Heinrich Christian Boie
Boie, Heinrich Christian.
Landvogt von Süderditmarschen, lyrischer Dichter und Herausgeber des »Göttinger Musenalmanachs«
Geboren in Meldorf am 19. Juli 1744
Gestorben in Meldorf am 25. Februar 1806
Die Spuren, welche der schleswig-holsteinische Predigersohn Heinrich Christian Boie in der deutschsprachigen Literaturgeschichte hinterlassen hat, sind eher unauffällig, indirekt; die bemerkenswerteste unter ihnen ist bis heute sicherlich die Gründung der ersten Literaturzeitung Deutschlands im Jahre 1770: des Göttinger Musenalmanachs. Eben jener macht Boie rasch zu einer der wichtigsten Vermittlerinstanzen zwischen Literatur und Leserschaft im ausgehenden 18. Jahrhundert.
Geboren wird Heinrich Christian Boie 26 Jahre zuvor im Dithmarscher Flecken Meldorf als Sohn von Katharina Boie, geborene Haberkorn, und des Predigers und späteren Propstes von Flensburg, Johann Friedrich Boie. Die Boies (auch Bojes) zählen damals zu den sogenannten „hübschen [d.h. höfischen] Familien“ und repräsentieren somit die Spitze des dritten Standes, des Bürgertums. Diese Herkunft ermöglicht es Heinrich Christian schließlich auch, die schleswig-holsteinische Provinz vorübergehend zu verlassen und in der Fremde das Jurastudium aufzunehmen, zunächst in Jena (1764-1767), nach einer Unterbrechung ab 1769 dann in Göttingen. Seine literarischen Ambitionen sind da schon derart ausgeprägt, dass der Student bereits im nächsten Jahr gemeinsam mit dem Lyriker und Schriftsteller Friedrich Wilhelm Gotter mit dem Göttinger Musenalmanach eine erste Sammlung literarischer Texte publiziert. Als alleiniger Herausgeber betreibt Boie den Almanach bis 1774. Zahlreiche junge literarische Stimmen der Sturm-und-Drang-Strömung kommen in der Zeitung zu Wort, darunter Ludwig Christoph Heinrich Hölty, Johann Wolfgang Goethe und Gottfried August Bürger. Bald schon wird Boie nicht nur zum Mittler, sondern vor allem auch zum Mentor des Göttinger Hainbunds, einer Gruppe naturverehrender Literaten, die im September 1772 u.a. von seinem Freund Johann Heinrich Voß gegründet wird. (Selbiger Voß heiratet fünf Jahre später Boies Schwester Ernestine.)
Nachdem Heinrich Christian Boie die Herausgeberschaft des Almanachs abgegeben hat, tritt er zunächst 1776 das Amt eines Stabssekretärs in Hannover an. Zeitgleich gibt er die monatliche Literatur- und Philosophiezeitung Deutsches Museum heraus. Im Göttinger Musenalmanach, der unter der Leitung von Voß weitergeführt wird, veröffentlicht Boie regelmäßig eigene Gedichte, über Jahre hinweg, wie diese 1780 entstandene, 1792 veröffentlichte schwärmerische Ode an die Emkendorfer Muse Friederike Juliane von Reventlow:
An die Gräfin Julie Reventlow geb. Schimmelmann
Kopenhagen, 16. August 1780.Nicht Menschen nur, Du lenkst auch Götter,
O Julia, und Wind und Wetter!
Mit holdem Zauberlicht umgoßen
War schon ein Mond bei Dir verfloßen.
Du lächeltest: Hain, Meer, Gefilde
Ward mir ein Abglanz Deiner Milde,
Und was Dich liebet, was Dich ehret,
Schien freundlich auch zu mir gekehret.Mein Geist erhub sich wonnetrunken;
Doch bald zum eignen Werth gesunken,
Entsagt' er jener hohen Freude
Und rief mir: „Faße Mut und scheide!“
Schon sah ich mich getrennt von allen
Und still am krummen Ufer wallen,
Bald schwebend auf der blauen Wüste,
Gelandet bald an Holsteins Küste,
Die heimisch zwar und traulich winket,
Doch minder Heimat mir jezt dünket.Da lächelst Du dem Gott der Winde –
Und folgsam gleich Cytherens Kinde,
Das, seit es Deiner Macht gehuldigt,
Kein Mensch der Unrat mehr beschuldigt,
Hemmt er den Nord, dem schon die Wogen
Vor Moens Geklipp vorüber flogen,
Und heißt mit sanftem Wellenkräuseln
Den Südwind mir entgegen säuseln.
Die anfängliche Sympathie Boies für die sozial wie künstlerisch engagierte Gräfin von Reventlow und ihren Emkendorfer Kreis weicht allerdings schon bald der Abneigung gegen dessen religiösen Dogmatismus und restaurativen, antiaufklärerischen Geist.
1781 kehrt Heinrich Christian Boie in seine schleswig-holsteinische Heimat zurück und übernimmt das Amt des Landvogtes in Süder-Dithmarschen. Er heiratet 1785 in Celle seine langjährige Brieffreundin Luise Justine Mejer (wie er Angehörige einer „hübschen Familie“), die tragischerweise bereits im darauffolgenden Jahr im Kindbett verstirbt. Seine zweite Frau, Sarah von Hugo, die er 1788 ehelicht, schenkt ihm binnen weniger Jahre vier Söhne, darunter der später berühmte Zoologe und Forschungsreisende Heinrich und der erfolgreiche Jurist und Ornithologe Friedrich.
Daneben widmet sich Boie der Botanik, schreibt weiterhin eifrig Gedichte, die vor allem im Musenalmanach publiziert werden, schließlich auch größere Verserzählungen. Zwischen 1789 bis 1791 gibt er das Neue Deutsche Museum heraus. 1804 erscheint seine einzige Einzelveröffentlichtung, die Lieder der Freude, mit denen Boie, mittlerweile zum dänischen Justiz- und Etatsrat aufgestiegen, die Geburtstage des dänischen Königs und des Kronprinzen feiert.
Mit dem Mathematiker, Kartografen und Arabienforscher Carsten Niebuhr, der seit 1778 ebenfalls in Meldorf lebt und dort als Justizrat, Landschreiber und zuletzt als Etatsrat arbeitet, verbindet ihn bis zu dessen Tod 1815 eine innige Freundschaft. Nur ein Jahr später stirbt er selbst. Am Meldorfer Rathaus erinnert heute eine Plakette an Heinrich Christian Boies Wohnhaus, das einst an dieser Stelle gestanden hat.
14.3.2021Jens Raschke
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WERKE
• Karl Weinhold: Heinrich Christian Boie. Beitrag zur Geschichte der deutschen Literatur im achtzehnten Jahrhundert. [enthält eine Bibliografie der Erstdrucke sowie etliche Gedichte Boies] Halle: Buchhandlung des Waisenhauses 1868.
• Boie, Heinrich Christian ; Luise Mejer: Ich war wohl klug, dass ich dich fand. Briefwechsel. 1777 - 1785. Hrsg. von Ilse Schreiber. [Mit e. Vorw. von Joachim Kaiser]. München: Biederstein-Verlag 1971. (erstmals: 1961).
• Küchmeister, Kornelia: Der Familiennachlass Boie-Voß in der Schleswig-Holsteinischen Landesbibliothek Kiel. In: Johann Heinrich Voß. Beiträge zum Eutiner Symposium im Oktober 1994. Hrsg. von Frank Baudach u. Günter Häntzschel. Eutin: o.V. 1994.
• Boie, Heinrich Christian; Luise Justine Mejer: Briefwechsel 1776-1786. Hg. v. Regina Nörtemann in Zusammenarbeit mit Johanna Egger. 4 Bände. Göttingen: Wallstein 2016.