Heinrich Mann

Mann, Lutz Heinrich

Lübecker Romanautor und Aktivist aus gutem Hause

Geboren in Lübeck am 27. März 1871
Gestorben in Santa Monica (Kalifornien, USA) am 12. März 1950

Im Jahr der deutschen Reichsgründung 1871 wird Heinrich Mann als ältestes von fünf Kindern des Lübecker Kaufmanns und Senators Thomas Johann Heinrich Mann und seiner brasilianisch-deutschen Frau Julia da Silva-Bruhns geboren. Sein jüngerer Bruder ist der 1875 geborene Schriftsteller Thomas Mann.
Der junge Heinrich rebelliert schon früh: gegen die Schule, gegen die Stadt, gegen die Familientradition, die vorgibt, dass er als Erstgeborener der Firmenerbe zu sein hat. Stattdessen will er Schriftsteller werden, schreibt Gedichte und Erzählungen, die auch veröffentlicht werden. Der berufliche Kompromiss mit seinem Vater lautet, dass er eine Buchhändlerlehre absolviert, allerdings bedingt er sich aus, diese nicht in Lübeck zu machen. Er beginnt die Ausbildung in Dresden, nachdem er 1889 das Gymnasium ohne Schulabschluss verlassen hat. Nach einem Jahr bricht er die Lehre ab und geht nach Berlin, wo er beim S. Fischer Verlag volontiert. Im Oktober 1891 stirbt der Vater und verfügt im Testament, dass die Vormünder den Neigungen seines ältesten Sohnes „zu einer sogenannten literarischen Tätigkeit“ #1 entgegentreten sollen. Die ebenfalls verfügte Liquidation der Firma Mann erzielt eine hohe Summe, von der die Mutter und die Geschwister einen monatlichen Zinsbetrag erhalten – nicht viel, aber genug, um nicht arbeiten zu müssen. Als seine Mutter im Mai 1893 nach München übersiedelt, hilft Heinrich beim Umzug. Es ist sein letzter Besuch in Lübeck.
Er begibt sich auf Reisen durch Italien und ist in den folgenden Jahren ohne festen Wohnsitz. Entgegen dem testamentarischen Wunsch des Vaters unterstützt Julia Mann ihren Sohn bei seiner schriftstellerischen Tätigkeit und finanziert seinen ersten Roman In einer Familie (1894). Bis 1910 entstehen sechs weitere Romane und zahlreiche Erzählungen, das bekannteste Werk aus dieser Zeit ist der Roman Professor Unrat oder Das Ende eines Tyrannen. 1912 beginnt Heinrich Mann mit der Arbeit an Der Untertan, welcher 1914 als Fortsetzungsroman in der Zeitung „Zeit im Bild“ publiziert wird. Mit Beginn des Ersten Weltkriegs wird der Abdruck gestoppt, der Roman kann erst nach 1918 veröffentlicht werden. Aufgrund seiner scharfen Kritik am Kaiserreich ist Der Untertan dann das Buch der Stunde und verkauft sich in hohen Auflagen.

Mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs wird ein Streit zwischen dem frankophilen Republikfreund Heinrich und dem konservativ-monarchistischen Thomas Mann derart vehement ausgetragen, dass sich die Brüder von 1914 bis 1922 konsequent aus dem Weg gehen, die Kommunikation erfolgt nur noch indirekt über Publikationen. Erst als Heinrich im Januar 1922 schwer erkrankt, kommt es wieder zu einer Annäherung.
Nach Kriegsende ist Heinrich Mann schriftstellerisch erfolgreich und als Redner und Publizist aktiv; er ist einer der führenden geistigen Repräsentanten der Weimarer Republik, aber auch einer der schärfsten Ankläger ihrer Schwächen. Als Autor von Theaterstücken macht sich Heinrich Mann einen Namen, vor allem sein Stück Madame Legros (1913) wird vielfach aufgeführt. Nach vielen unsteten Jahren wird der Schriftsteller im Privatleben sesshaft. Er heiratet im August 1914 die Prager Schauspielerin Maria Kanova und lebt mit ihr in München, 1916 wird ihre Tochter Henriette Maria Leonie geboren.  
Professor Unrat wird 1930 mit Marlene Dietrich und Emil Jannings in den Hauptrollen unter dem Titel Der blaue Engel verfilmt und erlangt Weltruhm. Auf der Höhe seiner Karriere wird der engagierte Dichter 1931 zum Präsidenten der Sektion Dichtkunst an der Preußischen Akademie der Künste berufen. Heinrich Mann redet und schreibt gegen den Nationalsozialismus und für die Demokratie. Nach der Machtergreifung verlässt er am 21. Februar 1933 Deutschland und geht nach Frankreich ins Exil. Ihm wird sofort die deutsche Staatsbürgerschaft entzogen, seine Werke werden bei der Bücherverbrennung ins Feuer geworfen. In Südfrankreich engagiert sich der Schriftsteller in mehreren Organisationen gegen Nazi-Deutschland und verfasst einen zweibändigen historischen Roman über den französischen König Henri Quatre. 1936 erhält Heinrich Mann die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft. Nachdem er 1930 von seiner ersten Ehefrau geschieden worden ist, heiratet Heinrich Mann im September 1939 seine Lebensgefährtin Nelly Kröger.
1940 muss das Ehepaar das besetzte Frankreich verlassen und flüchtet über die spanischen Pyrenäen nach Portugal, von wo aus sie mit dem  Schiff nach New York gelangen. Hier werden sie von Thomas Mann empfangen, der schon seit 1938 in den USA lebt. Dort engagiert sich Heinrich Mann nicht mehr in Exil-Organisationen und verzichtet auf programmatische Veröffentlichungen. Sein literarisches Werk - wenn es überhaupt übersetzt wird – ist nicht sehr erfolgreich, denn es entspricht nicht den amerikanischen Lesegewohnheiten. Da Heinrich Mann Einnahmen fehlen, ist er zeitweise auf die finanzielle Unterstützung seines Bruders angewiesen. Die gesellschaftliche und soziale Situation im amerikanischen Exil wird für seine Frau Nelly unerträglich, sie nimmt sich im Dezember 1944 das Leben. Trotz dieser Schicksalsschläge ist Heinrich Mann weiterhin literarisch aktiv, verfasst  Romane, Erzählungen, Essays und seine Memoiren. Seine Sympathie für den Kommunismus hat ihn in den USA immer politisch verdächtig gemacht, die 1949 neu gegründete Deutsche Demokratische Republik hingegen sieht in Heinrich Mann den idealen Repräsentanten und beruft ihn zum Präsidenten der neuen Deutschen Akademie der Künste. Bevor er diesen Posten annehmen kann, stirbt er am 11. März 1950 in Santa Monica/Kalifornien. 1961 lässt die DDR seine Urne nach Berlin überführen und mit einem Staatsakt auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof beisetzen.

Seiner Geburtsstadt Lübeck stand Heinrich Mann schon früh kritisch gegenüber, wie der Text Fantasieen über meine Vaterstadt  L. von 1889 zeigt: In bissigem Tonfall beschreibt er, dass die Stadt „wahrhaft wohlhabend stinkt, sozusagen behäbig“ sei. #2 Sein bester Freund Ludwig Ewers ist der Meinung, Heinrich habe „keinen Wurzelgrund“ #3 in Lübeck, daher verwundert es nicht, dass er die Heimat verlassen will, „nur fort aus Lübeck, gleichviel in welche Art Leben.“ #4
Mit 22 Jahren sieht er Lübeck ein letztes Mal, trägt jedoch trotz aller frühen Kritik sein „liebes albernes altes Lübeck ganz und gar mit Um und An in Kopf und Herzen“. #5 Davon zeugen etliche seiner Werke, in denen sich die Heimatstadt immer wieder als Hintergrundfolie erkennen lässt. Das offensichtlichste Werk in dieser Hinsicht ist Professor Unrat. Der Roman erzählt die Geschichte des spießigen Gymnasiallehrers Raat, welcher der Sinnlichkeit eines Varieté-Mädchens verfällt, woraufhin seine bürgerliche Fassade zusammenbricht. Heinrich Manns Kritik an dem autoritären wilhelminischen Schulsystem speist sich aus den eigenen negativen Schulerfahrungen am Katharineum zu Lübeck: „Im Hause meiner Eltern zu Lübeck habe ich eine so glückliche Kindheit verbracht, wie die Schule es irgend erlaubte.“ #6 Die gebeutelten Lübecker hatten gerade Thomas Manns 1901 veröffentlichte Buddenbrooks verarbeitet, als 1905 der nächste Mann-Sprößling mit noch beißenderer Satire über das Bürgertum herzieht. Verschnupft ignorieren sie das Buch – es lässt sich keine einzige Rezension aus Lübeck finden.
Mehr Begeisterung und Interesse zeigen sie hinsichtlich Heinrich Manns Theaterstück Madame Legros: Am 20. Februar 1917 wird das Stück im Stadttheater aufgeführt. Zuschauer und  Rezensenten sind begeistert: „Das Werk eines Lübeckers, der zugleich einer unserer bedeutendsten Dichter ist“. #7 Leider äußert sich außerhalb Lübecks niemand zu dieser Aufführung, auch der Dichter nicht, der lieber die Uraufführung in München besucht.
Heinrich Manns Werke aus der Zeit von 1926 bis 1929 zeigen eine verstärkte Beschäftigung mit der Erinnerung an seine Kindheit in Lübeck. Die Ursache dafür mag seine kriselnde Ehe mit Maria Kanova bzw. die Trennung von Frau und Kind sein. In der Novellensammlung Das Kind aus dieser Zeit lässt der Dichter Bilder und Figuren einer behüteten Kindheit in der Beschreibung von Maskenbällen, Theaterbesuchen und Süßigkeiten wieder aufleben. In enger Verbindung zu diesen Novellen steht der Roman Eugénie oder Die Bürgerzeit (1928). Verortet in einer norddeutschen Hafenstadt, in welcher unschwer Lübeck zu erkennen ist, spielt der Roman in der Gründerzeit, den Jahren von Heinrich Manns Jugend. Sein Anliegen ist, „nach Kindheitserinnerungen dem Leser, […] in einem Ausschnitt zeigen, wie einst das Bürgertum war.“ #8 Zu dieser bürgerlichen Gesellschaft gehört ein Dichterfürst, hinter dessen leicht spöttischen, aber doch liebevollen Beschreibung das Bild des von Heinrich Mann verehrten Emanuel Geibel steht.
Heinrich Manns zweite Ehefrau, Nelly Kröger, wurde 1898 in Ahrensbök geboren und wuchs in Niendorf an der Ostsee auf. Nach ihrem Tod 1944 beschreibt Heinrich, warum er sie liebte: „Sie hatte außer ihrer Schönheit, die gemeinsame Herkunft für mich […]. Sie selbst, eine Fischerstochter, machte mich stolz auf die Verbindung mit dem Volk meines Ursprungs. Manchmal sprachen wir platt […]“. #9 Den norddeutschen Dialekt liebte Heinrich Mann, in seinem Werk finden sich immer wieder Sätze oder Worte auf Plattdeutsch, vor allem in dem Roman Ein ernstes Leben, der 1932 auf der Grundlage von Nelly Krögers Lebenserinnerungen entstanden ist.
Wie tief Heinrich Manns Bindung an die Heimatstadt gewesen ist, zeigt sich vor allem in den letzten Lebensjahren. Katia Mann berichtet, dass ihr Schwager im amerikanischen Exil plötzlich wieder die Buddenbrooks las und im hohen Alter immer stärker lübeckisch sprach. #10 In seinen Memoiren Ein Zeitalter wird besichtigt (1946) heißt es: „Ob vor fünfzig Jahren oder nur seit fünf, gekommen war ich aus dem kleinen, alten Haus einer Stadt unfern der See.“ #11
Die Stadt Lübeck erinnert an Heinrich Mann in vielfacher Weise. Da ist zuerst das Heinrich-und-Thomas-Mann-Zentrum im Buddenbrookhaus zu nennen. Ehemals im Besitz der Großeltern von Heinrich und Thomas Mann ist das Haus in der Mengstraße 4 seit 1993 eine Forschungs-und-Gedenkstätte mit eigenem Archiv. Seit 1996 befindet sich hier auch der Sitz der in Lübeck begründeten Heinrich Mann-Gesellschaft e.V. Gleich um die Ecke macht eine Gedenktafel am Haus Breite Straße 52-54 auf den Geburtsort Heinrich Manns aufmerksam. Im altehrwürdigen Lübecker Katharineum erinnern Gedenktafeln an berühmt gewordene Schüler des Gymnasiums, unter anderem Heinrich und Thomas Mann. Es gibt zudem eine Heinrich Mann-Schule und eine Straße namens Heinrich Mann-Ring. Eine besondere Ehrung erhält der Dichter in der Clemensstraße, dem Mittelpunkt der Lübecker Kneipenkultur: Dort gibt es die Bar „Professor Unrat“ neben der Studentenkneipe „Blauer Engel“.

6.5.2021 Britta Dittmann

ANMERKUNGEN

1 Heinrich und Thomas Mann. Ihr Leben und Werk in Text und Bild. Hg. von Eckhard Heftrich, Peter-Paul Schneider und Hans Wißkirchen. Lübeck 1994, S. 88.
2 Heinrich Mann: Fantasieen über meine Vaterstadt L., in: Heinrich und Thomas Mann. Ihr Leben und Werk in Text und Bild. Hg. von Eckhard Heftrich, Peter-Paul Schneider und Hans Wißkirchen. Lübeck 1994, S. 72.
3 Heinrich Mann: Briefe an Ludwig Ewers 1889-1913. Berlin/Weimar 1980, S. 476.
4 Heinrich Mann: Briefe an Karl Lemke. Berlin 1963, S. 27.
5 Heinrich Mann: Briefe an Ludwig Ewers 1889-1913. Berlin/Weimar 1980, S. 69.
6 Sigrid Anger (Hg.): Heinrich Mann 1871-1950. Werk und Leben in Dokumenten und Bildern, Berlin und Leipzig 1977², S. 493
7 Lübecker Generalanzeiger 22.2.1917, in: Britta Dittmann und Manfred Eickhölter: Allen zu gefallen ist unmöglich. Thomas Mann und Lübeck. 1875 bis 2000. Lübeck 2001, S. 50.
8 Heinrich Mann: [Beitrag zur Umfrage: Dichter und ihre Werke], in: Heinrich Mann: Eugénie oder die Bürgerzeit. Studienausgabe in Einzelbänden. Hg. von Peter-Paul Schneider, fortgeführt von Michael Stark. Frankfurt am Main 2019, S. 318.
9 Heinrich Mann: Das Kind. Geschichten aus der Familie. Frankfurt am Main 2002², S. 266.
10 Katia Mann: Meine ungeschriebenen Memoiren. Frankfurt am Main 1976, S. 155.
11 Heinrich Mann: Ein Zeitalter wird besichtigt. Studienausgabe in Einzelbänden. Hg. von Peter-Paul Schneider, Frankfurt am Main 2008, S. 235.