Trittau

Wissenswertes

Im Osten des Kreises Stormarn, fast schon in Lauenburg, liegt in waldiger und hügeliger Umgebung die Gemeinde Trittau mit knapp 9.000 Einwohner*Innen. Seit langer Zeit verlaufen die Handelswege zwischen Hamburg, Lübeck und Schwerin durch diese Gegend, und dieser Tatsache verdankte Trittau sein Schloss: Es wurde 1326 gebaut und diente dem Schutz vor Raubrittern, die vom nahegelegenen Linau aus ihrem Gewerbe nachgingen. Dieses Schloss bestand bis 1775 und war Verwaltungszentrum des Amtes Trittau. Dennoch blieb der langsam hier entstehende Ort weitgehend agrarisch geprägt: Eines der ältesten und das bis heute wohl bekannteste Gebäude der Gemeinde ist die 1701 gebaute Wassermühle, die auch das Wappen ziert. Heute ist sie ein Kulturzentrum.    

Die Abgeschiedenheit bei gleichzeitig guter Erreichbarkeit lockte bereits im 18. Jahrhundert den erfolgreichen Pädagogen und Schriftsteller Joachim Heinrich Campe aus Hamburg nach „Trittow“ – 1782 berichtet er, dass er „vor einigen Monaten Gelegenheit gehabt, drei Meilen von hier ein kleines, recht idealisch schönes Freigut im Holsteinischen zu einem unglaublich geringen Preise zu kaufen, um einen Ruhesiz für den Abend meines Lebens zu haben.“ #1 Gemeint ist damit der Amtshof auf dem Gelände des gerade erst abgetragenen Schlosses, der sich in der heutigen Straße Zur Krim befand. Campe ist damit einer der ersten von vielen Hamburger*Innen, die später Trittau aufsuchen werden: Seit Beginn des 20. Jahrhunderts ist der Ort, der von 1907 bis 1952 von der Hansestadt aus auch per Bahn erreichbar war, ein beliebtes Ausflugsziel, und später lassen sich Pendlerinnen und Pendler hier am Rand des Hamburger „Speckgürtels“ dauerhaft nieder. Nach dem zweiten Weltkrieg treffen außerdem, wie überall in Schleswig-Holstein, zahlreiche Vertriebene aus den ehemals deutschen Ostgebieten ein – eine Tatsache, die für die Literaturgeschichte Trittaus bedeutsam werden wird.

Literarisches

Bereits mehr als ein Jahrhundert vor Campe zog in Gestalt von Christian von Stökken die Literatur in Trittau ein: Der gebürtige Rendsburger war von 1656 bis 1666 Pastor in der St. Johannis-Kirche (heute Martin-Luther-Kirche), bevor es ihn weiter nach Eutin zog. Stökken machte sich einen Namen als Verfasser und Bearbeiter von Kirchenliedern, und die Veröffentlichung von zwei seiner Werke, Neugestimmte Davids-Harfe und Heilige Friedens-Arbeit, fällt in die Trittauer Zeit.

Wie bereits erwähnt, verfolgte der Aufklärer Campe im 18. Jahrhundert ein anderes Modell und zog nicht wegen der Arbeit in den Ort: er wollte sich hier, nachdem seine Arbeit als Pädagoge ihn wohlhabend gemacht, aber auch ausgezehrt hatte, einen „Ruhesiz“ erschaffen. Dementsprechend erinnern seine ersten Äußerungen nach dem Umzug durchaus an die heutiger Stadtflüchtler*Innen. An einen Pädagogenkollegen schreibt er:

Ich selbst habe, seit ich Sie sahe, (Briefe abgerechnet) keine Zeile geschrieben, kein Buch gelesen; habe, ausser 3-4 Lehrstunden, nichts getan als gegraben, geharkt, gepflanzt, begossen von Morgens um 4 Uhr bis spät in die Nacht. Dafür genieße ich nun auch eines Grades von Gesundheit, den ich nie gekant habe, esse, verdaue, arbeite und schlafe meine 6 Stunden mit dem gesündesten und rüstigsten Bauern um die Wette. Sie werden mich nicht mehr kennen, wenn Sie mich sehen sollten.

Zitiert nach Hans-Jürgen Perrey: Joachim Heinrich Campe (1746-1818). Menschenfreund – Aufklärer – Publizist. Bremen: edition lumière 2010, S. 128.

Der Traum vom einfachen und ursprünglichen Landleben wird sich für Campe nicht erfüllen. Schon wenig später hat er seine Meinung über Trittau und besonders seine Bewohner*Innen grundlegend geändert. Er beklagt in einem Brief an den dänischen Beamten Johann Bülow,

daß ich unter Menschen lebe, die, weil sie mich für einen schuzlosen Fremdling halten, der keinen Anhang, keine Kenntniß der krummen Schleifwege der Schikane hat, von meinem stillen, friedfertigen und nachsichtigen Karakter auf alle Weise Vortheil zu ziehen, mich bei jeder unschuldigen Gelegenheit zu schikaniren und nach und nach zu unterdrükken suchen. […] Auf die Länge mögte dis doch nicht zu ertragen sein.

Zitiert nach Hans-Jürgen Perrey: Joachim Heinrich Campe (1746-1818). Menschenfreund – Aufklärer – Publizist. Bremen: edition lumière 2010, S. 134.

Als 1785 aus Wolfenbüttel ein verlockendes Stellenangebot kommt, greift Campe deswegen sofort zu.

Immerhin für kurze Zeit aber konnte sich das kleine Trittau als wahrer Musentempel fühlen, denn neben dem berühmten Aufklärer und Jugendbuchautoren Campe lebte von 1783 bis 1784 noch eine weitere seinerzeit namhafte Schriftstellerin im Ort: Caroline Rudolphi, die wie ihr Nachbar als Pädagogin arbeitete und später mit Johann Heinrich und Ernestine Voß, Friedrich Gottlieb Klopstock, Matthias Claudius und Jens Immanuel Baggesen befreundet war. Campe gab 1787, nach seinem Wegzug nach Wolfenbüttel, einen ihrer Gedichtbände heraus.

Mehr als hundert Jahre später wird das Trittauer Thema von Stadtmenschen auf dem Lande erneut literarisch aufgegriffen, nämlich von Sophie Jansen (1862-1942). Die wohlhabende Hamburgerin war 1895 mit ihrer Familie auf ein Gut in Grande (unmittelbar südlich von Trittau) gezogen und hatte ihre Erlebnisse in dem autobiografischen Debütroman Sofiensruh (1906) verarbeitet. Am Anfang steht genau wie bei Campe die Hoffnung auf ein selbstbestimmtes Leben abseits von den Ablenkungen der Großstadt:

Hier werde ich endlich mein Leben leben dürfen, werde mich an meinen Kindern freuen, den ganzen Tag mit ihnen zusammen sein, durch die Felder, durch die Auen wandeln, Blüten zum Kranz winden, „hausgemachtes“ Brot und Butter, Wurst und Käse, eigengewonnene Gemüse und Früchte, Eier und Milch genießen.

Freilich, von der Entstehung der meisten dieser Dinge habe ich nur sehr schattenhafte Begriffe, aber das soll ja gerade das Schöne und Interessante am Landleben werden, all das viele Neue, das man lernen wird.

Sophie Jansen: Sofiensruh. Wie ich mir das Landleben dachte und wie ich es fand. Neudamm: Neumann 1906, S. 2.

Der selbstironische Tonfall und der Untertitel des Buchs, „Wie ich mir das Landleben dachte und wie ich es fand“, deuten es bereits an: Die Existenz als Gutsherrin gestaltet sich komplizierter als gedacht, und am Ende des unterhaltsamen „Kaleidoskops aus alltäglichen Mühen, humorvollen Begebenheiten und naiv-skurrilen Personen“ #2 steht die recht abrupte Rückkehr in die Stadt.

Unter den vielen Flüchtlingen, die nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Trittau eine prekäre Heimat fanden, war auch der Schriftsteller Arno Surminski. Er lebte gut 15 Jahre hier und hat dem Ort in seinem zweiten Roman Kudenow oder An fremden Wassern weinen (1978) ein Denkmal gesetzt, freilich ein literarisch verfremdetes: Kudenow ist nicht identisch mit Trittau, verfügt aber doch über auffallende Ähnlichkeiten. Surminski macht in seinem Roman keinen Hehl daraus, dass den Flüchtlingen, die unter schwierigsten Bedingungen leben mussten und zudem noch von der alteingesessenen Bevölkerung beargwöhnt wurden, Schleswig-Holstein nicht als Paradies erscheinen konnte: „Hier soll die stille Weite des Nordens beginnen, aber es ist ein wildes Herumgedränge in Scheunen, Hühnerställen, auf Dachböden und in alten Katen.“ #3 Zu Ehren des Schriftstellers wurde 2016 die Trittauer Gemeindebücherei nach ihm benannt.

In der Umgebung

Direkt nördlich von Trittau liegt mit Grönwohld ein weiteres Mühlendorf, das literarisch vor allem mit dem niederdeutschen Dichter (und Nazi-Sympathisanten) Hermann Claudius verbunden ist. Drei weitere literarisch bedeutsame Orte des Kreises Stormarn liegen alle etwa 15 km entfernt in nordwestlicher Richtung: Ahrensburg, Bargteheide und Tremsbüttel. Östlich, im Kreis Herzogtum Lauenburg, sind mit Behlendorf der langjährige Wohnort von Günter Grass und mit Ratzeburg der Kindheitsort von Ernst Barlach zu entdecken. Die Hansestadt Lübeck ist etwa 40 km von Trittau entfernt.

14.02.2022 Jan Behrs

ANMERKUNGEN

1 Zitiert nach Hans-Jürgen Perrey: Joachim Heinrich Campe (1746-1818). Menschenfreund – Aufklärer – Publizist. Bremen: edition lumière 2010, S. 125.

2 Kai Dohnke: Aussteigerin auf Zeit. Sie dekonstruierte schon um die Jahrhundertwende die Idylle des Landlebens: Die Hamburger Schriftstellerin Sophie Jansen. die tageszeitung vom 6.3.1999, S. 23. Online unter https://taz.de/Aussteigerin-auf-Zeit/!1298835/.

3 Arno Surminski: Kudenow oder An fremden Wassern weinen. Roman. Hamburg: Hoffmann und Campe 1978, S. 44.