Adolf Bartels

Bartels, Adolf

Dithmarscher Heimatdichter und fanatischer Antisemit

Geboren in Wesselburen am 15. November 1862
Gestorben in Weimar am 7. März 1945

Er gehört zu den literarhistorischen Figuren, an die man sich in Schleswig-Holstein am liebsten nicht mehr erinnern würde: Der völkische und antisemitische Schriftsteller und Literaturhistoriker Adolf Bartels. Dass man heute über Autoren wie ihn schweigen will, ist verständlich, sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass das offizielle Schleswig-Holstein lange ganz anders dachte: Noch 1954 wurde in Heide eine Schule nach ihm benannt (die allerdings nur kurz so heißen durfte und 1958 gemeinsam mit der Bartels-Schule in Wesselburen umbenannt wurde, was allerdings nicht auf die Einsicht der Honoratioren vor Ort zurückging, sondern aus Kiel verordnet wurde #1), und bis 1987 war er Ehrenbürger seines Geburtsorts. Auch wenn Bartels’ Ideologie selbst im Vergleich mit anderen Nationalist*Innen und Rassist*Innen rabiat ausfällt, fiel sie hierzulande lange Zeit auf fruchtbaren Boden.

Ein Grund dafür, dass Bartels so lange Anerkennung gezollt wurde, war seine unbestreitbare Heimatverbundenheit: Auch als der in der Weimarer Republik in völkischen Kreisen prominente und in der Nazizeit hochgeehrte Autor bereits lange in Weimar lebte, war ihm Dithmarschen ein ständiges Anliegen, und noch kurz vor dem Ende seines langen Lebens trug er sich mit dem Gedanken, in Heide eine „Dithmarscher Landesbibliothek“ und in Meldorf eine "Landesgedächtnishalle" zu gründen. #2 Daher ist es nicht überraschend, dass seine Heimatregion auch in seiner Literatur eine entscheidende Rolle spielt. Der Sohn eines Schlossers, der in Meldorf gemeinsam mit Gustav Frenssen das Gymnasium besucht hatte, begann früh mit dem Schreiben und gelangte nach einigen Jahren als Dichter, Kritiker und Journalist zur sogenannten Heimatliteratur. Noch vor Frenssen, der mit seinem Jörn Uhl 1901 einen der einschlägigsten Texte des Genres schreiben sollte, veröffentlichte er 1896 seinen großangelegten Roman Die Dithmarscher, der ein großer Erfolg wurde und Bartels’ erzählerisches Programm recht deutlich entwickelt: Der Klaus Groth gewidmete historische Roman ist mindestens ebenso sehr politische Programmschrift wie Erzählwerk, und deswegen beginnt er mit der Schlacht von Hemmingstedt, thematisiert danach die Reformation und die im 16. Jahrhundert in Dithmarschen versuchten Reformen und endet schließlich mit der „letzten Fehde“, in der die Bauernrepublik 1559 ihre Eigenständigkeit verlor. Heraus kommt ein überaus patriotisches Loblied auf den Freiheitsgeist der Dithmarscher*Innen, die als unbeugsames und widerspenstiges Volk verherrlicht werden:

Aber verlassen dürfen wir uns doch nur auf uns allein; nur unsre Freiheitsliebe, unsere Manneskraft können Dithmarschen halten. Wir sind nur ein kleines Volk, aber große Taten haben wir mit Gottes Hilfe vollbracht, herrlich stehen wir da vor aller Welt, daß selbst die Poeten von uns singen und sagen.

Adolf Bartels: Die Dithmarscher. Historischer Roman in vier Büchern. Zweite Auflage, Kiel: Lipsius & Tischer 1916, S. 451.

Der Roman endet mit einem Ausgriff auf die Gegenwart, und der Autor fällt nun ganz offen aus der erzählerischen Rolle, versucht sich als Literaturhistoriker und spricht von zwei Männern, die „Dithmarschens Eigenart in die Form prägen sollten, in der sie unvergänglich ist“:

Friedrich Hebbel heißt der eine, Klaus Groth der andere, und alle beide wurzeln sie, der gewaltige Dramatiker wie der innige Lyriker, tief in Altdithmarschens Volkstum, das in ihren Werken, wenn auch nicht für jedermann erkennbar, noch einmal auflebt.

Adolf Bartels: Die Dithmarscher. Historischer Roman in vier Büchern. Zweite Auflage, Kiel: Lipsius & Tischer 1916, S. 648.

Hiermit hat Bartels sowohl sein Thema – die Verherrlichung Dithmarschens – als auch seine Methode – die Herstellung einer scheinbar unhintergänglichen Verbindung von Dichtung und „Volkstum“ – gefunden, und in den folgenden Jahren wird er immer wieder darauf zurückkommen, etwa in seinem folgenden Roman Dietrich Sebrandt, der sich an Hebbels Leben orientiert und in dem leicht zu entschlüsselnden Dithmarscher Städtchen „Westerhusen“ spielt. Er schreibt nun aber hauptsächlich nicht-fiktionale Bücher, zum Beispiel eine 1899 erschienene, für den Reclam-Verlag verfasste Hebbel-Biografie, die ebenfalls die Verwurzelung Hebbels in seiner Heimatregion groß herausstellt: „[E]r wußte recht wohl, daß er ein echter Dithmarscher und im Guten und Bösen, im Großen und Kleinen das Erbteil seines Stammes in sich trage“. #3 Klaus Groth wird im gleichen Jahr ebenfalls mit einem Buch gewürdigt. #4 Auch wenn in dieser Zeit bei ihm bereits viel von „germanische[m] Mannestrotz“ und „deutsche[m] Tiefsinn“ die Rede ist, #5 ist der frühe Bartels ästhetisch kein Reaktionär – als mögliche Erben Hebbels in seiner Gegenwart sieht er die Avantgardisten des Naturalismus an, mit denen er persönlich bekannt war, und über Gerhart Hauptmann hatte er bereits sehr früh, 1897, ein Buch vorgelegt. Dennoch sollte er sich in den folgenden Jahren immer weiter in die Richtung eines wahnhaft völkischen Weltbilds bewegen und sich insbesondere durch seinen radikalen Antisemitismus hervortun. Dieser war im ästhetischen Programm der Heimatkunstbewegung, die sich in den Worten Bartels‘ im Gegensatz zur „decadenten Großstadtkunst und der papiernen Litteratenkunst“ definierte, #6 schon angelegt, wird von Bartels aber auf absurde Höhen getrieben: Er macht in den folgenden Jahrzehnten im Wesentlichen dadurch Karriere, dass er die deutsche Literaturgeschichte nach (echten und vermeintlichen) jüdischen Einflüssen durchkämmt und eine scharfe Trennung zwischen Deutschen und Juden vornehmen will. Sowohl seine Deutsche Dichtung der Gegenwart (1897) als auch die Geschichte der deutschen Litteratur (1901) werden zu in vielen Neuauflagen und Neubearbeitungen nachgedruckten Erfolgen, obwohl Bartels keinen akademischen Hintergrund hat (zum Professor wird er erst 1905 ehrenhalber ernannt) und sich in seinen Schriften groteske Fehlbehauptungen erlaubt. Wie in seinen Schriften der Antisemitismus zum nicht widerlegbaren Selbstzweck wird, zeigt das Beispiel von Thomas und Heinrich Mann: Diese

bekamen Bartels’ speziellen „Scharfsinn“ bereits früh zu spüren. In seiner Geschichte der deutschen Literatur heißt es 1905 lapidar: „Juden sind wohl auch die Gebrüder Mann aus Lübeck.“ Dass Thomas Mann gegenüber Bartels eine jüdische Abstammung bestritten hatte, konnte diesen nicht beirren. In seiner Zeitschrift Deutsches Schrifttum begründet er seine Diagnose 1910 apodiktisch so: „Ich brauche kaum hinzuzufügen, daß mein Urteil über den Schriftsteller Thomas Mann, der in seinen Buddenbroocks [sic!] die halbjüdischen Hageströms über die deutschen Kaufmannsfamilien siegen läßt […], durch sein Juden- oder Nicht-Judentum nicht beeinflußt wird. Literarisch gehört er auf alle Fälle zu den Juden.“

Genau diese bösartigen, auch im Ton aggressiven Angriffe machten Bartels, der 1914 den Hebbel-Preis erhielt, zu einem Star der völkischen Szene, spätestens nachdem er sich 1906 offen antisemitisch gegen den Bau eines Heinrich-Heine-Denkmals engagiert hatte. Die Titel seiner Werke in dieser Zeit sprechen für sich: Weshalb ich die Juden bekämpfe (1918), Die Berechtigung des Antisemitismus (1921) oder Der völkische Gedanke. Ein Wegweiser (1922). In der Weimarer Republik näherte er sich den Nationalsozialisten an und wurde bereits 1925 zum Ehrenmitglied der Partei; in Wesselburen gründete sich ein „Adolf-Bartels-Bund“ aus besonders eingefleischten Fans. Nach der Machtergreifung wurde Bartels zu einem hochgeehrten Funktionär, aber seine Produktivität ließ nach: Sein letzter Roman Der letzte Obervollmacht. Ein Roman aus der Bismarckzeit erschien bereits 1931. In ihm hat Hitler, den Bartels bereits in den 1920ern persönlich kennengelernt hatte, einen kurzen Auftritt.

Kurz vor Ende der Naziherrschaft starb Bartels im März 1945 in Weimar, wo er Jahrzehnte gelebt und gewirkt hatte. Sein Nachlass befindet sich im dortigen Goethe-Schiller-Archiv, das erst vor kurzem begonnen hat, sich offensiver mit dieser problematischen Gestalt der Stadtgeschichte auseinanderzusetzen. Die Argumentation dafür sollte auch in Schleswig-Holstein aufhorchen lassen: Anstatt den „Nazi im Giftschrank“ weiter schamhaft zu verschweigen, soll nun untersucht werden, wie ein fragwürdiger Literarhistoriker und zweitrangiger Dichter überhaupt jemals zu einer derart einflussreichen Figur werden konnte. Diese Frage stellt sich auch in seiner Heimatregion aufs dringlichste.

3.3.2022 Jan Behrs

ANMERKUNGEN

1 Eine aufschlussreiche Darstellung der schleswig-holsteinischen Kontroversen um Bartels in den 1950er und 60er Jahren findet sich in NN: Thing und Theater. Der Spiegel Nr. 4 vom 19.1.1965, S. 44f. Online unter https://www.spiegel.de/politik/thing-und-theater-a-13c360e0-0002-0001-0000-000046169248?context=issue.

2 Diese Absichten sind dokumentiert in zwei Beiträgen Bartels' in Walter Loose (Hrsg.): Adolf Bartels. Festgabe zum achtzigsten Geburtstag. Neumünster: Wachholtz 1944, S. 16-18 u. 24-26.

3 Adolf Bartels: Christian Friedrich Hebbel. Leipzig: Reclam [1899], S. 27.

4 Adolf Bartels: Klaus Groth. Zu seinem achtzigsten Geburtstage. Leipzig: Avenarius 1899.

5 Adolf Bartels: Christian Friedrich Hebbel. Leipzig: Reclam [1899], S. 217.

6 Adolf Bartels: Heimatkunst. Ein Wort zur Verständigung. München, Leipzig: Müller 1904, S. 5.