Hermann Heiberg

Heiberg, Hermann Ernst Ottomar.

Schriftsteller, Verleger, Journalist

Geboren in Schleswig am 17. November 1840
Gestorben in Schleswig am 16. Februar 1910

Hermann Heiberg wurde das Schreiben gewissermaßen in die Wiege gelegt: Seine Mutter Asta Heiberg war selbst Schriftstellerin und stammte aus der literarisch überaus aktiven Familie von Baudissin. Etliche seiner Onkel und Tanten, etwa Adelbert, Wolf und Thekla von Baudissin, waren ebenfalls literarisch tätig, und Caroline Gräfin von Baudissin, die Schriftstellerin und Freundin Herders, war seine Urgroßmutter. Auch der Name seines Vaters hat in Schleswig-Holstein ein gewisses Renommee: Carl Friedrich Heiberg war Redakteur der Schleswig-Holsteinischen Blätter, nach der Märzrevolution 1848 Mitglied der Schleswig-Holsteinischen Landesversammlung und hatte nach dem Scheitern der Erhebung unter Repressalien der dänischen Regierung zu leiden. Heibergs Großvater war schließlich der Schauspieler und bedeutende Freimaurer Friedrich Ludwig Schröder. Die Heibergs lebten in Schleswig in einem Haus am heutigen Stadtweg 39 und bildeten dort eine einflussreiche „Familien-Dynastie“. #1 Hermann Heibergs jüngerer Bruder Julius wurde 1885 Bürgermeister der Stadt und hatte dieses Amt fast 25 Jahre inne. Hermann Heiberg selbst hatte vor dem Erscheinen seines ersten Buchs Plaudereien mit der Herzogin von Seeland (1881), dessen Erfolg ihm eine Existenz als freier Schriftsteller ermöglichte, eine durchaus bewegte Erwerbsbiografie: Er machte in Kiel eine Lehre zum Buchhändler, war Verleger (unter anderem von Wilhelm Jensen), Journalist und Chefredakteur zweier überregionaler Tageszeitungen und schließlich im Banken- und Versicherungswesen tätig.

Dass Heiberg in den Worten seines Biografen „die Wechselfälle des Geschäftslebens in reicher Füller erfahren hatte“, #2 bevor er Schriftsteller wurde, macht sich in seiner Literatur bemerkbar: Seine zahlreichen Romane und Erzählungen beschwören die Welt des hart arbeitenden Mittelstands, dessen Sorgen und Nöte in zuweilen ironischer, aber stets verständnisvoller Weise beschrieben werden. Der Schauplatz seiner Texte ist dabei oft unverkennbar norddeutsch und kleinstädtisch – sein bekanntestes Werk, der Roman Apotheker Heinrich, spielt in Kappeln an der Schlei, der Roman Am Marktplatz im heimischen Schleswig (das jedoch als „Wisborg“ auftritt). Auch sprachlich bemüht sich Heiberg um schleswig-holsteinisches Lokalkolorit, das er zum Teil durch Dialog in Niederdeutsch und Dänisch veranschaulicht. Der Sprachgebrauch dient immer zur sozialen Differenzierung: Wenn beispielsweise in der Novelle Uns’ Korl der Schmied Niese und seine Frau miteinander Niederdeutsch sprechen, zum Austausch mit dem kindlichen Erzähler aber ihr fehlerhaftes Hochdeutsch bemühen, wird unmittelbar klar, dass wir es mit im Alltag scharf getrennten sozialen Schichten zu tun haben. Das Leiden der Nieses wird vom Erzähler dementsprechend einfühlsam, aber gleichzeitig distanziert beschrieben – er ist es gewohnt, diese Leute auf dem elterlichen Hof um sich zu sehen, aber zur Familie eines „Primaners“ und angehenden Studenten können sie nicht gehören. #3 Ganz anders ist der Status des Dänischen: Auch in der Novelle Jeg elsker Dig tritt eine Protagonistin auf, die nicht perfekt Hochdeutsch spricht, aber weil sie eine dänischsprachige Besucherin ist, macht gerade das sie interessant:

Denke Dir, Männchen! Ein schlankes, blankes, kleines Ding mit hellblonden Seidenhaaren und ein Paar Pfirsichbacken zum Einbeißen, dunkle Augenbrauen und kohlrabenschwarze Augen! Und dazu die gebrochene deutsche Sprache, – die reizend klingt!

Hermann Heiberg: Jeg elsker Dig. In: Schriften von Hermann Heiberg. Band 4: Novellen. Leipzig/Berlin: Wilhelm Friedrich o.J., S. 216.

Anders als das Niederdeutsche wird das Dänische in der nun folgenden Liebesgeschichte daher zum erotischen Versprechen, und seine „zärtlichen, fremdklingenden Laute“ #4 bestärken den Erzähler in seiner Verliebtheit.

Der unsentimentale, aber dabei durchaus verständnisvolle Blick auf das norddeutsche Kleinstadtleben, den Heiberg in seinen vielen Veröffentlichungen präsentiert, hat im späten 19. Jahrhundert viel Anerkennung gefunden: Seine Texte wurden in den großen Publikumszeitschriften wie der Gartenlaube und Westermanns Monatsheften gedruckt, sind aber auch bei den jungen Avantgardisten des Naturalismus populär, und schon vier Jahre nach Erscheinen des Erstlingswerks begann sein Verleger Wilhelm Friedrich mit einer Werkausgabe in 12 Bänden, der bald darauf eine weitere folgte. Ein ebenfalls in der Gartenlaube abgedrucktes Porträt des Autors erläutert, was die Zeitgenossen an Heibergs Kunst fasziniert hat: Anders als sein schleswig-holsteinischer Landsmann Wilhelm Jensen trage Heiberg

kein sterngeschmücktes Magiergewand und hütet keine heiligen Opferflammen an geheimnißvollen Altären: ihm steht in erster Linie das, was der Dichter die gemeine Deutlichkeit der Dinge nennt; er sieht Alles mit voller Klarheit und giebt Alles wieder in scharfen, festen Umrissen […]; er ist ein getreuer Photograph, aber er strebt dabei nach künstlerischer Auffassung.

Anonym: Hermann Heiberg. Die Gartenlaube, Jg. 1887, Heft 21, S. 351.

Das Bild eines trotz seiner Modernität künstlerisch gesinnten Fotografen deutet an, dass Heiberg besonders wegen seines moderaten Realismus erfolgreich ist: Er bietet den direkten, unverfälschten Blick auf die Zeitumstände, der im späten 19. Jahrhundert von der Literatur erwartet wird, ist dabei aber nicht so radikal, dass es anstößig wirkt. „In richtiger Auffassung des Wesens der echten Kunst hat sich Heiberg von allen Auswüchsen des französischen Naturalismus ferngehalten und nimmt sozusagen, wie jeder wahre und selbständige Künstler, eine vermittelnde Stellung ein“, heißt es in einem anderen Artikel. #5

Es mag sein, dass diese Vermittlung zwischen Avantgarde und Tradition in den folgenden Jahrzehnten nicht mehr so gefragt ist; es mag auch sein, dass Heiberg „bald auf das Niveau durchschnittlicher Unterhaltung ab[sank]“, wie es Fred und Gabriele Oberhauser mokant formulieren. #6 Jedenfalls kühlt nach seinen großen Auflagenerfolgen ab dem frühen 20. Jahrhundert die Begeisterung des Publikums deutlich ab. Bereits 1908 liefert Wilhelm Lobsien, dessen ersten Gedichtband Ich liebe Dich Heiberg mit einem freundlichen Vorwort begleitet hatte, ein eher zurückhaltendes Porträt und gibt zu bedenken: „Hätte er um seinen Stoff mehr ringen und kämpfen, mehr suchen und spekulieren müssen, wäre ihm nicht alles zugeflogen, ich glaube, er hätte weniger Werke zwar, dafür aber umso wertvollere geschaffen. #7“ Während Heiberg für Lobsien wenigstens noch ein großer Name ist, an dem er sich abarbeiten muss, ist er heute weitgehend vergessen und taucht auch in den einschlägigen literarischen Reiseführern kaum noch auf. Immerhin erinnert in Schleswig unweit seines Elternhauses eine Straße an ihn.

12.2.2021Jan Behrs

ANMERKUNGEN

1 Bernd Philipsen: Asta Heiberg. Später Ruhm als Memoiren-Autorin. Schleswiger Nachrichten, 9.10.2010. www.shz.de/lokales/schleswiger-nachrichten/spaeter-ruhm-als-memoiren-autorin-id2274561.html

2 Olaf Klose: „Heiberg, Hermann“. Neue Deutsche Biographie 8 (1969), S. 238 [Online-Version]. www.deutsche-biographie.de/pnd11657299X.html

3 Hermann Heiberg: Uns’ Korl. In: Schriften von Hermann Heiberg. Band 4: Novellen. Leipzig/Berlin: Wilhelm Friedrich o.J., S. 33.

4 Hermann Heiberg: Jeg elsker Dig. In: Schriften von Hermann Heiberg. Band 4: Novellen. Leipzig/Berlin: Wilhelm Friedrich o.J., S. 255.

5 Ernst Wechsler: Hermann Heiberg. Die Gartenlaube, Jg. 1890, Heft 27. S. 864.

6 Fred Oberhauser, Gabriele Oberhauser: Literarischer Führer durch Deutschland. Ein Insel-Reiselexikon für die Bundesrepublik Deutschland und Berlin. Frankfurt am Main: Insel 1983, S. 636.

7 Wilhelm Lobsien: Die erzählende Kunst in Schleswig-Holstein von Theodor Storm bis zur Gegenwart. Altona: Chr. Adolff 1908, S. 33.