Christian Jenssen

Jenssen, Christian

Der Unmoderne

Geboren in Krefeld am 2. März 1905
Gestorben in Eutin am 16. August 1996

Christian Jenssen war Schriftsteller, Biograf, Essayist und Herausgeber. Dass er heutzutage fast vergessen ist, hat mit seiner übergroßen Nähe zum Nationalsozialismus zu tun, von dem er sich auch später nicht glaubhaft distanzierte. Daher gehört Jenssen zu den problematischen Literaturfällen in Schleswig-Holstein.

Christian Jenssen wurde am 2. März 1905 in Krefeld geboren. Er „studierte Germanistik und Pädagogik an den Universitäten Hamburg und Köln“, #1 wo er zunächst als Redakteur, Kunstkritiker und Verlagslektor tätig war. Ab 1922 arbeitete er als Sekretär für Hans Friedrich Blunck, dem er 1938 eine linientreue Monografie widmete. 1934 zog er nach Eutin, wo er als freier Schriftsteller und Volkshochschulleiter tätig war und sich dem nationalsozialistisch geprägten Eutiner Dichterkreis anschloss, für den er von 1936–40 fünfmal den Eutiner Almanach herausgab. Seit dem 1. Mai 1937 war er Mitglied in der NSDAP. #2 Jenssen entfaltete eine reiche publizistische Tätigkeit und „griff häufig unzweideutig nationalsozialistische Themen auf, wie etwa das Schaffen der Parteidichter Hanns Johst und Gerhard Schumann“. #3 Nach Kriegsende wurden mehrere seiner Schriften – darunter insbesondere Deutsche Dichtung der Gegenwart (1938)auf die „Liste der auszusondernden Literatur“ gesetzt. #4 Er konnte aber weiter publizieren und veröffentlichte Bücher wie Geist des Friedens (1948), „in denen er sich selber fast als Gegner des Nationalsozialismus, jedenfalls aber als Unbeteiligter an dessen Machtausübung darstellte“. #5 Von 1959–87 war er Chefredakteur von Der Rotarier und von 1963–68 Präsident der Fritz-Reuter-Gesellschaft. Er starb am 16. August 1996 in Eutin.

Als Beispiel für Jenssens Agieren sei sein Artikel Der gestürzte Olymp über Erich Kästner genannt, in dem „offen zur Hatz“ auf den unbequemen Autor „geblasen“ wurde. #6 Kästner werden „Hemmungs- und Schamlosigkeit“ sowie eine „geradezu teuflische Phantasie“ unterstellt; seine Gedichte gelten Jenssen als „Reimereien, die in frecher Ueberheblichkeit Geist und Gefühl fratzenhaft verzerren oder mit nahezu sadistischer Lust zerpflückten“. #7 Diese Haltung wirkt Jahrzehnte später in der betont unkritischen Schrift Literarische Reisen durch Schleswig-Holstein (1974 u.ö.) nach, in der Jenssen u.a. die Mitglieder des Eutiner Dichterkreises völlig entpolitisiert darstellt und in antiquierter Sprache verklärt. So hat Hans Friedrich Blunck aus Jenssens Perspektive einen bedeutenden Beitrag zur Literatur abgeliefert, auch wenn dieser „durch Zeitumstände vorübergehend der gebührenden Beachtung noch enträt“, #8 während „die niederdeutsche Schwere und Herbheit“ bei Hermann Claudius „ganz in schwebender, innig-sakraler Musik“ aufgehen würde. #9

Seit 1949 war Jenssen Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. In den Jahren 1954, 1955, 1957 und 1958 wurde ihm der Friedrich-Hebbel-Preis verliehen. 1985 erhielt er die Ehrennadel des Landes Schleswig-Holstein, was eine öffentliche Debatte um seine Person auslöste. #10

15.11.2022 Kai U. Jürgens

ANMERKUNGEN

1 Karsten Kruschel: Christian Jenssen. In: Deutsches Literatur-Lexikon – das 20. Jahrhundert, Bd. 23, hg. v. Lutz Hagestedt, Berlin/Boston 2014, S. 314.

2 Vgl. Lawrence D. Stokes, Der Eutiner Dichterkreis und der Nationalsozialismus. Neumünster 2001, S. 344.

3 Ebd., S. 345.

4 Kruschel, Jensen, wie Anm. 1, S. 314f.

5 Stokes, Eutiner Dichterkreis, wie Anm. 2, S. 345.

6 Franz Josef Görtz & Hans Sarkowicz: Erich Kästner. Eine Biografie. München 1998, S. 182.

7 Christian Jenssen: Der gestürzte Olymp. In: Berliner Börsen-Zeitung vom Juni 1933. Zit. n. Görtz/Sarkowicz, Kästner, wie Anm. 6.

8 Christian Jenssen: Literarische Reise durch Schleswig-Holstein. Heide in Holstein, 3., üb. Aufl. 1982, S. 23.

9 Ebd., S. 29.

10 Vgl. hierzu Michel Chaouli, Fragwürdige Ehrung, in: Die Zeit vom 15. März 1985. Weitere Angaben in Stokes, S. 346, Fn. 17.