Wilhelm Lobsien

Lobsien, Wilhelm.

Lehrer und vielgereister Halligdichter

Geboren in Foldingbro am 30. September 1872
Gestorben in Niebüll am 26. Juli 1947

Einmal noch vom Deich hinüberschauen,
wo die Hallig fern im Dunst verschwimmt,
einmal noch die liebe Heimat grüßen,
eh‘ die Seele letzten Abschied nimmt.

Einmal noch das alles froh erleben,
was vom Strand herauf beglückend schwillt,
einmal noch, – dann bin zum letzten Wandern
durch das dunkle Tor ich gern gewillt.

Wilhelm Lobsien: Heimat Sturm und Meer. Eine kleine Auslese aus seinen Gedichten und Erzählungen. Heide in Holstein [1967], S. 11.

Fünfzig Bücher, zahlreiche Aufsätze, viele Gedichte – Wilhelm Lobsien war ein äußerst produktiver Schriftsteller, der mit seinen Arbeiten namhafte Auflagen erzielte und sehr gut von den Erträgen leben konnte. Obwohl einige seiner Texte auch in Holstein, Lübeck oder in Schweden spielen, nimmt Nordfriesland den größten Raum ein. Tatsächlich war Lobsiens Begeisterung für die Inseln und Halligen so groß, dass er bis heute als „Halligdichter“ gilt.

Wilhelm Lobsien wurde in Foldingbro und damit in einem kleinen Dorf an der damaligen deutsch-dänischen Grenze geboren, doch da sein Vater – ein Zollbeamter – nach Tondern versetzt wurde, hat er seine Kindheit größtenteils dort verbracht. Hier erhielt er dann auch von 1890 bis 1893 seine Ausbildung zum Lehrer, einem Beruf, der ihn zunächst nach Hoyer und 1896 nach Kiel führte. Dort war er bei seiner Pensionierung im Jahre 1937 als Konrektor tätig. Die Liebe des unverheiratet gebliebenen Lobsien – der eigentlich Seemann hatte werden wollen – galt allerdings den nordfriesischen Halligen, auf denen er seine Ferien verbrachte; allein „im Fremdenbuch eines Gasthofs auf Hooge findet sich sein Name mehr als 40 Mal“. #1 Andererseits haben ihn seine ausgedehnten Reisen nicht nur durch halb Europa, sondern bis nach Afrika geführt. #2 Schriftstellerisch hingegen sollten sich die Halligen als sein Hauptthema erweisen.

Lobsiens erster Gedichtband Strandblumen erschien bereits 1894. Im Jahr 1905 unternahm er eine Wanderung zur Hallig Oland, auf der ihn eine Sturmflut überraschte. Fasziniert und erschrocken zugleich erkannte Lobsien, dass er sein Lebensthema gefunden hatte. Er schrieb eine Novelle über das Erlebnis und bringt sie – nach einer Zeitschriftenveröffentlichung – in seinem Buch Hinterm Seedeich. Halliggeschichten (1907) unter. Das Erlebnis wirkte lange nach. Noch zwanzig Jahre später heißt es in der Erzählung Trutz, blanke Hans!:

Die Leute droben  an der Jammerbucht sprechen noch heute von der wilden Nacht, die den Todesschrei der fünfzig untergehenden Fischer hörte und erst spät dem nebeldunklen Sonntag wich, an dem die Witwen und Bräute ihre schwarzen Schleier wie dunkle Bahrtücher in die kleine, weiße Dünenkirche trugen.
Der Meergott stand draußen auf der Kamm und lachte, daß es wie heiseres Bellen von Texel bis nach Norwegens Klippenkranz scholl. Er packte die dunkelgrauen Wolkenballen und schleuderte sie über die dunkle Himmelskuppe bis weit über das zitternde Land hinüber, patschte dann seine Riesenfäuste in die kochende See, daß die Wellen erschreckt aufsprangen und wie gehetzte Wölfe gegen die Halligen rannten. Wie Schneeflocken taumelten die weißen Möwen durch das Dunkel und suchten Schutz hinter den festen Dämmen.

Wilhelm Lobsien: Trutz, blanke Hans! In: ders., Heimat Sturm und Meer. Eine kleine Auslese aus seinen Gedichten und Erzählungen. Heide in Holstein [1967], S. 18–24; hier: S. 18.

Das Thema „Meer“ speziell in Verbindung mit der Küste von Schleswig-Holstein hat Lobsien nie wieder losgelassen. Entsprechend findet es sich auch in seiner Lyrik:

Sterne über dem Meer

Aus dunklen Tiefen leuchten
die Sterne über dem Meer –
Alles ewige Leuchten
kommt aus der Tiefe her.

Alles andere ist Flimmern,
Widerschein vom Licht –
wahres Leuchten und Glühen
aus dunklen Tiefen bricht.

Denn groß allein ist und göttlich –
und das allein nur frommt –
was aus geheimnisvollen,
verborgenen Tiefen kommt.

Wilhelm Lobsien: Heimat Sturm und Meer. Eine kleine Auslese aus seinen Gedichten und Erzählungen. Heide in Holstein o.J., S. 9.

1908 veröffentlichte Lobsien hingegen die Studie Die erzählende Kunst in Schleswig-Holstein von Theodor Storm bis zur Gegenwart: „In der 160 Seiten umfassenden Arbeit gibt er vielleicht erstmals überhaupt eine durchaus kritisch angelegte Gesamtübersicht über das literarische Schaffen des Landes zwischen den Meeren.“ #3 Dabei wird insbesondere Theodor Storm gewürdigt, dessen Bedeutung Lobsien früh erkannt hat.

Weiterer Bücher folgten. 1914 erschien Der Halligpastor, 1921 folgte Landunter – zwei Romane, die zu den bekanntesten Werken Lobsiens zählen. „Beide erreichten eine Auflagenhöhe von zigtausend Exemplaren und wurden ins Niederländische, Englische und Dänische übersetzt.“ #4 Speziell Landunter galt rasch als meisterhafter Heimatroman, und so wurde Lobsien noch 1932 von dem ostfriesischen Schriftsteller Albrecht Janssen (1886–1972) als würdiger Nachfolger Storms bezeichnet. Aus heutiger Sicht stellt sich dies etwas anders dar. Thomas Steensen: „Der Vergleich mit Storm erscheint indes unangemessen, Lobsien reicht an die Vielschichtigkeit, die Kunst der Andeutung und feine Stilistik des Husumers nicht heran, zu leicht auszurechnen ist zumeist die Handlung seiner Geschichten, zu eindimensional schildert er die Charaktere der handelnden Personen.“ #5 Zudem enthalten seine Texte „Passagen, die von heute schwer erträglichem Pathos und übersteigertem Nationalismus geprägt sind“. #6

Und: „Lobsien war schon vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten stark von der Volkstums-Ideologie beeinflusst.“ #7 Zwar gehörte er weder vor noch nach 1933 einer politischen Partei an, „auch nicht der NSDAP“, aber er scheint mit dem Nationalsozialismus sympathisiert zu haben und zählte „schon während der Weimarer Republik zu den anerkannten völkisch orientierten Schriftstellern Deutschlands“ #8. Zudem gehörte er dem nationalsozialistischen „Eutiner Dichterkreis“ an. Eindeutig rassistische Bezugnahmen finden sich bei ihm allerdings nicht, #9 und Lobsien schreibt selbst: „Ich habe in meinen bis jetzt erschienenen Büchern versucht, das Leben der Halligbewohner zu schildern. Ob und wie weit es mir gelungen ist, mögen andere entscheiden." #10 Steensen folgert daher: „Die Lektüre seiner Bücher lohnt noch heute – mit kritischer Brille.“ #11

Wilhelm Lobsien ist 1947 „gleichsam symbolhaft“ #12 in Niebüll bei der alljährlichen Ferienfahrt gestorben; seine Urne wurde auf dem Friedhof von Oland beigesetzt. Der Nachlass befindet sich in der Schleswig-Holsteinischen Landesbibliothek in Kiel. In Bremen-Neustadt, Büdelsdorf, Hamburg und Kiel-Pries sind Straßen nach Lobsien benannt. Seine Werke werden weiterhin verlegt.

29.4.2021Kai U. Jürgens

ANMERKUNGEN

1 Thomas Steensen: Der „Halligdichter“ Wilhelm Lobsien. In: Natur- und Landeskunde. Zeitschrift für Schleswig-Holstein, Hamburg und Mecklenburg, Heft 10–12 (2018), S. 173–193; hier: S. 188.

2 Vgl. ebd., S. 182.

3 Ebd., S. 179

4 Ebd.

5 Ebd., S. 181.

6 Ebd., S. 175.

7 Ebd., S. 186.

8 Lawrence D. Stokes, Der Eutiner Dichterkreis und der Nationalsozialismus. Neumünster 2001, S. 361.

9 Vgl. Thomas Steensen: Der „Halligdichter“ Wilhelm Lobsien. In: Natur- und Landeskunde. Zeitschrift für Schleswig-Holstein, Hamburg und Mecklenburg, Heft 10–12 (2018), S. 173–193; hier: S. 187.

10 Wilhelm Lobsien: Die erzählende Kunst in Schleswig-Holstein von Theodor Storm bis zur Gegenwart, Altona 1908, S. 86.

11 Ebd., S. 189

12 Lawrence D. Stokes, Der Eutiner Dichterkreis und der Nationalsozialismus. Neumünster 2001, S. 362.