Heiner Egge

Egge, Heiner

Facettenreicher Romancier aus Dithmarschen

Geboren in Heide am 26. März 1949

Heiner Egge verlebte Kindheit und Jugend auf dem elterlichen Bauernhof. Nach dem Abitur war es eigentlich sein Berufswunsch, Ozeanograph zu werden. Aber zunächst wurde er zur Bundeswehr eingezogen. Rückblickend nannte er es "die vielleicht unglücklichste Zeit meines Lebens".

Aber während dieser Zeit schrieb ich plötzlich einen Roman. Niemand fragte mich, warum? Die Außenwelt trieb mich. Nach Dienstschluss begab ich mich fast täglich in eine Sandkuhle, die in der Nähe der Albersdorfer Kaserne lag. Es gibt sie, in Resten, heute noch. Der Roman hieß »Dünung«. [...] Ich saß fast unsichtbar auf dem sandigen Grund der Kuhle und schrieb in ein kariertes Wachstuchheft auf meinen Knien.

Heiner Egge: Anfang ohne Ende. Ein Überblick. - In: Heiner Egge. Hrsgg. vom Literauthaus Schleswig-Holstein. Eutin: Lumpeter & Lasel 2021, S. 7 (Signaturen. 2)

Es folgte das Studium der Germanistik und Geschichte in Kiel, Marburg und Freiburg – "zur Tarnung", wie er in seinem autobiographischen Abriss Anfang ohne Ende schrieb, denn eigentlich wollte er "nur noch schreiben und in Ruhe gelassen werden." Freiburg im Breisgau erwies sich als der Studienort, in dem er das Studium ohne weiteres aufgeben konnte.

Wenn man als Dithmarscher Bauernsohn Schriftsteller werden will, ist es gut, möglichst weit weg von zu Hause zu gehen. Und Freiburg war meine Rettung. Da gab es bald »Das Nachtcafé«, eine von mir und Jan Schulz gegründete Zeitschrift für Literatur, Kunst und Engagement. 1975 war das, plötzlich waren wir von Dichtern umzingelt, hatten unsere Autorenstammtische im Basler Hof, dort wurde diskutiert und getrunken, und die Schüchternen beteiligten sich innerlich. Wir schrieben und veröffentlichten in den Literaturzeitschriften, die allerorten aus dem untergründigen Boden wucherten. Wir waren naiv und ungeheuer selbstgewiss.

Ebd., S. 8.

Inzwischen hatte er seine erste Verlagskontakte geknüpft und erste Erzählungen veröffentlicht. 1987 erschien das erste Buch, Davonfahren, mit Illustrationen von Elisabeth Endres, dann in rascher Folge weitere. Egge wohnte in dieser Zeit mit seiner späteren ersten Frau, Graziella, am Rande des Schwarzwaldes in einem ehemaligen kleinen Forsthaus.

Freier Schriftsteller war ich immer (und zum Broterwerb Arbeit in der Landwirtschaft, in einem Rebberg bei Wolfenweiler). Der Beruf des Schriftstellers ist ein selbsternannter. Dass ich damit durchs Leben kam, überrascht und freut mich immer wieder. Aber ich hätte ja auch nichts anderes werden können.

Ebd., S. 10.

1984 zog er mit seiner späteren zweiten Frau, Ricarda, nach Altona, eröffnete dort eine Buchhandlung mit Galerie und Verlag, die sie "Edition Nachtcafé" nannten.

Wir luden zu Lesungen ein, selbst eine winzige Theaterbühne gab es. Wir stellten Edid Lüttke aus, Leander Segebrecht, auch Christoph Meckel. Neben viel zu wenigen Büchern verkauften wir gottlob reichlich Apfelwein aus dem Fass und zogen zwei Jahre später aufs Land, denn in Sarzbüttel gab es ein ehemaliges, ziemlich geräumiges drei-klassiges Schulhaus. Da war ich also wieder zurück, sogar im Herzen von Dithmarschen, ich, der ich nie wieder zurückkehren wollte und jahrelang die Welt bereiste.

Ebd., S. 12.

1992 erschien Egges erster Roman Niebuhrslust bei Luchterhand, für den er den Hebbel-Preis bekam, und mit dem er zugleich sein Thema für mehrere folgende Bücher fand: Lebensgeschichten historischer Persönlichkeiten neu zu erzählen, nicht biographisch, sondern als Roman, oft vielfach gespiegelt. So entstanden etwa die Romane um Klaus Groth (In der Kajüte, 2004), um die Malerin Ottilie Reylander (Tilas Farben, 2013) oder den Komponisten Gustav Jenner (Keitum, ich muss dich lassen, 2020). Zwischendurch schickte er die Brüder Mommsen, Theodor Storm, Friedrich Hebbel und Klaus Groth auf Wanderschaft (Die Fußreise, 2008), zu denen sich auch Bob Dylan gesellte, alle auf der Suche nach dem vollkommenen Gedicht.

Sein Werk ist allerdings sehr viel facettenreicher. Neben Romanen entstanden Erzählungen, Artikel, Liebesgeschichten, Reisebücher, auch Interviews und Theaterstücke. Er arbeitete für Zeitungen und Zeitschriften, wirkte für die "Quetsche" in Witzwort an sieben Pressendrucken als Texter mit, schrieb für das Jahrbuch der Klaus-Groth-Gesellschaft (deren Sekretär er von 2000 bis 2011 war) viele größere und kleinere ("Lütten Happen") Beiträge und verfasste drei Jahre lang wöchentliche Kolumnen für die Dithmarscher Landeszeitung, später monatlich für das Kulturmagazin LÜÜD fortgesetzt, die 2014 als Buch erschienen (Eiderdaus).

Ja, ich bin ein Vielschreiber. Und ich habe meine täglichen Tabellen (so wie in meiner Jugend die Fanglisten im Moor), darin trage ich sehr gewissenhaft die Zeichen des vergangenen Tages ein. Mit Leerzeichen. Meistens gibt es drei bis fünf Spalten nebeneinander: Roman, Kolumne, Geschichten, Interviews, Aufträge usw. Ich kann das, gleichzeitig verschiedene Bilder malen.

Ebd., S. 15.

Seit 1998 wohnt Heiner Egge wieder in der Eiderniederung bei Hennstedt, in der ihm wesensverwandten Landschaft. Noch immer ist er mehr als ein Vielschreiber - viel mehr ständig schreibend unterwegs. Kein Wunder also, dass die Zahl der (noch) unveröffentlichten Romane die Zahl der veröffentlichen übersteigt. Mit 21 Jahren hat er begonnen, Tagebuch zu schreiben - inzwischen sind es weit über 150 Bände mit über 20.000 Seiten. Vielleicht muss er ständig schreiben, um sich die Welt immer wieder neu aneignen zu können.

Ich bin ein Mensch, der mit den Augen schreibt. Ich liebe den langsamen Blick, das genaue Hingucken. Und natürlich bin ich ein Romantiker, besonders wenn es hart auf hart kommt. Fragen stelle ich mir keine. Möglicherweise habe ich mein Leben ja außerhalb der Gesellschaft verbracht, also im Garten oder auf einem imaginären Himmelfahrtsfloß. Die Wüsten und das Meer, das sind meine Landschaften. La Nada! Das große Nichts. Bevölkert von Menschen, die manchmal aneinander vorbei reden. Was aber am Wind liegen könnte.

Ebd., S. 18.

16.6.2021Wolfgang Griep