Mareike Krügel

Krügel, Mareike

Das Leben zwischen Belustigung und Verzweiflung

Geboren in Kiel 1977

Ihre Geschichten spielen da, wo sie lebt. An Schleswig-Holsteins Ostseeküste und in deren Hinterland. Der Erstling Die Witwe, der Lehrer, das Meer (2003) in Strande und im Dänischen Wohld, wo Mareike Krügel, 1977 in Kiel geboren, selbst aufgewachsen ist. Sie erzählt darin von einer sich zuspitzenden emotionalen Abhängigkeit - Förde und die Steilküste hinter Bülk immer in Sichtweite. Dann kam Die Tochter meines Vaters (2005). Da ist eine junge Frau in Eckernförde auf der Suche nach sich selbst. Und dass diese Felizia, genannt Felix, die Tochter und Erbin eines Bestattungsunternehmers ist, macht die Sache nicht einfacher.

„Landschaft verändert Menschen, hat Einfluss auf Personen“, hat die Autorin und Absolventin des Leipziger Literaturinstituts einmal im Interview zum Hebbel-Preis, der ihr 2006 verliehen wurde, gesagt. „Man kann schwer Charaktere schaffen, die von der Landschaft losgelöst sind. Die Mentalität der Figuren gründet ja oft in ihrer Umgebung.“

Man spürt in Krügels Texten einen leisen Nachhall von Theodor Storm und etwas lauter den von Siegfried Lenz: „,Deutschstunde‘ hat mich sehr angespornt. Wie es Lenz da gelingt, die Landschaft einzubauen, als Mittel, die Menschen zu charakterisieren. Das ist ein Buch, das ich immer wieder lesen kann, das mich an den Schreibtisch zurücktreibt.“

Nur einmal ist sie bislang ausgeschert, das dritte Buch Bleib, wo du bist (2010) hat sie in die Südtiroler Postkartenidylle von Meran verlegt und lässt einen Psychotherapeuten, der aus Hamburg eigentlich nur zu einer Tagung angereist ist, in der neuen Umgebung aus dem Tritt geraten. Nicht ganz so zwingend wie ihre weiblichen Protagonisten – aber auch er einer, der in eine Art persönlichen Wendeprozess hineinstolpert. Zudem ist auch Meran für Krügel ein bisschen Heimat: Als Kind hat sie dort mit den Eltern oft die Ferien verbracht.

Man könne den Begriff Heimatliteratur durchaus auf ihre Romane anwenden, hat die Autorin einmal gesagt – „aber mit einer anderen, neuen Lesart“. Jenseits von Trachten und Dialekt. Es passt immer noch; und gleichzeitig ist Mareike Krügel längst weiter. Am Ende sind die Landschaften, in denen ihre Geschichten spielen, viel weniger klar verortet, als Namen und Hinweise das suggerieren. Eher sind sie zu Strohhalmen geworden, um das Schlingern der Figuren im Sein an ein paar Lebenskoordinaten festzumachen.

Es sind moderne Frauenbilder, die Mareike Krügel vor allem in ihrem vierten und fünften Roman entfaltet. Entwickelt aus der Banalität des Alltags, dem Multitasking zwischen Familie, Arbeit und eigenen Ansprüchen, eingebauten Anforderungen und persönlichen Wünschen. „Ich finde, dass bestimmte Aspekte von Frauenleben noch nicht genug erzählt sind. Zum Beispiel die Frage, wie man Beruf und Familie vereinbaren kann“, sinnierte sie im Frühjahr 2021 im Interview zu dem da gerade erschienenen Roman Schwester

Leibliche Schwestern sind die Protagonistinnen Iulia und Lone nicht, aber qua Adoption und Wahlverwandtschaft miteinander verbunden. Die eine als Pastorengattin und Bankkauffrau in festen Lebensbahnen verortet, die andere ein Freigeist und als Hebamme zu den Frauen auf dem platten Land an der Schlei unterwegs.

Ihre Lebenslinien kreuzen sich wieder, als Lone nach einem Autounfall im Koma liegt, und Iulia unmerklich aus ihrer gewohnten Spur gleitet. Zwar geht sie weiter zur Arbeit in die Bank, hört dem Gatten beim Predigen zu, weckt den halbwüchsigen Sohn für die Schule. Aber sie besucht auch die Frauen, die Lone betreut hat. Begegnungen, in denen Iulia von der Botschafterin zur Kundschafterin wird – und das eigene Lebensmodell am Leben der anderen abgleicht.

Es ist dieses nachdenklich Zögerliche, das vielleicht nur auf das Erkennen im Nebel der Routine wartet, das ihre Figuren ausmacht. Leute, die dem Leben nachschauen, während es Ihnen passiert. Und die irgendwann doch die Kurve kriegen, zumindest erstmal um die nächste Ecke, um sich zu besinnen. 

Auch in Schwester gibt es kein plötzliches Beben, welches das gängige Rollenbild zerstört. Mareike Krügel lässt das Bestehende lieber in eine Auflösung driften, die den Neuanfang schon in sich trägt. Und den so  durchschnittlichen Frauenleben, von denen die Autorin erzählt, entlockt sie zwischen Geburts- und Nachwehen die jeweilige Einzigartigkeit.

Krügels Bücher, zu denen auch der leichtfüßige Kinderroman Zelten mit  Meerschwein gehört, entstehen im Nachdenken darüber und indem sie die Wirklichkeit befragt. Sie umkreist, was sie beobachtet, was ihr begegnet. Dazu gehört, dass mitten im Leben auch der Tod allgegenwärtig ist. Die Angst davor, aber auch das selten gewordene Gefühl dafür, dass er die andere Seite des Lebens ist. „Ich schreibe, wovor ich mich fürchte“, sagt sie heiter.

Krügel interessiert der Moment, in dem es auch anders kommen könnte, in dem das Leben eine Abbiegespur, eine zweite Möglichkeit bereitstellt. Und wie dann doch vieles bleibt, wie es ist. „Das ist oft Schreibanlass“, sagt sie, „und dann ergeben sich Figuren eines Ichs, das hätte sein können, wenn ich andere Entscheidungen getroffen hätte.“

In Sieh mich an (2017), der wochenlang auf der Spiegel-Bestsellerliste stand, ist es der Morgen, an dem die Protagonistin Katharina in ihrer Brust einen Knoten erspürt – und darüber ihre vielfältige Lebensunklarheit kulminiert. „Ich will nicht sterben und ich will nicht durch diese Tür gehen“, lässt die Autorin die vielfach geforderte Protagonistin gleich im ersten Satz sagen. Das Existenzielle und das Alltägliche - bei Krügel ist das Eine immer auch das Andere.

Statt zum Arzt zu gehen, schöpft Katharina die Möglichkeiten der Verdrängung aus: Die nasenblutende Tochter, die in der Schule abgeholt werden muss. Der Nachbar, der sich den Daumen abgemäht hat. Der kaum noch vorhandene Ehemann, der sie gern auf seiner Geschäftsparty in Berlin dabei hätte. Die abgebrochene Promotion. Der alte Schulfreund. Dazwischen bleibt nicht viel Platz für das eigene Ich.

Auf den ersten Blick erscheint oft ganz einfach, was Mareike Krügelerzählt. Geschichten und Gespräche wie vor der Haustür aufgesammelt. Gewöhnliche Menschen in gewöhnlichen Strukturen. Lakonisch kann sie vom Aufwachsen mit Strandspaziergang und Trauerbegleitung erzählen. Oder von Landfrauen, die im handfesten Einsatz Kälber zur Welt bringen, während sie mit der eigenen Schwangerschaft hadern. Und in ihrer zupackenden, ironisch grundierten Sprache kommen ihre Heldinnen zu sich.

Es liegt aber auch ein Firnis des Mystischen über Krügels realistischer Sachlichkeit, in der sich das Leben einen Moment lang als vollkommen folgerichtig darstellt - und als oft gnadenlos unbarmherzig.  

Natürlich werden daraus bei ihr keine weinerlichen Frauenstudien. Dazu sind ihr Blick und ihre Sprache viel zu analytisch und lakonisch, ist ihr Blick auf die Welt viel zu humorvoll. Lieber seziert sie genüsslich die Dramen des Alltags, spitzt sie zu in eine Form der Überalltäglichkeit, mit der das Schicksal ins Surreale kippt. Und in der Verzweiflung des vom Leben überforderten Menschen schwingt die Belustigung unüberhörbar mit.