Gustav Falke

Falke, Gustav

Geboren in Lübeck am 11. Januar 1853
Gestorben in Hamburg am 8. Februar 1916

Wenige Hütten, gedeckt
Mit überragenden Schindeln.
Manche versteckt,
Wie‘s Kind in den Windeln,
Hinter Apfelbaumgezweig
Und gegen den Steig
Von hohen Dornen eingeheckt.

Es war ein Gedicht, das Gustav Falke die Freundschaft mit Detlev von Liliencron einbrachte und seinen literarischen Durchbruch beförderte. Tatsächlich sollte sich Falke nicht nur durch seine Lyrik, sondern auch mit seinem Roman Landen und Stranden (1895), der Autobiographie Die Stadt mit den goldenen Türmen (1912) und seine Kinderbücher einen Namen machen. Ursprünglich vom Impressionismus beeinflusst, ist er nach Kriegsbeginn ein überzeugter Nationalist geworden. Heute wird Falkes Name in erster Linie wegen seiner Freundschaft mit Otto Ernst, Richard Dehmel, Paul Heyse und natürlich Detlev von Liliencron genannt.

Gustav Falke entstammte „einer den Künsten und Wissenschaften aufgeschlossenen Familie“. #1 Geboren am 11. Januar 1853 als Sohn von Johann Friedrich Christian Falke und dessen Ehefrau Elisabeth Franziska Hoyer, gehörten die Historiker Johannes Falke (1823–1876) und Jacob von Falke (1825–1897) zu seinem Umfeld. Sein Stiefvater Hermann Stahl – der Vater war 1857 gestorben, die Mutter hatte 1862 neu geheiratet #2 – verweigerte ihm allerdings den Wunsch, Musik oder Literatur zu studieren, und schickte ihn 1868 „nach dem Besuch des Realgymnasiums in die Buchhandelslehre nach Hamburg“. #3 Nach 1870 arbeitete er als Buchhändlergehilfe in Essen, Stuttgart und Hildburghausen; 1878 kehrte er nach Hamburg zu seiner Mutter zurück, die nach dem Scheitern ihrer zweiten Ehe als Klavierlehrerin arbeitete. #4 Falke wurde dort „nach intensivem Privatstudium bei dem angesehen Musikpädagogen Emil Krause Musiklehrer“; #5 er ging dieser Tätigkeit bis 1903 nach. 1890 heiratete Falke seine Schülerin Anna Theen, mit der er drei Kinder hatte.

Ab diesem Jahr veröffentlichte Falke Lyrik, die ihn in Kontakt mit der Hamburger Literarischen Gesellschaft um Otto Ernst, Jakob Löwenberg und Emil von Schönaich-Carolath brachte. „Mit seiner von Zeitgenossen vielfach bezeugten stillen und scheuen Art hätte er sich im literarischen Leben der Zeit aber wohl nicht ohne weiteres durchsetzen können, wenn sein Gedicht Gang durchs Fischerdörfchen nicht die begeisterte Zustimmung Detlev von Liliencrons gefunden hätte. Liliencron, der seit 1891 in Ottensen lebte, schloss Freundschaft mit Falke und regte ihn zu weiteren Dichtungen an.“ #6 Für Falke blieb Liliencron, dem er 1892 seinen ersten Gedichtband Mynheer der Tod (Dresden 1892) zugeeignet hatte, ein Vorbild, dessen Schaffen für ihn maßgeblich sein sollte. „Falkes Lyrik kennzeichnen ein genrehafter, impressionistischer Realismus, volksliedhafte Schlichtheit, verhaltener Humor, Naturliebe und ein Hang zu stiller häuslicher Zurückgezogenheit.“ #7 Zunächst als „Moderner“ rezipiert, galt er nach der Jahrhundertwende als „Neuromantiker“, der sich der Tradition von Eduard Mörike, Conrad Ferdinand Meyer, Theodor Storm und Joseph von Eichendorff verpflichtet fühlte. „Aus den literarischen Auseinandersetzungen seiner Zeit hielt er sich heraus; formale Experimente lagen ihm fern, ebenso jede Art von gesellschaftspolitischem Engagement.“ #8

Dem expressionistischen Ansatz stand er ebenso ablehnend gegenüber wie dem Naturalismus oder dem Realismus. „In Falkes ästhetischem Selbstverständnis war die Opposition von Kunst und Leben fundamental; sie durchzieht leitmotivisch sein dichterisches Schaffen, in dem er Zuflucht vor Erfahrungen des Tages suchte.“ #9 Zu Falkes 100. Geburtstag äußert Kurt Oppert, der seine Doktorarbeit über den Lübecker geschrieben hat: #10 „Falkes Unfähigkeit, sich in die Welt auszuleben, ist der wesentliche Antrieb seiner Kunst: im Dichter wächst Sehnsucht, das nach draußen ungelebte Leben befriedigt sich im Traum.“ #11 Nicht immer zum Vorteil für die literarische Qualität, wie der Biograph Jürgen Schwalm anmerkt: „In den Jahren 1890–1905 schrieb Falke alle wesentlichen literarischen Arbeiten; danach variierte er nur noch seine Themen.“ #12

Letztlich war er dem Selbstverständnis und seinen Schriften nach ein konservativer Autor, dem die aktuellen Zeitströmungen fremd blieben. In dem Roman Landen und Stranden (1895) schildert er „ein Panorama der Hamburger Welt in ihrem Geschäfts- und Künstlermilieu, ihren Alstervillen der Reichen und den bunten Szenen von St. Pauli“; allerdings „vermochte sich Falke zur modernen ‚konsequenten‘ Schreibweise nicht durchzuringen und beließ es bei realistischen Details.“ #13 Obwohl seine Lyrik durchaus gelesen und von renommierter Seite – darunter Engelbert Humperdinck, Alma Mahler-Werfel, Max Reger, Arnold Schönberg, Richard Strauss und Anton Webern – vertont wurde, blieben seine finanziellen Verhältnisse prekär. „Zu Falkes 50. Geburtstag setzte ihm der Senat der Stadt Hamburg eine jährliche Ehrenpension von 3.000 Mark aus, sodass er sich ganz dem dichterischen Schaffen widmen konnte.“ #14 Falke siedelte nach Groß Borstel um, widmete sich dem Versepos (Der gestiefelte Kater, 1904), dem Jugendbuch und dem Kindergedicht. Erfolgreich waren vor allem jene Verse, die er „auf Anregung des Direktors der Hamburger Kunsthalle Alfred Lichtwark zu nachgelassenen Tierzeichnungen Otto Speckters verfaßte“. #15 In Lübeck ist Falke nicht zuletzt mit seiner Autobiographie Die Stadt mit den goldenen Türmen (1912) bekannt geworden, die seine Jugendjahre in der Hansestadt behandelt:

In Lübeck bin ich geboren, im Schatten von Sankt Marien. Es war in meinem achten Jahre, als sich meiner kindlichen Seele die Vaterstadt in einem unauslöschlichen Bilde einprägte, und immer leuchtender wurden mit der Zeit seine Farben, so daß es über ein bloßes Abbild meiner irdischen Geburtsstätte weit hinauswuchs und zum Symbol einer himmlischen Heimat erblühte, der mein Sehnen und Suchen galt. […] Noch lagen die Dächer und Türme der Stadt, wie auch die wenigen Masten in ihrem stillen Hafen, in einem kalten Zwielicht. Hier und da stieg schon ein Rauch aus den Schornsteinen, der uns anzeigte, daß wir nicht die einzigen Frühaufsteher waren, und uns zugleich an den Morgenkaffee erinnerte, der uns mit seinem Festkuchen noch bevorstand.

Allerdings: Interessant ist das Buch „eher als Dokumentation seiner Freundschaft mit Liliencron und Dehmel, des literarischen Lebens in Hamburg um die Jahrhundertwende und seines Verhältnisses zu den literarischen Strömungen seiner Zeit.“ #16 Im Ersten Weltkrieg „erlag Falke der nationalistischen Stimmung und beteiligte sich mit Gedichten am ideologischen Kriegsdienst“. #17 Hierfür hat er 1915, im Erscheinungsjahr der „Kriegsliedersammlung“ Vaterland, heilig Land, einen Orden erhalten.

In Groß Borstel existiert seit 1952 eine Gustav-Falke-Stele von Ludwig Kunstmann. In Berlin wurde eine Grundschule nach Falke benannt; Straßen mit seinem Namen gibt es in Hamburg-Eimsbüttel, Lübeck-St. Jürgen und Kiel-Pries.

10.2.2022 Kai U. Jürgens

ANMERKUNGEN

1 Marek Zybura/Red.: Falke, Gustav. In: Killy-Literaturlexikon. Autoren und Werke des deutschsprachigen Kulturraumes, hg. v. Wilhelm Kühlmann. Bd. 3, Berlin 2008, S. 370–371, hier S. 370.

2 Alken Bruns: Falke, Gustav. In: Biographisches Lexikon für Schleswig-Holstein und Lübeck, Bd. 13, Neumünster 2011, S. 145–148; hier S. 145.

3 Marek Zybura/Red.: Falke, Gustav, wie Anm. 1.

4 Vgl. Alken Bruns: Falke, Gustav, wie Anm. 2.

5 Marek Zybura/Red.: Falke, Gustav, wie Anm. 1.

6 Ebd.

7 Alken Bruns: Falke, Gustav, wie Anm. 2, S. 146.

8 Ebd.

9 Marek Zybura/Red.: Falke, Gustav, wie Anm. 1, S. 371.

10 Kurt Oppert: Gustav Falke. Darstellung seiner Persönlichkeit und Formanalyse seiner Gedichte nach allgemeinen Gesichtspunkten und im Vergleich zu andersartiger Lyrik. Bonn 1925.

11 Kurt Oppert: Gustav Falke zum Gedächtnis. In: Euphorion. Zeitschrift für Literaturgeschichte, 47. Jahrgang 1953, S. 68–78, hier S. 68.

12 Jürgen Schwalm: Eine Jugend unter goldenen Türmen. Der Dichter Gustav Falke. Bad Schwartau 2007. Zit. n. https://crescer-publishing.de/juergen-schwalm-eine-jugend-unter-goldenen-tuermen/.

13 Marek Zybura/Red.: Falke, Gustav, wie Anm. 1, S. 371.

14 Ebd., S. 370.

15 Alken Bruns: Falke, Gustav, wie Anm. 2, S. 147.

16 Ebd.

17 Marek Zybura/Red.: Falke, Gustav, wie Anm. 1, S. 371.