Klaus Groth

Groth, Claus Johannes

Zentralfigur der niederdeutschen Literatur

Geboren in Heide am 24. April 1819
Gestorben in Kiel am 01. Juni 1899

Ruft man Autorinnen und Autoren auf, die aus Schleswig-Holstein stam­men, über Schleswig-Holstein geschrieben haben oder dort gewirkt haben, spricht einiges dafür, den Dithmarscher Klaus Groth als schleswig-holstei­nischsten Autor zu begreifen. Diese Zuschreibung begründet sich zum einen in der Wahl seiner Themen und zum anderen in der Sprachwahl. Beides musste sich nach seinem Literaturverständnis einander bedingen. Klaus Groth gestaltete in niederdeutscher Sprache eine ihm vertraute schleswig-holsteinische Le­bens- und Menschenwelt, die so nur in dieser Sprache, der alten Landesprache, zu vergegenwärtigen war.

Als Groth am 1. Juni 1899 in seinem Haus am Kieler Schwanenweg verstarb, war sein Ruhm un­übersehbar groß. Er gehörte zu den führenden Dichterpersönlichkeiten des Kai­serreichs, was sich weniger in einer fortgesetzt reichen Textproduktion als in einer großen Wert­schätzung der teilweise seit bald fünfzig Jahren vorliegenden Lyrik äußerte, zu der sich auch das deutsche Kaiserhaus gern bekannte. Als Klaus Groth am 24. April 1819 in Heide, vielmehr im Handwerkerstadtteil Lüttenheid, als ältester Sohn der gut gestellten, gesellschaftlich dem Kleinbürgertum zu­gehörigen Eheleute Hartwig und Anna Christina Groth auf die Welt kam, schien sein Weg vorgezeichnet – eine Übernahme der väterli­chen Mühle und der klei­nen Landwirtschaft hätten ein gutes Auskommen gesi­chert. Groths Lebensweg sollte jedoch die gesellschaftlichen Grenzen des 19. Jahrhunderts ebenso aufzei­gen wie die geringen Möglichkeiten zu deren Über­windung.

Früh zeigte sich eine besondere Hochbegabung des jungen Klaus, die er selbst in seinen autobio­grafischen Schriften als unbändige Wissbegierde schilderte. Zunächst förderte ihn sein Großvater, der Obbe, der das Sinnbild eines lebenswei­sen Menschen blei­ben sollte, und auch die Eltern verlangten keine Entwicklung von ihm, die ihm nicht zusagte – gleichwohl fehlte es an geeigneten Förder­möglichkeiten. Im Rück­blick war es jedoch genau dieses Erleben einer klein­bürgerlich-kleinstädtischen, auch ländlichen und immer plattdeutschen Lebens­welt, die Groth später den Weltruhm verschafften sollte. Die niederdeutsche Sprache wurde in Groths El­ternhaus selbstverständlich und selbstbewusst mit Leben gefüllt, denn in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts war das Hochdeutsche noch nicht als gesprochene Sprache in das Alltagsleben der Klein­bürger und der Landbevölke­rung vorgedrungen. Dieser selbstbewusste Umgang mit dem Plattdeutschen wurde eine Grundlage Groths späterer Dichtung, eine andere Grundlage ergab sich durch seine fortwährende Lektüre. Nach der Konfirmation wurde er 1835 Schreiber beim Kirchspielvogt in Heide, und 1838 ging er auf das damals einzige schleswig-holsteinische Lehrerseminar in Tondern in Nordschleswig, wo der das Lehrerexamen 1841 als Zweitbester be­stand. Das waren die höchsten offiziellen Bildungsziele, die Groth erreichen konnte, und für einige Jahre war er erfolgreich als Mädchenschullehrer in Heide tätig, wohnte wieder zuhause und sparte sein Gehalt für ein erträumtes Studium in Berlin, für das ihm jedoch als Voraussetzung das Abitur fehlte. Seine Schüle­rinnen unterrichtete er in allen Fächern, und in Heide trug er maßgeblich zur Ausgestaltung eines bürgerlichen Vereinswesens in den 1840er Jahren bei. Daneben setzte er seine umfassenden autodidaktischen, auch Natur­wissenschaften betreffenden Studien fort, ohne jedoch ein klares Ziel fassen zu können. Diese Belastungen mussten 1847 zu einem auch durch ein unglückliches Verliebtsein beförderten Zusammenbruch führen, der zum Wendepunkt in Groths Leben und in der niederdeutschen Lite­raturgeschichte werden sollte.

1847 ging Klaus Groth für zunächst sechs Wochen, doch es sollten sechs Jahre werden, zu seinem Studienfreund Leonard Selle in Landkirchen auf Fehmarn. In der Abgeschiedenheit von dessen Lehrer- und Organistenhaus entwickelte Groth in den Jahren, als Schleswig-Holstein von der erfolglosen Erhebung gegen die Vormachtstellung des dänischen Königs erschüttert wurde, das Konzept einer niederdeutschen Lyrik, die zu einer erneuerten Wahrnehmung der Sprache und ihrer Sprecher führen sollte.

Literatur in plattdeutscher Sprache gab es, nachdem die mittelalterliche und frühneuzeitliche Tradition längst abgebrochen war, be­reits wieder seit dem Ende des 18. Jahrhunderts. In Groths Geburtsstadt Heide selbst war bereits die Dichterin Sophie Dethleffs mit einigen erfolgrei­chen plattdeutschen Gedichten hervorgetreten. Groth, immer noch auf der Suche nach dem Ventil für seine umfassenden Talente, die er nicht über ein wissen­schaftli­ches Studium bändigen konnte, erkannte, dass auf dem Gebiet einer neuen nie­derdeutschen Literatur mehr zu erreichen wäre als bisher unter Beweis gestellt. Ein Ausgangspunkt war seine breite Kenntnis hochdeutscher Literatur, die nun eine Folie bildete für Themen und Formen niederdeutscher Dichtung.

Nie zuvor und selten danach wurde ein so hoher Anspruch an die schriftsprach­liche Gestaltung des Plattdeutschen gerichtet wie von Klaus Groth. Dabei war dieser literarische Plan durchaus heikel. Die Deutschen waren im 19. Jahrhun­dert be­stimmt durch den Wunsch nach der Bildung einer Nation, nach der Überwin­dung der konkurrierenden Kleinstaaten. Erreicht schien das Streben nach Einheit bereits spätestens seit der Weimarer Klassik in der geschriebenen hochdeutschen Sprache der Dichtung und der Wissenschaft, die nun zunehmend auch Einfluss auch die gesprochene Sprache nahm und die landschaftlichen Di­alekte zumin­dest im städtischen Bürgertum mehr und mehr verdrängte. Zu die­ser Vorstellung einer einheitlichen, verbindenden Kultursprache gesellte sich das für das 19. Jahrhundert bestimmende Konzept einer Nationalsprache, das eine politische und kulturelle Einheit durch Sprache vorsah und abweichende Sprachformen und Gruppen ausschloss. Dieser Idee durfte Groth sich nicht entgegen­stellen, und so wurde er nicht müde, zu betonen, dass eine nieder­deutsche Lite­ratursprache keine Konkurrenz zur hochdeutschen Literaturspra­che, aber ein kulturelles Anrecht des Niederdeutschen und auch ein fortwähren­der Impulsge­ber der Hochsprache sei. Wenn Groth damit auch nicht alle Kritiker der fortwährenden Existenz von Dialekten beruhigen konnte, war es die Qualität seiner niederdeutschen Texte, die einer niederdeutschen Lite­ratursprache spätestens jetzt einen festen Platz im nationalen Kulturbetrieb und in der weltliterarischen Überlieferung sicherte.

Das Ver­dienst des Erreichens dieses Zieles kommt Groths Lyriksammlung Quickborn zu, die einer der erfolgreichsten Lyrikbände der deutschen Litera­tur des 19. Jahrhunderts war und bis heute über Präsenz verfügt. Im November 1852 erschien der zunächst kleinformatige Band bei ei­nem Hambur­ger Verleger, nachdem Groth fünf Jahre lang an den Texten und ihrer Zusam­menstellung gearbeitet hatte und auch eine Vermarktungs­strategie gestartet hatte, um dem Quickborn von Anfang an eine akademische und eine populäre Aufmerksamkeit zu sichern. Diese Rechnung ging auf, und der Band erlebte in den 1850er- und 1860er-Jahren eine beispiellose Karriere, die sich kontinuierlich fortsetzen sollte – der Bestseller war auch ein Longseller, und Klaus Groth der Erneuerer neuniederdeutscher Dich­tung.

Was mag das Geheimnis dieses Quickborn sein, der bis heute Leser in den Bann schlägt und im 19. Jahrhundert in der schleswig-holsteinischen Land­be­völkerung nur als „dat Book“ bekannt war – das Buch, in dem man das aufge­schrieben und gestaltet fand, was das eigene Leben oder die Idealvorstellung davon ausmachen konnte? Groth selbst formulierte bereits im ersten Vorwort des Quickborn, das er in den Folgejahren durch eine Reihe theoretischer Schriften flankieren sollte, die Leitideen seines Vorgehens, die sich auch nicht mehr verändern sollten. Es ging ihm darum, „die Ehre des Plattdeutschen zu retten“, und die Sprache und das Leben der allgemeinen Bevölkerung ‚ästhetisch zu veredeln‘: „Das Gebiet der schriftlichen Anwendung des Plattdeutschen sind po­etische Darstellungen aus dem Volksleben, worin das Volk sich selbst idealisirt kennen lernt.“

Ein Schlüssel zur Wirksamkeit des Quickborn ist die Tatsache, dass er sowohl von den bürgerlich-akademischen Schichten im ge­samten deutschen Sprach­raum hochinteressiert und auch emotional und politisch involviert aufgenommen als auch von der Landbevölkerung in Schleswig-Holstein als ein Ausdrucksgeber ihres Lebens und ihrer Sprache verstanden wurde. In Schles­wig-Holstein wurde viele Quickborn-Gedichte, insbesondere die liedhaften Texte, volkstümlich – der Autor trat hinter die breite Wir­kung seiner Texte zurück. In gleichsam natürlicher Tradierung wurden Texte wie Matten Has, Min Jehann und Min Platz vær Dær weitergegeben und auch durch zahlreiche Vertonungen in den Köpfen der Menschen gehalten. In der Ge­gen­wart sind diese Vermittlungswege mehr und mehr abgerissen, Groths Lyrik muss wieder bewusst Teil des Deutsch- und nun auch des Niederdeutsch­unter­richts werden. In der Schule hatte sie bereits seit den 1850er Jahren ihren Platz gewonnen, bot sie doch die Möglichkeit einer ästhetisch abge­si­cherten Auseinandersetzung mit dem Niederdeutschen. Als Literatursprache er­schien Plattdeutsch gezähmt.

Im akademischen Diskurs hat Groth frühe und umfassende Würdigung erfahren, so erhielt er bereits 1856 eine Ehrendoktorwürde der Universität Bonn, 1858 eine Privat­dozentur an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und 1866 die Verlei­hung einer Titularprofessur für sein Wirken an jener Universität. Mit grö­ßerer Entlohnung und eigentlicher akademischer Anerkennung war das jedoch nicht verbunden, so dass der Autodidakt Groth seine akademischen Ziele nicht erreichen konnte, zunehmend aber erkannte, dass ihm die Le­bensge­staltung eines gut vernetzten Dichters mehr lag als die eines zurückge­zogenen Wissenschaftlers.

Ab 1853 lebte Groth, zunächst gefördert von einer Gruppe bürgerlicher Bewun­derer und ab 1859 als Familienvater, in Kiel. Er gestaltete das Kulturleben in Kiel in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entscheidend mit. In seinem Haus am Kieler Schwanenweg gingen ab 1866 musikalische und lite­rarische Größen der Zeit ein und aus; so verbanden ihn enge freundschaftliche Beziehun­gen mit Johannes Brahms und Theodor Storm. In ein kulturhistorisches Netz­werk der Jahre zwischen 1850 und 1900 ist Klaus Groth fest eingebunden, und sowohl das Feuilleton als auch zahlreiche Kollegen nehmen insbesondere in den 1850er und 1860er Jahren lebhaft Anteil an seinem Wirken. Über die Jahr­zehnte wird er vom geliebten literarischen Wunderkind zum ehrfurchtsvoll be­trachteten Nestor der niederdeutschen Literatur mit internationalen Verbindun­gen und einer geachteten Stimme im nationalen Literaturbetrieb.

Groths Quickborn besticht durch seine große formale und inhaltliche Vielfalt. Eine Verengung der Sammlung auf eine Rück­schau auf die Kindheit, die einige berühmt gewordene Texte wie den Min Jehann betrifft, ist ebenso wenig zutreffend wie eine Fokussierung auf tierbe­zogene Dichtung, wie sie der Matten Has bietet. Es gibt kaum eine Emotion, die im Quickborn nicht literarisch gestaltet wird, und seine Themenvielfalt lässt eine ganze Welt aufrufen. Diese Welt ist verortet in dithmarsischer Lebens- und Sprachwelt in den vorindustriellen, frühen Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts, die schon den Lesern des späteren 19. Jahrhunderts märchenhaft entrückt vor­kom­men mussten. Liebesgedichte wechseln sich ab mit Balladen, Sprüche fol­gen auf Schilderungen sozialer Ungleichheit und tierischer Lebenswelt. Der em­pathische Blick für das Detail ist ein Merkmal des Quickborn, dessen Figuren sensibel auf die Natur und ihre Mitmenschen reagieren. In der letzten Strophe des Min Jehann wird der Unerreichbarkeit vergangener Lebens­welten eindrücklich Ausdruck verliehen:

Mitünner inʼe Schummertid,
Denn ward mi so to Mot.
Denn löppt miʼt langs den Rügg so hitt
As domals bi den Sot.
Denn dreih ik mi so hasti um,
As weer ik nich alleen:
Doch allens wat ik finn, Jehann,
Dat is – ik sta un ween.

Dieser Stimmung von Abschied und Sehn­sucht haben sich die Leser des Quickborn nie ganz entziehen können, und nicht von ungefähr sieht Groth am Ende seines Lebens auch das Nieder­deutsche voll­kommen auf dem Rückzug – eine Einschätzung, die sich in dieser Radikalität nicht bewahrheiten sollte, woran auch das Werk des Dichters seinen Anteil hat.

Die Tatsache, dass Groths literarischer Ruhm fast allein auf dem Quickborn ruht, deutet jedoch auch das rezeptionsgeschichtliche Scheitern einiger weiterer, mindestens ebenso anspruchsvoller Texte an. So schrieb Groth mehrere umfas­sende niederdeutsche Prosaerzählungen und einige kunstvolle Verserzählungen, aus denen insbesondere der Heisterkrog von 1871 hervorragt. Während sich einige Kritiker positiv zu diesen Texten äußerten, trafen sie kaum den Ge­schmack des breiteren Publikums, da sie weniger auf umfas­send moti­vierte Handlungen als auf Landschafts-, Menschen- und Situations­schilderungen in einer komplexen Literatursprache setzten, in der sich viele Le­ser üben mussten.

Es gibt im Werk Klaus Groths sprachlich und inhaltlich viel zu entdecken. Das gilt auch für das hochdeutsche lyrische Werk des Dichters, das vor allem durch Liedvertonungen, so auch durch Johannes Brahms, in die Kulturgeschichte eingegangen ist. Unter anderem im Diskurs mit Theodor Storm aber kultivierte Groth zunehmend die Ansicht, dass das Niederdeutsche seine eigentliche literarische Ausdrucksform sein, in der er es zu einer unbestrittenen Meisterschaft gebracht habe.

Klaus Groth war sich seiner Bedeutung bereits zu Lebzeiten bewusst und bemühte sich um eine angemessene Würdigung seiner Leistungen. Die größte biografische Bestätigung konnte er ab 1859 in der Ehe mit Doris Finke, die jedoch bereits 1878 verstarb, finden, mit der er vier Söhne aufzog, von denen er zwei ebenfalls früh verlor. Der Familien­vater Klaus Groth begegnet als engagierter und empathischer Förderer, der nach dem frühen Tod seiner Frau für drei noch minderjährige Söhne allein ver­antwortlich war. Mit Doris verband ihn die Liebe zur Musik und zur Literatur, so dass die Zeugnisse dieser Ehe eine Beziehung auf Augen­höhe doku­mentieren.

Groths Lebensweg von Heide über Fehmarn nach Kiel, der Werdegang des Kleinbürgersohns zum berühmtesten niederdeutschen Dichter und zu einer wirksamen Persönlichkeiten der deutschen Kulturgeschichte des 19. Jahrhunderts kann exemplarisch gelesen werden für die Grenzen und Möglichkeiten dieses langen 19. Jahrhunderts. Seine niederdeutschen Texte haben ihre Wirkung nicht verloren und die im 21. Jahrhundert aufgerufene Förderung für das Nie­derdeut­sche erst ermöglicht. Groths Wiederverschriftlichung hat Niederdeutsch als Kul­tursprache wieder sichtbar gemacht.

8.12.21 Robert Langhanke