Graf von Saint-Germain

Saint-Germain, Graf von (auch: Graf von Aymar; Graf von Bellamare oder Belmar; Graf Soltikoff; Graf Welldone). Pseudonym: Ernst, Otto.

Europäischer Abenteuer, Hochstapler, Alchemist und Komponist

Geboren um 1710
Gestorben in Eckernförde am 27. Februar 1784

Kaum eine zweite mit Schleswig-Holstein verbundene Persönlichkeit der Geschichte hat die Phantasien von Literat*innen, Esoteriker*innen und (Hobby-)Forscher*innen weltweit derartig tiefgreifend und langanhaltend beschäftigt wie der mysteriöse Alchemist, Komponist und Scharlatan Graf von Saint Germain. Meyers Großes Konversations-Lexikon von 1906 fasst sein vor Geheimnissen, Widersprüchen, Hochstapeleien und wunderlichen Ereignissen strotzendes Leben so zusammen:

[B]erühmter Abenteurer des 18. Jahrh., dessen wahrer Name nicht bekannt geworden ist, der aber wahrscheinlich aus Portugal stammte, trieb sich mit dem Vorgeben, schon 2000 oder 3000 Jahre alt zu sein und Christus und die zwölf Apostel gut gekannt zu haben, und des Besitzes von allerlei Wundergaben und Zauberkräften sich rühmend, seit 1740 unter verschiedenen adligen Namen in den feineren Zirkeln der Hauptstädte Europas umher. Vielseitiges Wissen und ein seltenes Gedächtnis, große Weltkenntnis und ein gefälliges Äußere unterstützten seine Schwindeleien, durch die er die Gunst Ludwigs XV., des Fürsten Orlow, des Markgrafen Karl Alexander von Ansbach und des Landgrafen Carl von Hessen zu gewinnen wusste. Meist entfaltete er großen Reichtum, von dem man vermutete, daß er ihn durch Spionagedienste erworben. Er starb 1784 in Eckernförde.

Meyers Großes Konversations-Lexikon, 6. Aufl., Leipzig/Wien 1906.

Sein Zeitgenosse Giacomo Casanova zeigt sich in seinen Memoiren durchaus beeindruckt von dem „Wundermann“:

Er wollte verblüffen und verblüffte auch tatsächlich. Er hatte eine entschiedene Art zu sprechen, die jedoch nicht missfiel, denn er war gelehrt, sprach fließend alle Sprachen, war sehr musikalisch, ein großer Kenner der Chemie, besaß angenehme Züge und verstand es, sich bei allen Frauen beliebt zu machen.

Giacomo Casanova: Geschichte meines Lebens. Bd. 5. Berlin 1967, S. 143.

Alexandre Dumas, Jan Potocki, Alexander Puschkin, William Makepeace Thackery, George Sand, Karl May, Rainer Maria Rilke und Umberto Eco waren von der frühen Galionsfigur der esoterischen Bewegung fasziniert genug, um ihm in ihrem Werk auf ewig einen Platz einzuräumen. Was nicht verwundert, schließlich existieren bereits über die tatsächliche Herkunft des Grafen von Saint Germain zahlreiche Theorien; ob es sich bei ihm nun aber tatsächlich um einen Portugiesen, einen Elsässer Juden, einen Italiener aus dem Piemont oder, wie von ihm selbst zuweilen behauptet, um den Sohn eines transsilvanischen Fürsten gehandelt hat, wird wohl niemals geklärt werden können; ebenso wenig wie sein Geburtsjahr oder sein frühes Wirken.

Zum ersten Mal taucht Saint Germain um 1745 in der gehobenen Londoner Gesellschaft auf, wo er als Komponist, Geigenspieler, Juwelensammler und Kompilator einer italienischen Liedsammlung von sich reden macht. Zehn Jahre später fasziniert er den Pariser Adel mit seinen atemberaubenden Lebensgeschichten, die teilweise viele Jahrhunderte zurückreichen und von ihm derart ernsthaft und glaubwürdig vorgetragen werden, dass kaum jemand auf die Idee kommt, es könne sich bei ihm um einen Hochstapler handeln.

Durch Vermittlung der Madame Pompadour kommt Saint Germain in die Gunst König Ludwigs XV., der dem geheimnisvollen Mann in Versailles ein Labor für seine alchemistischen Experimente einrichtet. Der Graf gibt vor, Defekte in Edelsteinen ausmerzen zu können und im Besitz des „aqua benedetta“ zu sein, welches die noblen Damen vorm Altern bewahre. 1760 verliert er aufgrund politischer Verwicklungen die Protektion des Königs und muss überstürzt nach London fliehen. Von da zieht er weiter in die Niederlande, nach Deutschland und Russland und hinterlässt auf seiner Reise die geprellten Opfer seiner Überzeugungskunst und erhebliche Schulden. Nach 1763 verliert sich seine Spur zunächst.

Erst 1774 taucht Saint Germain wieder auf, dieses Mal am Hof des Markgrafen Karl Alexander von Brandenburg-Ansbach/Brandenburg-Bayreuth, mit dem er in seinem Schloss Triesdorf mit Farbstoffen experimentiert. Er wird Mitglied im okkulten Freimaurerzirkel der Rosenkreuzer.

1779 hält sich Saint Germain im Palais Ahlefeldt (dem heutigen Prinzenpalais) nahe Gottorf, sowie im Sommerschloss Louisenlund des Statthalters des dänischen Königs in Schleswig, Landgraf Carl von Hessen-Kassel, auf und experimentiert im dortigen „Alchemistenturm“ an Färbeverfahren. In Eckernförde gründen die beiden eine Seidenfärberei. So verbringt der mittlerweile hochaltrige Saint Germain seine letzten Lebensjahre.

Laut Kirchenbucheintrag verstirbt er am 27. Februar 1784 im Christianspflegehaus zu Eckernförde. In einem Brief Carls von Hessen-Kassel heißt es, Saint Germain habe in den Gebäuden der Otte‘schen Farbenfabriken (heute Kieler Str. 98-100) gearbeitet und zeitweise gewohnt, unglücklicherweise „in einem feuchten Zimmer […], wodurch er gesundheitliche Probleme bekam“. #1

Ungleich abenteuerlicher hingegen ist die Version, welche ausgerechnet Deutschlands berühmtester literarischer Hochstapler, Karl May, vom Ableben des Grafen anbietet. Gleich in zwei Erzählungen hat sich May mit dem Schicksal Saint Germains befasst, in Aqua benedetta – Ein geschichtliches Räthsel von Emma Pollmer (1878) und Ein Fürst des Schwindels – nach authentischen Quellen von Ernst von Linden (1880). In beiden Geschichten verstirbt Saint Germain an den tödlichen Folgen eines Duells mit einem betrogenen Adligen:

„Sie kennen mich wohl, Herr Graf?“ frug der Baron. […]

„Mein Gedächtnis ist Jahrhunderte alt,“ antwortet stolz der Graf; „es verläßt mich nie!“

„So werden Sie sich wohl auch des Diamanten erinnern,“ meinte jetzt Paranow, „welchen Sie mir in Wien für fünf Tausend Dukaten als ächt verkauften. Er stammte aus Ihrer mit dem Grafen Zobor gegründeten Manufactur und erwies sich als Composition. Sie sind ein Betrüger, Herr von Montserrat, von Bellamare, von Schöning, von Welldone, von Soltikow, von Tzarogh und von Saint Germain. Sie sehen, ich kenne alle Ihre Namen, welche diejenigen eines Schwindlers sind. Sie werden nicht Ehrgefühl genug haben, um Satisfaction zu fordern!“ […]

Die vier Männer blieben längere Zeit von der Gesellschaft abwesend. Nur drei von ihnen kehrten zurück; der Graf blieb unsichtbar.

Beim ersten Morgengrauen hörte man draußen zwischen den Dünen zwei Schüsse krachen, und einen Tag später verbreitete sich die Nachricht, daß der berühmte Graf Saint Germain plötzlich verstorben sei. Seine Anhänger glaubten, sein Geist habe nur eine Wandlung angetreten; der Graf hatte immer von seiner Apostasie gesprochen.

In der Tat berichten seine Bewunderer viele Jahrzehnte lang von Sichtungen des angeblich Verstorbenen, „in Versailles, um die königliche Familie vor den Wirren der Revolution zu warnen, in Wien und auch wieder in Schleswig beim Leichenbegängnis seines mit 92 Jahren gestorbenen Freundes, der über 60 Jahre regiert hatte. Das war 1836, und keiner der Trauergäste konnte die charakteristische Gestalt in Perücke und Kniehosen übersehen“ #2.

Allen Gerüchten zum Trotz wird der Graf von Saint Germain in der Kirche St. Nicolai beigesetzt. Sein Grabstein fällt der Sturmflut von 1872 zum Opfer und gilt seitdem als verschollen; enttäuschend vor allem für all die Pilger*innen, die noch immer aus aller Welt nach Eckernförde gereist kommen, nur um das Grab des Grafen zu besichtigen. 2009 verbreitet die „Schleswig-Holsteinische Landeszeitung“ die sensationelle Nachricht, Taucher hätten den vermissten Grabstein aus der Eckernförder Bucht gehoben. Leider nur ein Aprilscherz. #3

28.6.2021 Jens Raschke

ANMERKUNGEN

1 Zitiert nach NN: Graf Saint Germain: „Ein Mann, der niemals stirbt“. Eckernförder Zeitung vom 27.9.2018. https://www.shz.de/lokales/eckernfoerder-zeitung/graf-saint-germain-ein-mann-der-niemals-stirbt-id21277497.html

2 https://st-germain.de/biographie/in-schleswig-holstein/

3 Walter Steiger: Grabstein des Grafen St. Germain entdeckt. Eckernförder Zeitung vom 1.4.2009. https://www.shz.de/lokales/eckernfoerder-zeitung/grabstein-des-grafen-st-germain-entdeckt-id966431.html