Carsten Niebuhr

Niebuhr, Carsten

Mathematiker, Kartograf und Forschungsreisender in dänischen Diensten

Geboren in Lüdingworth (heute Cuxhaven) am 17. März 1733
Gestorben in Meldorf am 26. April 1815

Carsten Niebuhr
Forschungsreisender
1757 - 1760

meldet eine schlichte Gedenktafel am Haus Groner Straße 11 in Göttingen. Einen Menschen mit einem einzigen Wort zu beschreiben ist nicht einfach, aber bei Niebuhr geht das. Sein Leben stand im Zeichen der „Arabischen Reise“. Geboren 1733 als Bauernsohn im Land Hadeln, hatte Carsten Niebuhr sich sein Universitätsstudium hart erkämpft. In Göttingen studierte er Mathematik, Geometrie und Astronomie mit dem Berufsziel Landvermesser. Die junge Universität Göttingen war zu einer führenden Lehrstätte im Zeitalter der Aufklärung aufgestiegen. Selbstständiges kritisches Denken wurde dort gefördert; Wissenschaft wurde unabhängig von kirchlichen Lehrmeinungen betrieben. Die geistige Elite Europas war damals gut vernetzt. Das Gedankengut der Aufklärung war weniger nationalstaatlich als kosmopolitisch orientiert. Auch einige absolutistische Höfe schätzten aufklärerische Ideen, jedenfalls in Wissenschaft und Kultur. Dazu gehörte Kopenhagen unter der Regentschaft Friedrichs V. So war es kein Zufall, dass der Göttinger Orientalist Johann David Michaelis sich nach Kopenhagen wandte mit der Frage, ob der dänische König nicht eine Expedition nach Ägypten und Arabien finanzieren wolle, um mit neuen Erkenntnissen zur Geographie, Naturkunde und Sprache des Morgenlandes die Texte der Bibel auf eine wissenschaftliche Grundlage zu stellen? Vieles, wie zum Beispiel die Heuschreckenplage, die über Ägypten kam, kannte man in Europa nur vom Hörensagen. Zum Verständnis der Bibel war genaueres Wissen erforderlich. Über Pflanzen und Tiere zum Beispiel, die im Alten Testament vorkommen. Über die genaue Gestalt des Roten Meeres. Oder über Südarabien, von dem man fast nichts wusste. Geeignete Wissenschaftler seien ihm bekannt, schrieb Michaelis nach Kopenhagen.

Der dänische König sagte zu und entsandte 1761 eine sechsköpfige Expedition nach Arabien. Sie hatte das alleinige Ziel, wissenschaftliche Erkenntnisse zu sammeln. Weder Handelsvorteile noch koloniale Eroberungen waren beabsichtigt. Das war neu im Kontext europäischer Weltaneignung. Die Reiseroute sollte über Konstantinopel nach Alexandria und Kairo führen, zu den Pyramiden, zum Berg Sinai und über das Rote Meer nach Mokka in Südarabien. Teilnehmer waren der Däne Frederik Christian von Haven als arabischkundiger Philologe, der Schwede Pehr Forsskål als Naturkundler, Carsten Niebuhr als Geometer und Kartograf, Georg Wilhelm Baurenfeind als Expeditionszeichner, Christian Carl Cramer als Arzt und ein schwedischer Dragoner namens Berggreen als Bursche für alles.

Die Reise dauerte von 1761 bis 1767. Carsten Niebuhr kam als einziger Überlebender zurück. Alle anderen waren unterwegs an Malaria gestorben: von Haven und Forsskål im Jemen, Baurenfeind und Berggreen auf der Überfahrt nach Indien, Cramer in Mumbai. Dass man nach Indien übersetzte, war eigentlich nicht vorgesehen, aber im Jemen ging es dem überlebenden Rest der Gruppe so schlecht, dass der gesamte Erfolg der Mission gefährdet war. Die wertvollen Sammlungen, Messergebnisse, Aufzeichnungen, Kartenskizzen und Reisetagebücher mussten unbedingt nach Kopenhagen expediert werden, und Dänemark hatte Kolonien in Indien.

Seit Anfang 1764 war Carsten Niebuhr allein verantwortlich für den Erfolg der Unternehmung. Von Mumbai aus ließ er die naturkundlichen Sammlungen und ein Konvolut wertvoller orientalischer Handschriften in die dänische Kolonie Trankebar und von dort nach Kopenhagen verschiffen. Er selbst machte sich Ende 1764 auf den Rückweg. Der dauerte drei Jahre und führte über den Persischen Golf, Irak und Iran. Meist zu Pferd mit Karawanen unterwegs, hatte Niebuhr sich längst arabischen Lebensgewohnheiten angepasst. Worauf er rückblickend seinen guten Gesundheitszustand zurückführte. Überhaupt war er erstaunlich vorurteilsfrei gegenüber religiösen, kulturellen und ethnischen Unterschieden. Nicht nur um Konflikte mit Andersgläubigen zu vermeiden, wohl auch aus Überzeugung. Religiöse Dispute lagen ihm eher fern. Das Interesse des Mathematikers war, genau wie es in den Reiseinstruktionen gefordert war, „so viele Entdeckungen für die Gelehrsamkeit zu machen als möglich“. Niebuhr beobachtete, vermaß, notierte. Allein in den Ruinen der alten Residenz Persepolis blieb er, messend und zeichnend, mehr als drei Wochen. Seine Kopien altpersischer Inschriften wurden später Grundlage für die Entzifferung der Keilschrift. Über Palästina, Konstantinopel und den Balkan kehrte er nach Dänemark zurück. Ende 1767, fast volle sieben Jahre nach der Abreise, war er wieder in Kopenhagen.

Ein erster Band Beschreibung von Arabien erschien 1772 in Kopenhagen. Zwei weitere Bände Reisebeschreibung nach Arabien und andern umliegenden Ländern folgten 1774 und posthum 1837. Zwischendurch publizierte Niebuhr die botanischen und zoologischen Untersuchungen von Forsskål. 1776 wurde in Kopenhagen sein Sohn Barthold Georg Niebuhr geboren, der sich später als Historiker einen Namen machen sollte.

Dass Carsten Niebuhr 1778 in Meldorf sesshaft wurde, hatte mit den veränderten politischen Verhältnissen im Königreich Dänemark zu tun. Nach dem Tod Friedrichs V. und der Affäre Struensee liebte man dort die Deutschen nicht sehr. Niebuhr blieb in dänischen Diensten, bat aber um Versetzung. Er erhielt einen Verwaltungsposten in Süderdithmarschen, das damals zu Dänemark gehörte. Als „Landschreiber“ (Steuereinnehmer) war er der zweithöchste Regierungsbeamte der Region. Es fiel ihm nicht leicht, sich an das Leben im provinziellen Meldorf zu gewöhnen. Einen Freund und Vertrauten fand er in Heinrich Christian Boie, der ebenfalls in Göttingen studiert hatte und 1781 Landvogt von Meldorf wurde. Über Boie ergab sich der Kontakt zu Johann Heinrich Voß, auch ein ehemaliger Göttinger Student, der als Lateinschulrektor, Übersetzer und Schriftsteller in Eutin lebte und Boies Schwester Ernestine geheiratet hatte. Die persönliche Verbindung zwischen Meldorf und Eutin blieb eng. Aber in seinen letzten Lebensmonaten stand dem im Alter erblindeten Carsten Niebuhr nicht Meldorf vor Augen, sondern Persepolis und die Schönheit des orientalischen Sternenhimmels.

Auf dem Nordermarkt in Meldorf erinnert heute eine Büste an den berühmten Bürger der Stadt.

14.5.2021 Susanne Luber