Gustav Frenssen

Frenssen, Gustav.

Konservativer Erfolgsschriftsteller aus Dithmarschen

Geboren in Barlt am 19. Oktober 1863
Gestorben in Barlt am 11. April 1945

Wir wollen in diesem Buche von Mühe und Arbeit reden. Nicht von der Mühe, die der Bierbrauer Jan Tortsen sich machte, der versprochen hatte, seinen Gästen einen besonders guten Eiderfisch vorzusetzen, und sein Wort nicht halten konnte und darüber tiefsinnig wurde und nach Schleswig mußte. Wir wollen auch nicht von der Mühe reden, welche jener reiche Bauernjunge sich machte, dem es trotz seiner Dummheit gelang, seines Vaters Geld in vier Wochen durchzubringen, indem er tagelang die Thalerstücke über den Fischteich schunkte.

 

Sondern wir wollen von der Mühe reden, auf welche Mutter Weißhaar zielte, wenn sie auf ihre acht Kinder zu sprechen kam, von denen drei auf dem Kirchhof lagen, einer in der tiefen Nordsee, und die übrigen vier in Amerika wohnten, von welchen zwei seit Jahren nicht an sie geschrieben hatten. Und von jener Arbeit, über welche Geert Doose klagte, als er am dritten Tage nach der Schlacht bei Gravelotte noch nicht sterben konnte, obgleich er die furchtbare Wunde im Rücken hatte.

Gustav Frenssen: Jörn Uhl. Berlin 1901, S. 1.

Er war ein ehemaliger Pastor, hat den Sozialdemokraten Friedrich Ebert bewundert und den jüdischen Reichsaußenminister Walther Rathenau als den „vornehmsten Kopf Deutschlands“ bezeichnet – und ist doch nur als überzeugter Nationalsozialist im Gedächtnis geblieben: Gustav Frenssen, der nach dem Zweiten Weltkrieg so schnell vergessen war, dass er von Arno Schmidt bereits 1963 als „unerledigter Fall“ wiederentdeckt werden konnte. Tatsächlich zählte Frenssen mit Millionenauflagen und Übersetzungen in mehr als ein Dutzend Sprachen „zu den erfolgreichsten deutschen Schriftstellern in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts“ #1. Wie ist das zusammenzubringen?

Gustav Frenssen wurde in Barlt als Sohn eines Tischlermeisters geboren. Er besuchte Gymnasien in Meldorf und Husum und studierte nach dem Abitur Theologie in Tübingen, Berlin und Kiel. 1892 ist er Pastor in Hemme geworden. Seit 1890 verheiratet, veröffentlichte er 1896 mit Die Sandgräfin sein erstes Buch; Anerkennung brachte 1898 Die drei Getreuen. Doch der Entwicklungsroman Jörn Uhl, 1901 erschienen, wurde nicht nur von Kollegen wie Hermann Löns und Rainer Maria Rilke sehr gelobt, sondern auch ein großer Publikumserfolg. Dieser erlaubte es Frenssen, seine Pastorenstelle – mit der er innerlich ohnehin haderte – 1902 aufzugeben und ausschließlich als Schriftsteller zu arbeiten. Für seine dreibändige Sammlung Dorfpredigten (1899–1902) erhielt er aber im Folgejahr von der Universität Heidelberg noch den Doktor der Theologie.

Als typisch für Frenssens Werk zu dieser Zeit kann Hilligenlei (1905) angesehen werden. Das Buch, dessen Titel ein Nordseestädtchen bezeichnet, handelt von einer kleinen Gemeinschaft, die über einen Zeitraum von dreißig Jahren beschrieben wird. Im Mittelpunkt steht ein Arbeitersohn, der erst ein „heiliges Land“ und später den „richtigen“ Glauben sucht. Doch der damals überaus erfolgreiche Roman – „schon ein Jahr nach dem Erscheinen waren 120.000 Exemplare verkauft“ – wirkt unterdessen antiquiert: „Der Pathos des Buches, die klischeehafte Sprache und die prätentiöse Tiefsinnigkeit vieler oft in biblischem Redeton gehaltenen Passagen wirken aber heute eher abstoßend; das Buch ist durchaus der Trivialliteratur zuzurechnen.“ #2

Mehrfach war Frenssen, der gerade im Ausland „viele Jahre als einer der hervorragenden Vertreter der neuen deutschen Literatur“ galt, für den Nobelpreis im Gespräch. Nur eben: „Im Kontext der zeitgleich entstandenen Trivial-/Unterhaltungsromane und der ‚Heimatkunst‘ erheben sich Frenssens Werke um Längen über dergleichen, ohne jedoch in den Bereich der ersten Garde der Romanciers ganz vorzudringen. Die erfolgte Anwartschaft auf den Literaturnobelpreis erschien zwar folgerichtig, folgerichtig war aber auch, dass er ihn letztlich doch nicht erhielt.“ #3 Stattdessen wurde Frenssen 1933 mit dem Raabe-Preis („Volkspreis für deutsche Dichtung“) für seinen Roman Meino der Prahler ausgezeichnet.

Frenssen schrieb weiter. 1826 veröffentlichte er den autobiographisch grundierten Roman Otto Babendiek, den die FAZ im Jahr 2003 zu seinem einzigen guten Buch kürte. Tatsächlich sei die Arbeit „so außergewöhnlich gelungen, daß man den Autor so vieler trivialer Romane gar nicht wiedererkennt – ein dickleibiger Entwicklungsroman, deutlich nach dem Muster des David Copperfield gearbeitet, aber erheblich realistischer und düsterer, ein Buch, das den Leidensweg eines frühverwaisten dithmarscher Handwerkersohns durch Schulen und Elendsquartiere beschreibt, bis er sich schließlich als Schriftsteller etablieren kann.“ #4 „Wiederentdeckt“ hatte Otto Babendiek allerdings Arno Schmidt 1963 in einem Funkessay zu Frenssens 100. Geburtstag, in dem eine der Figuren feststellt: „Zeit zur Aufhebung der über Frenssen verhängten Quarantäne wäre’s wahrlich.“ #5 Dabei sieht Schmidt durchaus dessen zahlreiche ästhetische wie politische Verfehlungen, nur eben: „[D]er Otto Babendiek erscheint mir doch so bedeutend – nicht allerersteGarnitur, kein Gedanke; aber immer ein gutes Meisterstück zweiten Ranges – daß, müßte ich einmal meine Bibliothek notgedrungen auf 300 Bände reduzieren, er mit dabei wäre.“ #6

Frenssens politischer Weg führt über mehrere Stufen. Während des Kaiserreichs war er nationalkonservativ, die Weimarer Republik hat er – zumindest zeitweise – befürwortet, doch ab 1932 unterstützte er offen die NSDAP und unterschrieb im Folgejahr – wie Hans Friedrich Blunck und Hermann Claudius – das Bündnis treuester Gefolgschaft für Adolf Hitler. Obwohl er nie Parteimitglied gewesen ist, gehörte Frenssen „zu den ersten neuaufgenommenen Mitgliedern der umstrukturierten Preußischen (nunmehr Deutschen) Akademie der Dichtung“ #7 und wurde Vorstandsmitglied im 1936 gegründeten Eutiner Dichterkreis.

Antisemitische Elemente finden sich allerdings bereits früher in seinen Schriften. „Die unleugbare Zustimmung Frenssens zur sogenannten ‚Euthanasie‘-Politik des Hitlerregimes sowie sein genau so plumper Antisemitismus und sein umfassender Angriff auf die christlichen Kirchen führten dazu, daß Gustav Frenssen als ‚bis zu seinen letzten Tagen im April 1945‘ bedingungsloser Verfechter des NS-Systems bezeichnet wurde.“ #8 Die nur auf den ersten Blick überraschende Abwendung von der Kirche wurde spätestens mit Der Glaube der Nordmark (1936) offensichtlich: „In dieser völkischen Schrift diagnostiziert [Frenssen] ‚einen zu rationalistischen Christusglauben der Kirche‘, dem er den ‚völkischen Schicksalsglauben‘ entgegensetzt.“ #9 Zumindest dieser Linie bleibt Frenssen, der bereits seit 1919 wieder in seinem Geburtsort Barlt wohnt, bis zu seinem Tod treu.

Letztlich kommen in Frenssen „unterschiedliche, zum Teil auch widersprüchliche Strömungen der Epoche zusammen, die ganz überwiegend dem konservativen bis antimodernen Spektrum zuzuordnen sind, zuweilen aber auch überraschend emanzipatorische Züge erkennen lassen“. #10 Einzige Konstante in Frenssens heterogener Gedankenwelt ist sein „auch öffentlich dokumentierter Hang zu biologistischen Vorstellungen, der schon früh rassistische Züge aufweist, aber erst später als programmatischer Antisemitismus manifest wird“. Hiermit ist er allerdings keine Ausnahmeerscheinung, sondern „fügte sich bruchlos in die vitalistisch-lebensphilosophischen und sozialdarwinistischen Denkmuster seiner Zeit.“ #11 Eine Rechtfertigung ist dies freilich nicht.

An Gustav Frenssen erinnern – insbesondere in Schleswig-Holstein – mehrere Straßen. In Barlt ist die Besichtigung des in Privatbesitz befindlichen Hauses mit fachkundiger Führung nach Absprache möglich.

 

26.04.2021 Kai U. Jürgens

ANMERKUNGEN

1 Volker Griese: Einführung. In: ders., Die drei Leben des Gustav F. Eine Frenssen-Chronik. Münster 2011, S. 7.

2 Kindlers neues Literaturlexikon, hg. v. Walter Jens, Bd. 5, München 1989, S. 804.

3 Volker Griese: Einführung. In: ders., Die drei Leben des Gustav F. Eine Frenssen-Chronik. Münster 2011, S. 7.

4 Tilman Spreckelsen: Otto Babendiek. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 16. März 2003.

5 Arno Schmidt: Ein unerledigter Fall. In: Arno Schmidt: Bargfelder Ausgabe, Werkgruppe II. Dialoge, Bd. 3. Zürich 1991, S 93–141; hier: S. 97.

6 Ebd., S. 132.

7 Lawrence D. Stokes, Der Eutiner Dichterkreis und der Nationalsozialismus. Neumünster 2001, S. 306f.

8 Lawrence D. Stokes, Der Eutiner Dichterkreis und der Nationalsozialismus. Neumünster 2001, S. 303.

9 Lebendiges Museum Online, www.dhm.de/lemo/biografie/gustav-frenssen.

10 Heinrich Detering & Kai Sina: Poetik und Propaganda. Einige Anmerkungen zu Gustav Frenssen. In: Kein Nobelpreis für Gustav Frenssen. Eine Fallstudie zur Moderne und Antimoderne, hg. v. Heinrich Detering und Kai Sina, Heide 2018, S. 7–20; hier: S. 9.

11 Ebd., S. 13.