit und Jugend verbrachte, als Zentrale eines gut funktionierenden landwirtschaftlichen Großbetriebs, wo es trotzdem an Heimeligkeit nicht fehlt. Der nostalgische Blick zurück beschwört vor allem die harmonische und wohlgeordnete Beziehung zur Natur:

So stand das alte Haus […] recht mitten im Spiel der Kräfte, stand im Himmelswerk und Menschenmühen, hell bewegt von Sonne und weiß schweigend von Mond, stand in den Dämmerungen des Nordens und in seinen tiefen, langen Nächten. Der Zaunkönig schlüpfte unter seinen Dachpfannen aus und ein, in den Linden klatschten Holztauben, Drosseln flöteten und Möwenschwärme strichen frei über dem bunten Lärm des nützlichen Hofgetiers.

Helene Voigt-Diederichs: Auf Marienhoff. Vom Leben und von der Wärme einer Mutter. Jena: Eugen Diederichs 1926, S. 20f.

Nach einer behüteten Kindheit auf dem Gut heiratete Helene Voigt 1898 den Verleger Eugen Diederichs, den sie auf einer Italienreise kennengelernt hatte, und zog mit ihm erst nach Leipzig und 1904 nach Jena. Obwohl die Ehe 1911 geschieden wurde, blieb der Eugen Diederichs Verlag auch danach ihre verlegerische Heimat. Wie alle Bücher des Verlags sind auch ihre über 30 Veröffentlichungen opulent und aufwändig gestaltet; Buchkünstler wie Emil Rudolf Weiß, Erich Kuithan und Johann Vincent Cissarz steuerten Illustrationen und Innentitel bei.

Ebenfalls 1898, im Jahr der Hochzeit, tritt Voigt-Diederichs mit dem Erzählband Schleswig-Holsteiner Landleute zum ersten Mal als Autorin auf. Der Titel der später mehrmals wiederaufgelegten Sammlung sowie ihr Untertitel, Bilder aus dem Volksleben, beschreiben bereits recht gut ihr erzählerisches Programm: Voigt-Diederichs preist die ländliche Welt der Klein- und Großbauern, wo sie Ursprünglichkeit, Anstand und Moral verortet, während die Stadt bei ihr entweder nicht vorkommt oder als Brutstätte des Elends erscheint. Wenn es etwa die Titelfigur des Romans Regine Vosgerau (1901) nach Kiel verschlägt, findet sie dort nur „muffige Luft“ und „unsaubere“ Lebensumstände vor und findet die Welt in der Großstadt „[g]rausam eng“ #1. Dieser Kritik des Stadtlebens, die auch in der Lyrik zu finden ist („Drohend stumm gen Himmel ragen / Der Fabriken schwarze Schlote“#2) steht die Beschwörung der „grünschaukelnde[n] Breiten“ des Weizenfelds gegenüber, also der kultivierten Natur auf dem Land. #3 Wenn die Romanheldin Regine Vosgerau am Ende trotzdem in der Stadt bleiben muss, hängt das mit einem weiteren für Voigt-Diederichs wichtigen Thema zusammen: Ihre meist weiblichen Figuren lernen, durch Entsagung ihren Platz im Leben zu akzeptieren, auch wenn dieser – durch soziale Herkunft und durch eigenes moralisches Versagen – nicht nur angenehm ist.

Voigt-Diederichs’ konservatives Programm passte nicht nur gut in den Verlag ihres Ehemanns, sondern auch generell in die Zeit. Von den Zeitgenossen wurde eine solche „Heimatkunst“ oft als typisch schleswig-holsteinisch verstanden, so etwa von dem ästhetisch ähnlich ausgerichteten Wilhelm Lobsien:

Sie ist eine Schleswig-Holsteinerin durch und durch, eine von dem alten Schlag, dem die Heimat alles, die Fremde aber nichts ist […], und darum wurzelt alles, was sie schreibt, im Boden unserer Heimat.

Wilhelm Lobsien: Die erzählende Kunst in Schleswig-Holstein von Theodor Storm bis zur Gegenwart. Altona-Ottensen: Chr. Adolff 1908, S. 90.

Von solchen Positionen ist es nicht mehr weit bis zur Blut-und-Boden-Ideologie der Nazis, und so überrascht es nicht, dass Voigt-Diederichs 1936 Mitglied des nationalsozialistischen Eutiner Dichterkreises wurde und 1944 in die sogenannte „Gottbegnadetenliste“ aufgenommen wurde, in der Hitler und Goebbels für das Regime besonders wichtige KünstlerInnen auflisteten. Anders als Lobsien war Voigt-Diederichs jedoch nie NSDAP-Mitglied. Nach dem Ende des 2. Weltkriegs veröffentlichte sie nur noch wenige Bücher in westdeutschen Verlagen, lebte jedoch weiterhin in Jena. 1961 ist sie dort gestorben; ihr Grab befindet sich auf dem Nordfriedhof der Stadt.

18.1.2021Jan Behrs

ANMERKUNGEN

1 Helene Voigt-Diederichs: Regine Vosgerau. Aus dem Schleswigschen Volksleben. Leipzig: Eugen Diederichs, S. 151/165.

2 Helene Voigt-Diederichs: Hafenmorgen. In: Unterstrom. Gedichte. Leipzig: Eugen Diederichs, S. 15, V. 5-6.

3 Helene Voigt-Diederichs: Weizengrün. Ebd., S. 73, V. 4.