Arno Surminski

Surminski, Arno

Brückenbauer der Verständigung

Geboren in Jäglack (Jegławki) bei Drengfurth/Ostpreußen am 20. August 1934

„Zehn Jahre alt war Arno Surminski, als die Rote Armee ins ostpreußische Jäglack kam und der Krieg seine Kindheitsidylle zerstörte.“ #1 Und als Elfjähriger verlor er „auch das Dorf seiner Kindheit, die Landschaft Ostpreußens, seine Heimat“. #2 Kein Wunder also, wenn Surminskis Bücher „meist von seiner ostpreußischen Heimat und dem Schicksal der Vertriebenen handeln“. #3 Aber der Autor betont auch: „Heimat hat für mich mit Menschen zu tun.“ #4 Auf Reisen hat er oft Sehnsucht nach dem Zuhause, allerdings entweder nach Hamburg oder nach Wacken (Kreis Steinburg), wo er seit 1975 einen Zweitwohnsitz unterhält: „Weil hier Menschen leben, die mir wichtig sind“. #5 Darüber hinaus ist der Autor naturverbunden: 1989 kaufte er in Wacken einen neben dem Haus liegenden Acker und pflanzte darauf 10.000 Bäume. Da er damals schon an Umweltschutz dachte, waren es ausschließlich Laubbäume.

Arno Surminski ist am 20. August 1934 im heutigen Jegławki geboren und verbrachte die Kindheit in Ostpreußen. Nach Kriegsende wurden seine Eltern in die Sowjetunion deportiert, während er in Trittau aufwuchs, wo er „von einer kinderreichen Flüchtlingsfamilie aus seiner Heimat“ aufgenommen wurde. #6 „Nach einer Lehre in einem Rechtsanwaltsbüro (1950–53) wagte Surminski 1955 einen neuen Aufbruch als Holzfäller in Kanada (bis 1957).“ #7 Nach Deutschland zurückgekehrt, arbeitete er von 1962 bis 1972 „als Angestellter in der Rechtsabteilung einer Hamburger Versicherungsgesellschaft“. #8 Ab 1972 war er neben der schriftstellerischen Arbeit als freier Wirtschafts- und Versicherungsfachjournalist tätig und von 2001 bis 2007 „Ombudsmann des Verbandes der Privaten Krankenversicherungen“. #9 Er ist verheiratet und hat drei Kinder.

Surminskis großes Thema ist die verlorene Heimat Ostpreußen „in der Spannung von biografischer Reminiszenz und fiktionaler Imagination“. #10 Er schreibt – hierin Siegfried Lenz vergleichbar – „atmosphärisch dichte, im Detail fesselnde, ohne nationales Ressentiment konstruierte epische Erinnerungs- und Bewusstseinsräume mit einem farbigen Personal im Geflecht signifikanter Anekdoten und sprechender Szenen“. #11 Dabei fungieren Landschaft und Milieu als „soziale Arbeits- und Erfahrungszentren, geprägt von Relikten der Tradition, von Dumpfheit und Aufbruch, von Insignien der Alltagskultur und von den ambivalenten Erlebnissen der endlich in die Katastrophe mündenden Zeitgeschichte“. #12

1974 erschien Surminskis erster Roman Jokehnen oder Wie lange fährt man von Ostpreußen nach Deutschland? „Es ist die Geschichte eines dörflichen Kosmos, zugleich die mit der Zeit des Nationalsozialismus anhebende Lebensgeschichte des ostpreußischen Jungen Hermann Steputat, der geboren wurde, als Paul Hindenburg starb‘ und der sich in den Wirren der letzten Kriegsmonate allein nach Westdeutschland durchschlägt.“ #13 2012 sagte der Autor dazu:

Mich treibt kein zu bewältigendes Trauma. Mich interessieren die Geschichte und ihre Darstellung. Deshalb habe ich Jokehnen auch aus der Sicht eines Kindes erzählt, aus der Froschperspektive – damit ich einfach nur schildern konnte, was war und wie es war. Ich wollte keine Schuldfragen, keine Anklagen erheben, keine Forderungen stellen. Für mich persönlich war die Vertreibung ein Segen, ohne sie hätte ich den Winter 1945/46 nicht überlebt. Es gab nichts zum Heizen und nichts zum Essen.

Frank Trende: „Es gibt nicht nur gut, es gibt nicht nur schlecht“. Ein Gespräch über erzählte Zeitgeschichte mit Arno Surminski. In: Littera Borealis. Edition zur zeitgenössischen Literatur im Norden. Ausgabe 11: Arno Surminski, hg. v. d. Sparkassenstiftung Schleswig-Holstein, Kiel 2012, S. 7–11, hier S. 9.

Der Roman, der 1987 als Dreiteiler für das Fernsehen verfilmt wurde, ist der erste Teil von Surminskis Ostpreußen-Trilogie, die 1978 mit Kudenow oder An fremden Wassern weinen fortgesetzt und 1989 mit Grunowen oder Das vergangene Leben abgeschlossen wird. „Die drei Bände und auch manche der folgenden Werke leisten Trauerarbeit. Sie gehören zu einer keineswegs süßlichen, sondern oft auch schonungslosen ‚Heimatliteratur‘, die ganz ohne Zeigefinger auskommt, gewiss ihren melancholischen Reiz auch aus den Bildern einer ländlich heilen, aber unwiederbringlich verlorenen Welt bezieht.“ #14 Anders als Jokehnen und Grunowen, die in Ostpreußen verortet sind, ist Kudenow, das dem zweiten Band der Trilogie den Namen gibt, ein schleswig-holsteinischer Ort: Surminski beschreibt hier das Leben der Flüchtlinge, die nach 1945 im Nordwesten gelandet sind, und hat das fiktive Kudenow erkennbar seinem langjährigen Wohnort Trittau nachempfunden. Erzählt wird die Geschichte des zwölfjährigen Kurt Marenke, der zu Beginn des Romans in Kudenow eintrifft, und Surminski nimmt bei seiner Schilderung dieses bedeutsamen Kapitels der schleswig-holsteinischen Geschichte kein Blatt vor den Mund, wenn es um erbärmlichen Lebensbedingungen der Flüchtlinge und die fremdenfeindlichen Vorurteile der alteingesessenen Bevölkerung geht:

Wo bist du hingeraten, Kurt Marenke? Hier soll die stille Weite des Nordens beginnen, aber es ist ein wildes Herumgedränge in Scheunen, Hühnerställen, auf Dachböden und in alten Katen. Vor dem Krieg gab es anderthalb Millionen Menschen im Land zwischen den Meeren. Als sie im Oktober 1946 wieder zählten, waren es beinahe drei Millionen. So hatten die sich vermehrt. Die Flüchtlinge waren wie eine Flut hereingebrochen. Seit Jahrhunderten hatte das Land seine höchsten Deiche nach Westen gebaut, aber nun war die Sturmflut von Osten in das Land gespült. Das Schloß in Plön: ein Massenquartier mit herrlicher Aussicht auf den Plöner See. Barackenlager in jedem Flecken. Auf den Straßen waren mehr Handwagen als Pferdewagen unterwegs. Wo immer man hintrat, krabbelte ein Flüchtling.

Arno Surminski: Kudenow oder An fremden Wassern weinen. Roman. Hamburg 1978, S. 44.

Surminski „sieht sich als Brückenbauer, der einen engen Kontakt und Austausch mit den heutigen Bewohnern des untergegangenen Ostpreußens sucht“. #15 In späteren Romanen wie Winter 45 oder die Frauen von Palmnicken hat er sich mit den Verbrechen der Nationalsozialisten auseinandergesetzt. Hierzu zählt auch die 2008 veröffentlichte Novelle Die Vogelwelt von Auschwitz. „Im Ton unaufgeregt-behaglich wie eine Kalendergeschichte von Johann Peter Hebel, vom Inhalt her ungeheuerlich-abgründig die Geschichte des deutschen SS-Mannes Hans Grote, der als Vogelkundler mit einem polnischen Gehilfen namens Marek Rogalski durch Flora und Fauna streift, gleich neben den Gaskammern und Krematorien des Vernichtungslagers.“ #16 Der Autor: „Das Grauen von Auschwitz kann man literarisch nicht darstellen. Ich wollte kein Buch über Konzentrationslager schreiben – aber dann kam dieser ‚unerhörte‘ Stoff.“ Und weiter: „Ich wollte nicht Schwarz-Weiß-Malen. Wie gesagt: Ich kann keine Menschen darstellen, die nur gut sind oder nur böse. Grote und Rogalski haben unterschiedliche Erwartungen und unterschiedliche Interessen. Es muss alles menschlich bleiben – und dafür braucht man die Zwischentöne.“ #17 2019 erschien der Roman Der lange Weg. Von der Memel zur Moskwa, in dem Surminski einem jungen Ostpreußen in die Wirren des napoleonischen Russlandfeldzugs folgt. Den Autor hat „geärgert, dass immer die Geschichte der Mächtigen, der Fürsten, Generäle, Feldherrn und ihrer Schlachten die Geschichtsbücher füllt. Das gilt auch für Napoleon und dessen Russlandfeldzug. Was seine Soldaten tatsächlich erlebt und erlitten haben – dieses ganze Leid der einfachen Leute, wird doch kaum erwähnt! Denen wollte ich mit meinem neuen Buch ein Denkmal setzen.“ #18 2020 hat er mit Irgendwo ist Prostken den Roman eines masurischen Lokführers vorgelegt, und ein Jahr später stellte er seine Verbundenheit mit dem Norden unter Beweis, indem er für den Bildband Schleswig-Holstein. So schön ist unser Land eine Einleitung verfasste.

Arno Surminski ist für sein Werk mehrfach ausgezeichnet worden, u.a. mit dem Andreas-Gryphius-Preis (1978 und 2009), dem Hamburger Bürgerpreis der CDU Hamburg (1993), dem Lessing-Ring zusammen mit dem Kulturpreis der deutschen Freimaurer (2001), der Biermann-Ratjen-Medaille der Freien und Hansestadt Hamburg (2004) und dem Elbschwanenorden (2015). Im Jahr 2016 wurde Surminski das Bundesverdienstkreuz am Bande verliehen. Er ist Mitglied der Freien Akademie der Künste Hamburg. In Trittau gibt es seit 2016 die „Arno-Surminski-Gemeindebücherei“.

Arno Surminski unterhält eine eigene Homepage.

18.2.2022 Kai U. Jürgens/Redaktion

ANMERKUNGEN

1 Matthias Grenzschel: Von Jäglack über Jokehnen bis nach Jegławki – der Heimatbegriff bei Arno Surminski. In: Littera Borealis. Edition zur zeitgenössischen Literatur im Norden. Ausgabe 11: Arno Surminski, hg. v. d. Sparkassenstiftung Schleswig-Holstein, Kiel 2012, S. 13–15, hier S. 13.

2 Ebd.

3 Biographie. In: Littera Borealis. Edition zur zeitgenössischen Literatur im Norden. Ausgabe 11: Arno Surminski, hg. v. d. Sparkassenstiftung Schleswig-Holstein, Kiel 2012, S. 42.

4 Frank Trende: „Es gibt nicht nur gut, es gibt nicht nur schlecht“ Ein Gespräch über erzählte Zeitgeschichte mit Arno Surminski. In: Littera Borealis. Edition zur zeitgenössischen Literatur im Norden. Ausgabe 11: Arno Surminski, hg. v. d. Sparkassenstiftung Schleswig-Holstein, Kiel 2012, S. 7–11, hier S. 7.

5 Ebd.

6 Andrzej Katny: Einführung in das Werk von Arno Hermann Surminski. In: Europa im Wandel. Literatur, Werte und Europäische Identität, hg. v. Birgit Lermen & Miroslav Ossowski, Sankt Augustin 2005, S. 301–308, hier S. 301.

7 Maria Frisé, Wilhelm Kühlmann: Surminski, Arno. In: In: Killy-Literaturlexikon. Autoren und Werke des deutschsprachigen Kulturraumes, hg. v. Wilhelm Kühlmann, Bd. 10, Berlin/Boston 2011, S. 404–405, hier S. 405.

8 Ebd.

9 Biographie, wie Anm. 3.

10 Maria Frisé, Wilhelm Kühlmann: Surminski, Arno, wie Anm. 7, S. 404.

11 Ebd.

12 Ebd.

13 Ebd.

14 Maria Frisé, Wilhelm Kühlmann: Surminski, Arno, wie Anm. 7, S. 405.

15 Joachim Mähnert: Erinnertes Leben – Gelebte Erinnerung. Arno Surminski zum 80. Geburtstag. In: Ostpreußisches Landesmuseum, 15. Juli 2014. Zit. n. https://blog.ol-lg.de/?p=1418.

16 Frank Trende: „Es gibt nicht nur gut, es gibt nicht nur schlecht“, wie Anm. 4, S. 11.

17 Ebd.

18 Reinhard Tschapke: „Der lange Weg“ – Das ganze Leid der einfachen Leute. Interview mit Arno Surminski. In: Nordwest Zeitung, 16. März 2019. Zit. n. https://www.nwzonline.de/kultur/interview-mit-arno-surminski-der-lange-weg-das-ganze-leid-der-einfachen-leute_a_50,4,882760381.html#.