Bodo Heimann

Heimann, Bodo

Dreifacher Einsatz für die Literatur

Geboren in Breslau am 20. März 1935

Bodo Heimann ist gleichermaßen Literaturwissenschaftler, Herausgeber und Lyriker – und welche dieser Facetten die wichtigste ist, dürfte sich so schnell nicht herausfinden lassen. Tatsächlich kann man von drei Karrieren des 1935 geborenen Breslauers sprechen, der seit 1970 auf das engste mit der Kieler Literaturszene verbunden ist, den Literaturkreis Euterpe gründete und viele Jahre der Goethe-Gesellschaft Kiel vorsaß.

Heimann hat 1955 in Wolfenbüttel das Abitur abgelegt und anschließend Geschichte, Philosophie und Germanistik in Freiburg (Breisgau), Berlin und Frankfurt am Main studiert. Er wird 1962 mit einer Arbeit über Gottfried Benn promoviert und leitet – nach einigen Zwischenstationen – von 1966–69 als Professor für deutsche Sprache und Literatur das Department of German der Osmania University in Hyderabad/Indien. Von 1969 bis 2000 ist er Dozent an der CAU Kiel. #1Der Sammelband Literatur und Freiheit von Lessing bis zur Gegenwart (2014) lässt bereits im Titel die Bandbreite an Themen deutlich werden, mit denen sich Heimann beschäftigt: Matthias Claudius, Joseph von Eichendorff und Heinrich von Kleist, aber auch Theodor Storm, Thomas Mann und Konrad Bayer. #2

Dieses breitgefächerte Interesse macht sich in Heimanns zweiter Tätigkeit bemerkbar, nämlich der des Herausgebers zeitgenössischer Literatur. Bereits 1978 veröffentlicht er den Sammelband Experimentelle Prosa der Gegenwart, für den Texte von Jürgen Becker, Helmut Heißenbüttel, Gert Friedrich Jonke, Gerhard Rühm und Oswald Wiener ausgewählt werden. Im Vorwort spricht Heimann explizit von einer Kontinuität, die sich in diesen Werken ablesen lässt, obwohl sie an sich einen Bruch markieren: „Es könnte sein, daß die Merkmale, die ‚experimentelle Prosa‘ kennzeichnen sollen, auch bei anderen Autoren, auch in der Vergangenheit, zu beobachten sind, so daß man eher von einer allgemeinen Tendenz als von einer klar ausgrenzbaren literarischen Gruppe sprechen könnte.“ #3

Dieser auf Ganzheitlichkeit abzielende Gedanke findet sich auch in Euterpe wieder, dem „Jahrbuch für Literatur“ des von Heimann1981 gegründeten LiteraturkreisEuterpe e.V. Heimann „rekonstruiert“ im Vorwort des ersten Bandes die Musen, die „nicht zwischen Kunst und Wissenschaft“ unterscheiden würden. #4 Speziell Euterpe, der Muse für Tonkunst und lyrische Poesie, sei „die Trennung zwischen Verstand und Gefühl, Intellekt und Instinkt, Geist und Natur“ sogar ausgesprochen „zuwider“. #5 Entsprechend greift der Einheitsgedanke: „Auf Euterpes eigenem Gebiet, zwischen Literatur und Literaturwissenschaft, ist ein Abgrund zu überbrücken, den andere Kunstfächer gar nicht erst entstehen ließen.“ #6 Es geht um Praxis, um eigenes Dichten und Schreiben jenseits der interpretatorischen Arbeit: „Das Gefühl für eine Kunst entwickelt sich, indem man sie praktiziert. Vieles, was heute an Literaturtheorie und Interpretation produziert wird, läßt das Gefühl für den Gegenstand vermissen, von dem da die Rede ist.“ #7 Hier soll das Jahrbuch Euterpe ansetzen: „Nicht einseitige Rationalität, einseitige Emotionalität oder einseitige Aktivität, sondern Zusammenspiel aller Kräfte ist ihr Prinzip.“#8 Dem entspricht die Auswahl der Anthologie, die beispielsweise Texte von Hans-Jürgen Heise, Jochen Missfeldt, Doris Runge und Annemarie Zornack versammelt. Doch auch junge Stimmen kommen zu Wort, etwa aus dem Bereich der Werkstattseminare zum „Kreativen Schreiben“, die Heimann regelmäßig anbietet. Vielseitigkeit bleibt das Programm der Euterpe und zieht sich durch alle Ausgaben hindurch. Im zehnten und letzten Jahrbuch schreibt Heimann angesichts einer nochmal erweiterten Konzeption: „Kriterium der Auswahl ist der poetische Reiz der Texte, von ihm nicht zu trennen ist die Eigenständigkeit, mit der ein Autor seinen Weg geht, ohne dem Sog der Modeströmungen, gegenwärtig der postmodernen ‚Neuen Beliebigkeit‘, zu verfallen.“ #9 Und: „Statt immer noch einseitig eine bestimmte Richtung als neue literarische Mode durchsetzen zu wollen, die so neu und großartig gar nicht ist, wie sie vermarktet wird, wäre es an der Zeit, endlich den Pluralismus anzuerkennen, den wir faktisch haben.“ #10 Während das Jahrbuch nach 1992 nicht fortgesetzt wird, erscheinen unter Heimanns Vorsitz in der Edition Euterpe bis 2011 verschiedene Sammelbände und Einzelausgaben.

1984 legt Heimann mit Lebende Spiegel einen ersten eigenen Gedichtband vor, dem über die Jahre weitere folgen, darunter Öderland. Lyrische Skizzen einer Kindheit in Schlesien (1990) und Göttliches Indien (2006). Therese Chromik schreibt in der Heimann gewidmeten Festschrift #11 anhand des Gedichts Von der Unlesbarkeit des Seins, Heimann wolle „mit seinem Wort das ‚Sein‘ in dieser Welt, das wir doch gar nicht verstehen“, lesbar machen und quasi „übersetzen“. Sie führt aus: „Das Ich und das unbegreifliche Universum – diese ungeheure Polarität setzt der Dichter mit einem dynamischen Schwung in ein Gedicht, […] das zu enden scheint, wie es begonnen hat: mit dem vergeblichen Versuch, das ‚Sein‘ zu erfassen. Doch nicht Resignation steht am Ende, sondern das Staunen über das Wunderbare.“ #12 Für Heimann zählen „Kürze, Prägnanz, Ansehnlichkeit, die Wahrheit des Augenblicks, die Wahrheit des Wortes“, also kein „überflüssiges Drumherum“ #13 :

Die Muschel

Ein paar Perlen
Hinterlassend,
Zeichen,

wie viel in sie eindrang
und schön wurde,
auch wenn es schmerzte.

Bodo Heimann: Die Muschel. In: Blaue Stunde, Weilerswist 2013.

1993 hat Bodo Heimann den Eichendorff-Literaturpreis und 1996 den Fedor-Malchow-Lyrikpreis des Landes Schleswig-Holstein (gemeinsam mit Erich Pfefferlen) erhalten. Der Nikolaus-Lenau-Preis ging 2014 an Heimann und Utz Rachowski.

8.7.2021 Kai U. Jürgens

ANMERKUNGEN

1 Vgl. Deutsches Literatur-Lexikon – das 20. Jahrhundert, Bd. 15, hg. v. Lutz Hagestedt, Zürich/München 2010, S. 539.

2 Bodo Heimann: Literatur und Freiheit von Lessing bis zur Gegenwart. Frankfurt am Main 2014.

3 Bodo Heimann: Vorbemerkungen. In: Experimentelle Prosa der Gegenwart, hg. v. Bodo Heimann, München 1978, S. 7–19, hier S. 7.

4 Bodo Heimann: Euterpe, ihre Schwestern und wir. Anmerkungen zur Rekonstruktion der Musen. In: Euterpe, Jahrbuch für Literatur, hg. v. Bodo Heimann et al., Marne 1984, S. 5–12, hier S. 7.

5 Ebd., S. 8.

6 Ebd., S. 10.

7 Ebd.

8 Ebd.

9 Bodo Heimann, Die neue Euterpe. In: Euterpe, Jahrbuch für Literatur 10, hg. v. Bodo Heimann et al., Husum 1992, S. 5–6, hier S. 5.

10 Ebd., S. 6.

11 Therese Chromik (Hrsg.): Von der Unlesbarkeit des Seins. Festschrift für Bodo Heimann, Husum 2015.

12 Therese Chromik: Von der Unlesbarkeit des Seins. In: Von der Unlesbarkeit. Wie Anm. 11, S. 5–7, hier S. 6.

13 Therese Chromik: Lerne vom Lyriker. In: Von der Unlesbarkeit. Wie Anm. 11, S. 85–90, hier S. 86.

14 Ebd.

15 Therese Chromik: „Ein paar Perlen“. In: Von der Unlesbarkeit. Wie Anm. 11, S. 32–43, hier S. 32.