Wesselburen

Wissenswertes

Die kleinste Stadt Dithmarschens liegt westlich von Heide in unmittelbarer Nähe der Nordsee, von der sie nur durch den im 19. Jahrhundert eingedeichten Wesselburenerkoog getrennt ist. Weithin sichtbares Zentrum der Stadt ist die Barockkirche St. Bartholomäus mit ihrem für Norddeutschland sehr untypischen Zwiebelturm, deren Vorgängerbauten wohl bis ins 12. Jahrhundert zurückweisen. Sie wurde errichtet, nachdem ein Brand im Jahr 1736 fast die gesamte Stadt zerstört hatte. In die langandauernde Aufbauphase nach dieser Katastrophe fällt die Geburt des berühmtesten Sohns der Stadt: 1813 wurde Friedrich Hebbel hier als Sohn eines Maurers geboren. Wenngleich Hebbels Verhältnis zu seinem Geburtsort nicht konfliktfrei war, wird er heute von der Stadt in Ehren gehalten: Sie trägt mit Stolz den Namen „Hebbelstadt“ und verfügt seit über hundert Jahren über ein Hebbel-Museum. Auf dem Weg vom Bahnhof in die Innenstadt passiert man das Hebbel-Denkmal von Nicolaus Bachmann (1913), das vor dem Geburtshaus des Dichters in der Süderstraße 49 steht.

1878 wurde der Ort an die Eisenbahn angeschlossen und ist seitdem mit Heide, seit 1883 mit Büsum per Schiene verbunden. Es folgte eine gewisse Industrialisierung, die den in der Gegend traditionellen Kohlanbau ergänzt. In einer historischen Sauerkrautfabrik in der Bahnhofstraße befindet sich heute das „Kohlosseum“, wo über den Kohlanbau informiert wird und Sauerkraut auch käuflich erworben werden kann.

Wegen seiner Nähe zum Meer und seiner idyllischen Anmutung ist der Tourismus ein weiterer bedeutender Wesselburener Wirtschaftsfaktor geworden. Der Tourismusverein Wesselburen direkt am Markt ist Reisenden und Informationssuchenden behilflich.

Literarisches

Literaturinteressierte Besucher*Innen von Wesselburen werden in der Regel hauptsächlich an Friedrich Hebbel interessiert sein, und dem wird in der Stadt Rechnung getragen: In der Alten Kirchspielvogtei, in der der junge Hebbel sieben Jahre arbeitete und auch seine ersten Gedicht schrieb, befindet sich das bereits erwähnte Hebbel-Museum. Hier wird nicht nur die entbehrungsreiche Kindheit und Jugend des Dichters thematisiert: Mit dem eleganten Wiener Wohnzimmer Hebbels rücken auch bessere Zeiten in den Blick. Hebbel hat sich übrigens, nachdem er zunächst mit viel Bitterkeit auf seine Wesselburener Zeit zurückblickte, später trotzdem mit Vorliebe als typischen Dithmarscher inszeniert:

Ich läugne nicht, ich bilde mir auf meinen Volksstamm etwas ein, und habe Nichts dagegen einzuwenden, wenn manche Kritiker in meinem schriftstellerischen Character seine Fehler, wie seine Tugenden wieder zu erkennen glaubten, ich glaube sogar, daß diese Bemerkung Grund hat. Jedenfalls blieb ich lange genug in dem Lande, um mich von allen seinen Elementen durchdringen zu lassen und die Geschichte ist dort noch lebendig, die Vorzeit spricht schon aus dem Munde der Amme zum Kinde und auch der Vater nimmt den Sohn gerne auf’s Knie und erzählt ihm von den Schlägen, die die Dänen bekommen haben.

Friedrich Hebbel: Briefwechsel 1829–1863. Historisch-kritische Ausgabe in fünf Bänden. Wesselburener Ausgabe. Hg. von Otfrid Ehrismann, U. Henry Gerlach, Günter Häntzschel, Hermann Knebel, Hargen Thomsen. München: Iudicium 1999, Bd. 2, S. 548.

Heinrich Detering hat sich viele Jahre nach Hebbels Tod in einem Gedicht mit dem Titel Wesselburen mit der Tatsache auseinandergesetzt, dass Hebbel trotz der Lage seines Geburtsorts offenbar nie das Meer gesehen hat:

vom Wohnhaus von der Straße der Kleinstadt
erzählt Hebbels Buch von allem nur nicht
vom Meer da war er nie das kommt nicht vor
es gibt kein Meer in Hebbels Kindheitsbuch
es gibt in Hebbels Kindheit kein Meer

Heinrich Detering: Wesselburen. In: Wrist. Gedichte. Göttingen: Wallstein 2009, S. 9, V. 6–10.

Etwa ein halbes Jahrhundert nach Hebbel wurde in Wesselburen ein Autor geboren, mit dem man sich ebenfalls lange schmückte, der aber heute eher verschämt erwähnt wird: Nach dem selbst für seine Zeit ungewöhnlich rabiat völkischen und antisemitischen Schriftsteller und Literaturkritiker Adolf Bartels (1862-1945) war hier einst eine Straße benannt, und bis immerhin 1986 war er Ehrenbürger der Stadt. Bartels war insbesondere der Blut-und-Boden-Strömung der Literatur seiner Heimat sehr verbunden und plante am Ende seines Lebens eine Landesbibliothek für Dithmarschen.

In der Umgebung

Zwei bedeutsame Literaturorte Dithmarschens, Heide mit Klaus Groth und Heiner Egge und Meldorf mit Carsten Niebuhr und Heinrich Christian Boie, sind von Wesselburen nur eine kurze Auto- oder (im Fall von Heide) auch Zugfahrt entfernt. Über das mächtige, 1973 errichtete Eidersperrwerk gelangt man nach Nordfriesland auf die Halbinsel Eiderstedt, wo man sich beispielsweise in die knapp 20 km von Wesselburen entfernte Mommsen-Stadt Garding begeben kann.

7.12.2021 Jan Behrs