Edwin Erich Dwinger
Dwinger, Edwin Erich
Russophiler Nationalsozialist
Geboren in Kiel am 23. April 1898
Gestorben in Gmund am Tegernsee am 17. Dezember 1981
Am Anfang des autobiografischen Romans Die Armee hinter Stacheldraht, der für seinen Autor Edwin Erich Dwinger den Durchbruch als Schriftsteller bedeutete, gibt der gerade von russischen Kosaken gefangengenommene Erzähler eine kurze biografische Erläuterung:
Ich verstehe sie trotz ihres sibirischen Dialektes – meine Mutter war Russin, und wenn wir auch im Beisein meines Vaters nie russisch sprechen durften … Wie gut es jetzt ist, denke ich, daß ich sie in den Zeiten, in den Vater auf See war, immer bat, mich ihre Heimatsprache zu lehren! Und wie klug sie war, daß sie starb, bevor dieser Krieg ausbrach… Mein Gott, was hätte ich getan? Sie hätte es niemals verwunden… Er aber… Meinem Vater war es eine Selbstverständlichkeit, daß ich mich mit den ersten meldete. Er ist Offizier.
Hiermit sind einige wichtige Punkte genannt, die den in Kiel geborenen Dwinger als Autor ausmachen: Vom Vater stammt die Verwurzelung im Soldatischen, von der Mutter die Liebe zur russischen Sprache und Kultur. Beide kommen auf ungute Weise zusammen, als der gerade Siebzehnjährige in Kriegsgefangenschaft gerät, und seitdem hat sich Dwinger im Grunde zeitlebens an dem Konflikt zwischen seinem soldatischen Nationalismus und seiner Faszination für Russland abgearbeitet. Das vielleicht interessanteste Buch ist dabei sein autobiografisch geprägtes Werk Die Armee hinter Stacheldraht, das er 1929 nach einigen weniger erfolgreichen Romanen veröffentlichte: Dwinger nimmt hier kein Blatt vor den Mund, was das Elend der Kriegsgefangenen angeht, und liefert keine der in dieser Zeit üblichen Heldengeschichten aus dem Weltkrieg, sondern eine schonungslose und drastische Charakterisierung des Elends in sibirischen Gefangenenlagern. In den weiteren Teilen seiner autobiografischen Trilogie wird aus diesem Elend ein politisches Programm abgeleitet: In Wir rufen Deutschland (1932) schildert Dwinger, wie die wieder in Deutschland eingetroffenen Kriegsgefangenen sich mit der Weimarer Republik nicht arrangieren können und die neuen, demokratischen Verhältnisse als Verrat begreifen:
„Die verdammte Republik!“ sagt er wütend. „Alles macht sie einem kaputt … Aber Kopf hoch, Mann! Wir kommen auch mal wieder dran!“
Solche Positionen machen Dwinger, der sich nach seiner Rückkehr aus der Gefangenschaft als Landwirt im Allgäu selbstständig gemacht hat, nach der nationalsozialistischen Machtergreifung zu einem gesuchten Mann. Seine Romane dieser Zeit liefern den Machthabern die antisemitischen und vor allem antikommunistischen Stoffe, die sie brauchen, und Dwinger wird mit dem Auftrag, Propagandaschriften zu verfassen, an die West- und die Ostfront geschickt. Er ist Mitglied des nationalsozialistischen „Eutiner Dichterkreises“ und (seit 1937) der NSDAP. Lediglich, was das Verhältnis des Nationalsozialismus zu Russland angeht, ist Dwinger anderer Meinung als das Regime: Er bestreitet die „rassische“ Minderwertigkeit der Russen und ist Befürworter der Idee, ein pro-deutsches Marionettenregime zu installieren. In seiner berüchtigten „Posener Rede“ von 1943 kritisiert Heinrich Himmler russophile „Männer[], die meistens irgendwie östlicher Provenienz sind, die in ihrer Jugend dort drüben waren, zum Teil sehr gute Bücher geschrieben haben, dabei eine russische Mutter hatten und die nun erzählen“, ohne Dwinger direkt beim Namen zu nennen. #1 Nach dem Ende des Regimes wird Dwinger, dessen Bücher in Westdeutschland weiter verlegt und gelesen werden, diese Differenz zum Anlass nehmen, sich als Widerstandskämpfer zu stilisieren, und stellt zu diesem Zweck seine Kontakte zur Russischen Befreiungsarmee und deren Kommandanten Andrej Wlassow heraus. In seinem Roman General Wlassow (1951) tritt er selbst als „Schriftsteller Hollstein“ auf – vielleicht ein spätes Bekenntnis zu seiner Herkunftsregion.
Trotz seiner propagandistischen Tätigkeit für das NS-Regime blieb Dwinger – abgesehen von einer halbjährigen Untersuchungshaft direkt nach Kriegsende – weitgehend unbehelligt von Entnazifizierungsmaßnahmen; er lebte weiterhin auf seinem Hof im Allgäu und starb 1981 in Gmund am Tegernsee. Ob er noch zur Kenntnis nahm, dass seine Romane 1977 von Klaus Theweleit in dessen fulminanter Schrift Männerphantasien als Paradebeispiel für faschistisch-soldatische Literatur untersucht wurden, ist nicht bekannt.
30.8.2022 Jan Behrs
ANMERKUNGEN
1 Rede des Reichsführers SS bei der SS-Gruppenführertagung in Posen am 4. Oktober 1943. In: 100(0) Schlüsseldokumente zur deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert. Hrsg. vom Lehrstuhl für Osteuropäische Geschichte der Universität Erlangen-Nürnberg, der Bayerischen Staatsbibliothek u.a. Online unter https://www.1000dokumente.de/pdf/dok_0008_pos_de.pdf.
Veranstaltungen
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ORTE
Werke
- Das große Grab. Sibirischer Roman. Berlin-Schöneberg: Schneider 1920.
- Korsakoff. Die Geschichte eines Heimatlosen. Lübeck: Quitzow 1926.
- Die Armee hinter Stacheldraht. Das sibirische Tagebuch. Jena: Diederichs 1929.
- Das letzte Opfer. Roman. Lübeck: Quitzow 1929.
- Zwischen Weiß und Rot. Die russische Tragödie 1919-1920. Jena: Diederichs 1930.
- Die zwölf Räuber. Roman. Jena: Diederichs 1931.
- Wir rufen Deutschland. Heimkehr und Vermächtnis, 1921-1924. Jena: Diederichs 1932.
- Die Gefangenen. Schauspiel. Stuttgart: Das Werk 1933.
- Wo ist Deutschland? Schauspiel. Jena: Diederichs 1934.
- Die Namenlosen. Schauspiel. Jena: Diederichs 1934.
- Der letzte Traum. Eine deutsche Tragödie. Jena: Diederichs 1934.
- Die letzten Reiter. Jena: Diederichs 1935.
- Und Gott schweigt ...? Bericht und Aufruf. Jena: Diederichs 1936.
- Spanische Silhouetten. Tagebuch einer Frontreise. Jena: Diederichs 1937.
- Ein Erbhof im Allgäu. München: Bruckmann 1937.
- Auf halbem Wege. Roman. Jena: Diederichs 1939.
- Der Tod in Polen. Die volksdeutsche Passion. Jena: Diederichs 1940.
- Panzerführer. Tagebuchblätter vom Frankreichfeldzug. Jena: Diederichs 1941.
- Wiedersehen mit Sowjetrußland. Tagebuch vom Ostfeldzug. Jena: Diederichs 1942.
- Der bäuerliche Nachwuchs. Das Problem Großdeutschlands. Wien: Raiffeisen 1944.
- Wenn die Dämme brechen ... Untergang Ostpreußens. Frankfurt am Main, Überlingen: Dikreiter 1950.
- General Wlassow. Eine Tragödie unserer Zeit. Frankfurt am Main, Überlingen: Dikreiter 1951.
- Sie suchten die Freiheit ... Schicksalsweg eines Reitervolkes. Freiburg im Breisgau, Frankfurt am Main: Dikreiter 1952.
- Die verlorenen Söhne. Eine Odyssee unserer Zeit. München, Salzburg: Pilgram 1956.
- Es geschah im Jahre 1965. Salzburg, München: Pilgram 1957.
- Das Glück der Erde: Reiterbrevier für Pferdefreunde. München, Salzburg: Pilgram 1957.
- Die 12 Gespräche. 1933-1945. Velbert, Kettwig: Blick und Bild 1966.