Björn Högsdal
Högsdal, Björn
Autor, Slam-Poet, Kulturveranstalter und Leiter von Poetry-Slam-Workshops
geboren am 9. Januar 1975 in Köln
Hätte ich Deutsch auf Lehramt studiert, wäre das nicht passiert#1 lautet der Titel von Björn Högsdals Monografie-Debüt, einer Sammlung von etwas über 100 Kurzgeschichten, Gedichten und anderen (Bühnen-)Texten. Und in der Tat, hätte er sein Studium der Neueren Deutschen Literatur- und Medienwissenschaft sowie in den Nebenfächern der Mittleren und Neuen Geschichte und Europäischen Ethnologie abgeschlossen, wäre aus ihm vermutlich weder der Autor und Performer von Punchline-Prosa, kabarettistischer Lyrik und Satiren, noch der Veranstalter und Moderator von Poetry Slams und Lesebühnen in Kiel und in fast jeder Stadt Schleswig-Holsteins geworden.
Vom Rap zum Slam zur Lesebühne
Högsdal, der in Meersburg am Bodensee aufwuchs und 1996 erst zum Zivildienst, dann zum Studium nach Kiel kam, war Ende der 1990er Jahre zunächst in jenem Teil der Kieler Rap-Szene aktiv, die den Anspruch hatte, Lyrik auf Beats zu machen, wo also das Wort im Vordergrund stand. Er arbeitete mit Rappern wie sAziH und dem später bundesweit erfolgreichen Albino zusammen. Gleichzeitig entdeckte er den Poetry Slam, der 1999 erstmals im Kieler Club „Tanzdiele“ (heute „Schaubude“) regelmäßig stattfand. 2001 übernahmen Högsdal und sein Studienkollege Patrick Kruse (heute Dr. Patrick Rupert-Kruse, Professor für Medientheorie und Immersionsforschung an der FH Kiel) die Veranstaltung und künstlerische Leitung des Kieler Poetry Slams und gründeten im Jahr darauf die Künstler- und Veranstaltungsagentur assemble ART.
Der Kieler Poetry Slam war damals ein rein lokales Event und hatte noch keine Verbindung zur deutschsprachigen, geschweige internationalen Slam-Szene. Innerhalb weniger Jahre gelang es jedoch assembleArt, „Kiel und Schleswig-Holstein auf die Landkarte des deutschsprachigen Poetry Slams zu setzen“, so Högsdal heute mit berechtigtem Stolz. Seit 2004 reisten Schleswig-Holsteiner*innen und auch Högsdal selbst deutschlandweit zu verschiedenen Poetry Slams und luden Slam-Poet*innen, die sie dabei kennenlernten (darunter damals noch relativ unbekannte heutige Kabarett-Größen wie Sebastian23, Hazel Brugger und Lisa Eckhart), zum Kieler Slam ein, der dadurch an Niveau und Publikum gewann. 2005 wurde erstmals ein schleswig-holsteinisches Team zu den deutschsprachigen Meisterschaften des Poetry Slams nach Leipzig entsandt. Beim Kieler Poetry Slam debütierten heute bekannte Poet*innen und Stand-up-Comedians wie Mona Harry oder Moritz Neumeier.
Der Kieler Poetry Slam strahlte auf das ganze Bundesland aus. assemble ART veranstaltete ab 2007/2008 regelmäßige Slams in Neumünster, Flensburg und auf Sylt, weitere folgten als „Ableger“ oder von assemble ART selbst veranstaltete, z.T. mit Högsdal als Slam-Master (Moderator), in mittlerweile 16 Städten im Lande. Ferner organisiert(e) assemble ART als mittlerweile größter Spoken-Word-Veranstalter Schleswig-Holsteins neben den jährlichen Landesmeisterschaften (auch im U20-Bereich), den 10. deutschsprachigen U20-Meisterschaften 2013 (begleitet von der damaligen Kulturministerin Anke Spoorendonk und dem damaligen Ministerpräsidenten Torsten Albig) und dem 1. Spoken Words Festival 2016 in Kiel auch Gala-Events wie die Carlshütten-Slams im Rahmen der NordART in Büdelsdorf (dort auch jährlich der „Iron Slam“ und „Dead vs. Alive“) sowie auf Festivals wie der Fusion, dem Wacken Open Air und dem Wilwarin-Festival in Ellerdorf. Zu einem Großevent mit bis zu 3.000 Besucher*innen hat sich der Kieler Woche Slam im Ratsdienergarten entwickelt.
Zusammen mit dem Literaturhaus Schleswig-Holstein und unterstützt vom Land und der Landeshauptstadt Kiel knüpfte Högsdal mit gegenseitigen Besuchen und gemeinsamen Slams Kontakte zu Slam-Poet*innen aus dem französischen Nantes (europäische Partnerregion) sowie nach Dänemark und Spanien. Högsdal setzte Schleswig-Holstein damit auch auf die internationale „Landkarte“ der Spoken-Word-Kunst – passend dazu, sich „vor allem als Europäer“ zu fühlen, denn er hat väterlicherseits eine norwegische Migrationsgeschichte.
Von 2001 bis 2009 veranstaltete assemble ART im Kieler Kommunikationszentrum Hansa48 erst halbjährlich, dann einmal pro Jahr „WortGewalten“, wo Rapper auf Lyriker trafen. Dieses damals neue Format trägt dem Rechnung, dass Rap und Lyrik sich gegenseitig befruchtende Gattungen des performativen Spoken Word sind. Högsdal selbst hat „vom Rap und seinen komplexen Reimschemata sowie seinem rhythmischen ,Flow‘ für die eigene Lyrik handwerklich viel gelernt“. Überdies dominierten im Poetry Slam damals – ganz anders als heute – vor allem Comedy-nahe Texte, „ernsthafte“ (politische) Lyrik und Kurzprosa hatten wenig Chancen auf gute Platzierung im Wettbewerb.
Dennoch wandelte sich der Kieler Poetry Slam im Lauf der Jahre, gewann nicht zuletzt durch hochklassige auswärtige Gäste an Niveau und wurde immer „literarischer“. Zudem gab es immer mehr Publikum, so dass man 2009 von der zu eng werdenden „Schaubude“ in den „Roten Salon“ im Keller der Pumpe umzog. In der „Schaubude“ lief noch einige Jahre parallel ein „Regio-Slam“ als offene Bühne für „Anfänger*innen“, die das inzwischen hohe Niveau des Kieler Poetry Slams von einer Teilnahme abschreckte. Auch im „Roten Salon“ war es irgendwann zu eng, so dass man für einige Slams in den Saal der Pumpe wechselte. Dort erwies sich aber der Abstand zwischen erhöhter Bühne und dem Publikum als wiederum zu groß, so dass der Slam wieder in den Keller verlegt wurde. Ende 2019 wechselte der Poetry Slam zusammen mit der 2011 als „Lesus Christus“ gegründeten Lesebühne „Irgendwas mit Möwen“ ins KulturForum in der Stadtgalerie. Im dortigen Foyer hatte man vorher schon gute Erfahrungen mit dem „Jazz Slam“, einer Kombination von Slam und dazu live improvisiertem Jazz, gesammelt.
Der Autor Björn Högsdal
„Ich bin sehr gerne ein Kulturunternehmer und Kulturvermittler“, sagt Björn Högsdal über sich, der sich neben der Veranstaltung von oben genannten vielfältigen Spoken-Word-Formaten, auch um den Nachwuchs kümmert, indem er seit 2006 Workshops und Fortbildungen zum Thema Poetry Slam u.a. in Schulen anbietet – im Auftrag z.B. des Literaturhauses Schleswig-Holstein, des Bundesministeriums für Bildung und Forschung und im Ausland für das Goethe-Institut sowie den DAAD. „Bei all dem muss allerdings ich aufpassen, dass mein eigenes literarisches Schaffen nicht zu sehr in den Hintergrund tritt.“
Nur der Vollständigkeit halber seien daher einige seiner zahlreichen Erfolge als Solo-Künstler genannt: Mehrmals unter den Top 20 bei den deutschsprachigen Meisterschaften des Poetry Slam, beste Platzierung: 7. Platz 2009 in Düsseldorf. Preisträger verschiedener Literaturwettbewerbe, u.a. Sieger des Karl-Marx-Poesiepreises der Stadt Trier. Radio- und TV-Auftritte, u.a. WDR-Poetry Slam (2007); Sarah Kuttners Slamtour, Sat.1 Comedy (2008); NDR-Comedy Contest (2012); Kino-Doku Dichter und Kämpfer(2012, Regie: Marion Hütter). Seit 2006 regelmäßige Veröffentlichungen als freier Autor beim Satire-Magazin „Titanic“. Vertreten in mehreren Anthologien, zuletzt: Poetry Slam – das Buch. Die 40 besten Bühnen-Texte, Carlsen Verlag, Hamburg 2010. Als Herausgeber: CD Gottfried Benn: Benn Now – Morgue & More. Benns Lyrik trifft elektronische Musik, assemble ART Verlag, Kiel 2008; 155 Kurze. Eine gar nicht so kurze Sammlung der besten Kurz-Texte des Poetry Slam, zus. mit Wolf Hogekamp, Lektora Verlag, Paderborn 2012; Last Exit Babyklappe. Ein Lesespaß für die halbe Familie, Satyr Verlag, Berlin 2013.
Ist Poetry Slam als Bühnenkunst Literatur? Unbedingt! Dennoch gab es (und gibt es, wenn auch mit der Zeit weniger) immer wieder Zweifel an der „Literarizität“ der Gattung. Schon von Seiten der Protagonist*innen selbst, die sich eher als Poet*innen, denn als Autor*innen oder Dichter*innen bezeichneten. „Schriftsteller*innen“ passt wohl am wenigsten, weil Poetry Slam – wie Lyrik ursprünglich – weniger das geschriebene, als das gesprochene, „performte“ Wort gestaltet. Björn Högsdals Monografien (auch als „Solos“ bezeichnet) befinden sich in genau diesem Spannungsfeld. Sein Solo-Debüt Hätte ich Deutsch auf Lehramt studiert, wäre das nicht passiert (2010) ist nach eigenem Bekunden „eine Sammlung von den besten Bühnentexten“, die gedruckt oft nicht so gut funktionierten wie auf der Bühne vorgetragen. Seine zweite und bislang letzte Monografie Flaschenpost von Gott#2 sei dagegen „eher literarisch“, enthalte „mehr ernste Prosatexte“.
Und so wie manche Bühnentexte im Buch nicht so gut funktionieren, schreibt Högsdal in jüngster Zeit Texte, die – umgekehrt – „nicht auf die Bühne passen“. Z.B. sein „Erinnerungstext“ Wann endet ein Niewieder?. Angeregt von einem Stolperstein in der Kieler Ringstraße erinnert er darin an die 1933 in Kiel geborene Jüdin Betty Sandberg, die 1942 im KZ Auschwitz ermordet wurde. „Wie mochte sie als Kind gelebt haben, wie nahm sie die Judenverfolgung wahr – vielleicht ja sogar als Normalität? Und sind ,Grenzverschiebungen an der Humanität und menschlichen Solidarität‘ nicht schon wieder an der Tagesordnung? Was können wir tun, damit wir nicht irgendwann neue Stolpersteine verlegen müssen?“, heißt es im Begleittext zu seiner Lesung des Textes am Literaturtelefon Kiel im September 2020 #3. Übrigens: Das Literaturtelefon Kiel hatte Högsdal zusammen mit Patrick Kruse und Jörg Meyer im März 2007 vom Amt für Kultur und Weiterbildung der Landeshauptstadt Kiel übernommen und um einen Online-Auftritt erweitert, um ein jüngeres Publikum anzusprechen. (Seit 2015 wird es von Jörg Meyer allein weiterbetrieben.)
Mag ein Text nicht auf die Slam-Bühne passen, so doch durchaus auf eine Lesebühne wie „Irgendwas mit Möwen“. Letztere nutzt Högsdal, um einen Text zu „schleifen“, weil er dort gelesen vom Publikum ein direktes Feedback erfährt, das Högsdal dann wiederum in den Text ein- und umarbeitet. Die Publikumsreaktion als Anregung bzw. Korrektiv für den Autor – auch so ein Vorteil des Bühnenformats.
Für die Zukunft hat Högsdal Pläne, das Kurzformat zum Roman zu weiten. Der wird natürlich wie seine Spoken-Word-Texte satirisches Potenzial behalten. U.a. „eine Parodie auf einen nordischen Krimi“ schwebt ihm vor. Das liege bei dem Namen ja nahe, lacht er: „Björn Högsdal und die Tote am Strand“. Das „Kieler Krimi Kartell“ hat ihn schon mal vorsorglich als Mitglied aufgenommen.
1.7.2021 Jörg Meyer
ANMERKUNGEN
1 Lektora Verlag, Paderborn 2010.
2 Lektora Verlag, Paderborn 2018.
3 Online unter www.literaturtelefon-online.de/?page_id=3779.
Audio
Björn Högsdal liest für das Literaturtelefon Kiel seinen Text Wann endet ein Niewieder?. Link: http://www.literaturtelefon-online.de/?page_id=3779
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ORTE
WERKE
- Hätte ich Deutsch auf Lehramt studiert, wäre das nicht passiert. Paderborn: Lektora 2010.
- Flaschenpost von Gott. Paderborn: Lektora 2018.