Julia Gräfin von Reventlow

Reventlow, Friederike Juliane Gräfin von

Gastgeberin des "Emkendorfer Kreises" und Autorin pädagogischer Schriften

Geboren in Kopenhagen am 16. Februar 1762
Gestorben in Emkendorf am 27. Dezember 1816

Als das „Weimar des Nordens“ ist das Herrenhaus Emkendorf mitsamt seinem dort seit 1790 tagenden „Emkendorfer Kreis“, einem antiaufklärerischen Musen- und Literaturzirkel romantisch-pietistischer Prägung, in die norddeutsche Geistesgeschichte eingegangen.

Sieben Jahre zuvor erbt der schleswig-holsteinische Adelsspross Friedrich Karl von Reventlow das herrschaftliche Gut im Kreis Rendsburg-Eckernförde von seinem Vater, Detlev von Reventlow. Friedrich hat 1779 in der Schlosskirche Ahrensburg die gerade 17-jährige Juliane Friederike von Schimmelmann, Tochter des dänischen Schatzmeisters Heinrich Carl von Schimmelmann und seiner Frau, Caroline Tugendreich von Friedeborn, sowie Schwester des dänischen Finanzministers Ernst von Schimmelmann, geheiratet, von der es in einem deutschsprachigen Personenlexikon aus dem Jahre 1889 durchaus anerkennend heißt, sie habe sich bereits in jungen Jahren „eine mehr als gewöhnliche Bildung angeeignet“. #1

Nach dem Tode Heinrich von Schimmelmanns, der aus dem karibischen Zuckerhandel (und somit letztlich durch Sklavenarbeit) ein fulminantes Erbe erwirtschaftet hat, nutzt das Ehepaar Reventlow einen Teil des hinterlassenen Geldes, um Gut Emkendorf prachtvoll auszubauen und ab 1790 regelmäßig andere Gutsbesitzer, Beamte und einige der namhaftesten zeitgenössischen Persönlichkeiten zum intensiven Debattieren und Philosophieren einzuladen: Friedrich Gottlieb Klopstock, Matthias Claudius, Johann Caspar Lavater, Johann Heinrich Voß, Heinrich Christian Boie und Friedrich Leopold zu Stolberg-Stolberg gehören schon bald zur Spitze des Emkendorfer Kreises, der sich vehement gegen die Auswüchse der Französischen Revolution und den voranschreitenden Rationalismus in der Theologie (wie er zunehmend auch an der Universität Kiel gelehrt wird) wendet. Dabei wird Juliane, genannt Julia, vor allem die Rolle der charmanten Gastgeberin, aber auch die der maternalistisch-sozialen Fürsorgerin zuteil:

Die Gräfin war die Seele des Hauses, geistreich, liebenswürdig, in hohem Grade wohltätig, zugleich insbesondere besorgt für die Bildung und das Wohlsein ihrer Gutsuntergehörigen. Sie zog alle, die mit ihr in Verbindung kamen, mächtig an durch Seelenmilde, zartes Gefühl, lebhafte Empfänglichkeit.

Allgemeine deutsche Biographie, Band 28. Reinbek/Leipzig 1889, S. 337.

Die Sklaverei lehnt die junge Frau vehement ab, verfasst für die eigenen Bediensteten dafür die an Johann Heinrich Pestalozzis Roman Lienhard und Gertrud geschulten, religiös motivierten pädagogischen Ratgeberbüchlein Sonntagsfreuden des Landmanns (1791) und Kinderfreuden oder Unterricht in Gesprächen (1793), die beide in Kiel erscheinen. Als Verfasserin von prosaischen Texten tritt sie 1796 in Erscheinung, als sie zu Johann Georg Jacobis populärem Taschenbuch für 1796 die „drei kleinen prosaische[n] Parabeln“ #2 „Die Quelle“, „Der Wanderer“ und „Die Turteltauben“ beisteuert.

In den Jahren 1795 bis 1797 hält sich das reisefreudige Ehepaar von Reventlow im geliebten Italien auf, nicht zuletzt auch, um die heimische Sammlung an Kunstschätzen aufzustocken. Etwa zur gleichen Zeit nähert sich Juliane, obgleich aus lutherischem Hause, zaghaft dem Katholizismus an, den sie zwar nie annimmt, aber mit Interesse und großer Toleranz beobachtet.

1814 adoptiert das kinderlose Ehepaar die Söhne von Julianes Nichte Caroline Friederike aus ihrer Ehe mit dem geflohenen und auf Gut Emkendorf untergekommenen und soeben verstorbenen französischen Adligen Francois Valentine, Marquis le Merchier de Criminil, Joseph und Heinrich.

Zwei Jahre später stirbt auch Juliane Friederike von Reventlow auf Gut Emkendorf an den Folgen einer langjährigen Schwindsucht. Ihre letzte Ruhestätte findet der „leidende Julia-Engel“, wie sie aufgrund ihrer zuweilen überirdisch anmutenden Frömmigkeit genannt wird, auf dem Friedhof der St. Catharinen-Kirche in Westensee.

7.6.2021 Jens Raschke

ANMERKUNGEN

1 Gemeint ist das Gedicht Geh nicht hinein von 1879, in dem der erschütternde Eindruck thematisiert wird, den der Anblick der Leiche des sechszehnjährigen Theodor von Reventlow auf Storm gemacht hat. Franziska von Reventlow schildert in ihrem autobiografischen Roman Ellen Olestjerne eine ähnliche Szene aus der Perspektive der Schwester des Verstorbenen.

2 Franziska zu Reventlow: Nach Jahren. Sämtliche Werke in fünf Bänden. Hrsg. v. Michael Schardt. Bd. 5: Gedichte, Skizzen, Novellen, Sonstiges. Oldenburg: Igel 2004, S. 47. In den Erinnerungen an Theodor Storm wird der Seedeich in Husum als Lieblingsort Storms und mit sehr ähnlichen Worten beschrieben.

3 Franziska zu Reventlow: Ellen Olestjerne. Sämtliche Werke in fünf Bänden. Hrsg. v. Michael Schardt. Bd. 1: Romane 1. Oldenburg: Igel 2004, S. 85.

4 Andreas Thomasberger: Nachwort. In: Franziska zu Reventlow: Sämtliche Werke in fünf Bänden. Hrsg. v. Michael Schardt. Bd. 2: Romane 2. Oldenburg: Igel 2004, S. 314.