Matthias Claudius

Claudius, Matthias; Pseudonyme: Asmus; Invalide Görgel

"Wandsbeker Bote" und weit mehr als nur der Dichter des Abendliedes

Geboren in Reinfeld am 15. August 1740
Gestorben in Hamburg am 21. Januar 1815

Wir sind den ganzen Tag bei Bruder Claudius und liegen gewöhnlich bei seiner Gartenlaube auf einem Rasenstück im Schatten, und hören den Kukuk und die Nachtigall. Seine Frau liegt mit ihrer kleinen Tochter im Arm neben uns, mit losgebundenen Haaren, und als Schäferin gekleidet. So trinken wir Kaffee oder Thee, rauchen ein Pfeifchen dabei, und schwatzen, oder dichten etwas gesellschaftliches für den Boten […]

Briefe von Johann Heinrich Voß. Hg. Abraham Voß, Halberstadt 1829, Bd. 1, S. 192.

Diese liebliche Idylle über den Dichterfreund stammt von Johann Heinrich Voß und idealisiert das einfache Leben, das Matthias Claudius mit seiner Frau Rebecca und der Familie in Wandsbeck führt. (Der zu Holstein gehörende Marktflecken, heute ein Bezirk im Hamburger Osten, schreibt sich damals noch mit „ck“.)
Matthias Claudius wird als viertes Kind des Pastors Matthias Claudius und als zweites Kind von dessen zweiter Frau Maria, geb. Lorck, am 15. August 1740 im holsteinischen Reinfeld geboren. Über die mütterliche Familie ist er mit dem Schriftsteller Theodor Storm und dem Komponisten Johannes Brahms verwandt. Zusammen mit seinem ein Jahr älteren Bruder Josias besucht Claudius zunächst die Lateinschule in Plön und geht 1759 – wiederum gemeinsam mit dem Bruder, der schon 1760 an den Blattern stirbt – nach Jena, um Theologie zu studieren, wechselt jedoch nach kurzer Zeit zu den Wirtschafts- und Staatswissenschaften („Cameralwissenschaften“). In Jena wird Claudius zudem ordentliches Mitglied der „Teutschen Gesellschaft“, einer Gesellschaft zur Pflege der deutschen Sprache und Literatur. Er verlässt die Universität ohne Examen als étudiant en droit, damals nicht unüblich, und kehrt 1762 in das Elternhaus nach Reinfeld zurück. Viel Zeit verbringt Claudius mit Gottlob Friedrich Schönborn, zusammen lesen sie Homer, Platon und die Dramen Shakespeares, die zuvor in der Übersetzung von Christoph Martin Wieland herausgekommen sind.
1763 (gedruckt 1762 noch in Jena) veröffentlicht Claudius ein schmales Buch mit dem Titel Tändeleyen und Erzählungen. Es sind erste poetische Versuche im Stil der Anakreontik, entstanden auch unter dem Einfluss seines Vorbilds Heinrich Wilhelm von Gerstenberg, dem er noch kurz zuvor in Jena begegnet ist und mit dem ihn fortan eine lebenslange Freundschaft verbindet. Obwohl die Kritik vernichtend ist und das Büchlein als Plagiat verrissen wird, kommt es im Jahr darauf zu einer 2. Auflage. Sein wohl ältestes Gedicht, An eine Quelle aus dem Jahr 1760, übernimmt er später als einziges aus dieser frühen Phase in seine Werkausgabe. 1764/65 wird Claudius für knapp ein Jahr Sekretär beim Grafen Ulrich Adolph von Holstein in Kopenhagen, das seit der Mitte des 18. Jahrhunderts zu einem „geistigen Zentrum“ und einem „Sammelbecken aufklärerischer Tendenzen“ #1 avanciert ist. Dort lernt er in einem geselligen, kulturell anregenden Umfeld u. a. Friedrich Gottlieb Klopstock, den Dichter des Messias kennen.
Nach einem erneuten Aufenthalt im Reinfelder Elternhaus bekommt Claudius 1768 über Klopstock eine Stelle in Hamburg. Zweimal die Woche gibt es in den 1767 gegründeten „Hamburgischen Adreß-Comptoir-Nachrichten“, für die Claudius als Redakteur tätig wird, Informationen über Handel, Schifffahrt, Börse, lokale Neuigkeiten und etwas Unterhaltung zu lesen. Claudius Aufgabe besteht darin, das Nachrichtenmaterial zu sammeln, zu ordnen und für den Druck vorzubereiten. Vielleicht aus Langeweile beginnt er, die trockenen Nachrichten literarisch zu ergänzen und kleine geistreiche Betrachtungen und Gedichte einzustreuen. Damit beginnt er nun auch, einen „eigenen unverwechselbaren Stil auszubilden“. #2 Als Redakteur in Hamburg lernt er zudem bedeutende Persönlichkeiten kennen, u. a. Gotthold Ephraim Lessing, den Komponisten Carl Philipp Emanuel Bach und den vier Jahre jüngeren Johann Gottfried Herder, der mit Fragmente über die neue deutsche Literatur bereits ein einflussreiches Werk vorgelegt hat. Claudius‘ Tätigkeit in Hamburg endet allerdings schon 1770 mit einer Kündigung.  
Aber es bahnt sich etwas Neues an, und zwar in Wandsbek, einem Dorf im Holsteinischen, verkehrsgünstig, gerade einmal eine Fußstunde von Hamburg gelegen. 1771 wird Claudius Redakteur der vom Wandbeker Gutsherrn Graf Heinrich Carl Schimmelmann neu gegründeten und von dem Hamburger J. J. Ch. Bode verlegten Zeitung „Der Wandsbecker Bothe“. Bekannt wird die Zeitung weit über die Wandsbeker Grenzen #3 hinaus, vor allem wegen der vierten Seite, die „gelehrte Sachen“ enthält. Heute wäre es das Feuilleton, von Claudius als Raum für eigene literarische Arbeiten genutzt. Diesen Teil bestreitet er jedoch nicht allein, vielmehr kann er Beiträge, u. a. von Gotthold Ephraim Lessing, Friedrich Gottlieb Klopstock, Johann Gottfried Herder, Johann Heinrich Voß, Johann Wilhelm Ludwig Gleim, Ludwig Christoph Heinrich Hölty, Heinrich Christian Boie und sogar von dem späteren Dichterfürsten Johann Wolfgang von Goethe gewinnen. Trotz ihrer überregionalen Reputation ist die Zeitung allerdings kein kommerzieller Erfolg. Mitte des Jahres 1775 erhält Claudius abermals die Kündigung, im selben Jahr veröffentlicht er unter dem etwas sperrigen Titel Asmus omnia sua secum portans (Asmus, all das Seine mit sich tragend) ein schmales Bändchen, den I. und II. Teil der Sämtlichen Werke. Im Wesentlichen findet man dort die eigenen Beiträge aus viereinhalb Jahren Wandsbecker Bothe, ein paar ältere Stücke aus den Adreß-Comptoir-Nachrichten sowie dem Göttinger Musenalmanach. Claudius ist nun ein namhafter, dem literarischen Publikum in Deutschland weithin bekannter Autor. Der Titel der Wandsbeker Zeitung wird zu seinem lebenslangen Markenzeichen: Er ist und bleibt der ‚Wandsbecker Bothe‘.
Durch Vermittlung und Fürsprache seines Freundes Herder erhält Claudius 1776 in Darmstadt eine Stelle bei einer neu eingerichteten Land-Commission, einer zu Reformen eingesetzten Behörde. Zu seinen Aufgaben gehört seit 1777 auch die Schriftleitung der neuen „Hessen-Darmstädtischen privilegirten Land-Zeitung“. Man hegte wohl die Hoffnung, dass er das Blatt, das auch zur Popularisierung obrigkeitlicher Reformmaßnahmen beitragen soll, zu dem gleichen Ansehen wie anfangs den Wandsbecker Bothen bringt und es über die Landesgrenzen hinaus bekannt macht. Soweit soll es jedoch nicht mehr kommen, denn auch diese Tätigkeit für die Land-Zeitung ist nur von nur kurzer Dauer. Claudius erkrankt schwer und kehrt nach der Genesung 1777 mit seiner noch kleinen Familie nach Wandsbek in sein altes Haus zurück.
Wandsbek wird endgültig zu seinem Lebensmittelpunkt. Die Kinderschar wächst an. Seine Ehefrau Rebecca (geb. Behn), sein – wie er sie nennt – Bauernmädchen, obwohl sie keine Bäuerin, sondern die Tochter eines Wandsbeker Zimmermeisters und Gastwirts ist, bringt 12 Kinder zur Welt. Drei werden noch vor ihm sterben, zwei im Kleinkindalter, die zweite Tochter, Christiane, als junge Erwachsene im Alter von 20 Jahren. Unter dem Titel Der verschwundene Stern nehmen Clemens Brentano und Achim von Arnim das ihrem Andenken gewidmete Gedicht Christiane in die Sammlung Des Knaben Wunderhorn auf:

 

Es stand ein Sternlein am Himmel,
     Ein Sternlein guter Art;
Das tät so lieblich scheinen,
    So lieblich und so zart!

Matthias Claudius: Sämtliche Werke (SW), Gedichte-Prosa-Briefe in Auswahl, Sonderausgabe Die Tempel-Klassiker, Wiesbaden o. J., Bd. 6, S. 434.

Um das karge Budget aufzubessern, denn von der Schriftstellerei allein kann er nicht leben, nimmt Claudius Zöglinge auf, und er übernimmt diverse Übersetzungsaufträge aus dem Französischen. Ab 1785 bezieht er eine Jahrespension des dänischen Kronprinzen Friedrich, des späteren (ab 1805) König Friedrich VI., und 1788 wird er zum Revisor der Altonaer Species-Bank ernannt. Die finanzielle Not der Anfangsjahre ist vorbei.

Claudius ist mehr als nur der Dichter des Abendliedes

Der Mond ist aufgegangen,
Die goldnen Sternlein prangen
Am Himmel hell und klar. […]

Matthias Claudius: Sämtliche Werke (SW), Gedichte-Prosa-Briefe in Auswahl, Sonderausgabe Die Tempel-Klassiker, Wiesbaden o. J., Bd. 4, S. 218.

und der zahlreichen, noch heute sehr beliebten Kalendersprüche wie „Sage nichts alles, was Du weißt, aber wisse immer, was Du sagest“ #4, „Halte Dich zu gut, Böses zu tun“ #5 und „Wenn jemand eine Reise tut, so kann er was (v)erzählen“. #6 Sein Werk hat viele Facetten: Es steht für die Idee des Friedens (Kriegslied), der religiösen Toleranz (An meinen Sohn Johannes) und es enthält das wohl erste bedeutende deutsche Gedicht gegen die Sklaverei und den internationalen Sklavenhandel (Der Schwarze in der Zuckerplantage). Bis 1803 wächst der Asmus, die Ausgabe seiner Werke, auf sieben Teile heran. In „dieser Fiktion einer Zeitschrift“ steht neben Informierendem und Unterhaltendem, Belehrendem und Erbaulichem auch Kritisches. Gedichte, Betrachtungen, Aphorismen, Abhandlungen, Rezensionen, fingierte Briefe, Epigramme und Fabeln wechseln sich in bunter Folge ab. 1812 kommt noch ein 8. Teil als „Zugabe“ hinzu. Dieser enthält fast nur Beiträge mit religiöser Thematik.
1813 flieht Claudius zusammen mit seiner Frau vor den napoleonischen Truppen über Westensee und Gut Emkendorf nach Kiel und Lübeck. Seine letzten Monate verbringt er bei seiner Tochter Caroline und dem Schwiegersohn, dem Buchhändler Friedrich Christoph Perthes in Hamburg. In dessen Haus am Jungfernstieg verstirbt er am 21. Januar 1815 und wird vier Tage später auf dem Friedhof neben der Christus-Kirche in seinem geliebten Wandsbek beigesetzt.

24.6.2021 Erle Bessert

ANMERKUNGEN

1 Matthias Claudius: Unterm Mond ist viele Freude – Lyrik und Prosa. Hg. Günter Albrecht, Leipzig 1981, S. 8.

2 Dr. Reinhard Görisch: Leben als Hauptberuf. Marburg 2014, S. 11.

3 Das Wappen des Bezirks Wandsbek erinnert noch heute mit den Symbolen Hut, Tasche und Wanderstab an den Wandsbecker Bothen.

4 „An meinen Sohn Johannes“, 1799. In: Sämtliche Werke (SW), Gedichte-Prosa-Briefe in Auswahl, Sonderausgabe Die Tempel-Klassiker, Wiesbaden o. J., Bd. 7, S. 508.

5 SW, Bd. 7, S. 506.

6 „Urians Reise um die Welt“. SW, Bd. 5, S. 352.