Hans Leybold

Leybold, Hans; Pseudonym: Ha Hu Baley

Expressionist und literarischer Revolutionär

Geboren in Frankfurt am Main am 2. April 1892
Gestorben in Itzehoe am 8. September 1914

Das kurze, intensive Leben von Hans Leybold begann in Frankfurt, aber die Familie zog bald nach Hamburg, wo er aufwuchs und sein Abitur machte. Anschließend leistete er seinen Wehrdienst in Itzehoe ab und ging dann nach München, um Germanistik und Philosophie zu studieren. Hier beginnt eigentlich seine Zeit als Autor. Nicht nur veröffentlichte er ab 1913 Artikel in der vielleicht wichtigsten expressionistischen Zeitschrift, der Aktion aus Berlin, sondern er begründete auch sein eigenes künstlerisches Netzwerk, das schnell groß genug war, um eine eigene, schon vom Titel her noch radikalere Zeitschrift zu gründen: 1913 erschien das erste von vier von Leybold herausgegeben Heften der Revolution, in denen der Einundzwanzigjährige aufstrebende AutorInnen wie Max Brod, Kurt Hiller, Emmy Hennings oder Erich Mühsam um sich versammelte. Besonders wichtig war für Leybold die Freundschaft mit dem späteren Begründer des Dadaismus, Hugo Ball: Beide zusammen verfassten unter dem kombinierten Pseudonym „Ha Hu Baley“ Gedichte, die bereits auf Dada vorauswiesen und in der Aktion gedruckt wurden. Ball veröffentlichte auch in der Revolution, und wegen seines vermeintlich obszönen Gedichts Der Henker wurde bereits das erste Heft der Zeitschrift verboten. Für Leybold und Konsorten war das in erster Linie ein Publicityerfolg, zumal das Verbot bald darauf mit einer bemerkenswerten Begründung wieder aufgehoben wurde: Dem Gericht schien das Gedicht „derart unverständlich, dass von einer Verletzung des Scham- und Sittlichkeitsgefühls in geschlechtlicher Beziehung nicht die Rede sein kann“. #1 Nachdem die Revolution trotzdem nach nur kurzer Zeit eingestellt wird, veröffentlicht Leybold hauptsächlich in der Aktion. Im Frühjahr 1914 verlässt er München und immatrikuliert sich in Kiel, bleibt jedoch nur kurz in der Stadt: Zum Kriegsausbruch im August 1914 wird er einberufen und sehr bald an der Front in Belgien verwundet. Am 4. September 1914 wird er als „dienstfähig“ aus dem Lazarett entlassen, und in der Nacht vom 7. auf den 8. September erschießt sich Leybold in seiner Garnison in Itzehoe. Was ihn zu dieser Tat bewogen haben mag, ist unklar – die Grauen des Krieges wären eine mögliche Erklärung, aber der Leybold-Kenner Eckhard Faul hält es für wahrscheinlicher, „daß er glaubte, unheilbar an Syphilis erkrankt zu sein und keinen Ausweg mehr sah“. #2 In seinem Nachruf betonte Kurt Hiller den rastlosen Aktivismus des Verstorbenen: „Die Partei gegen die Ruhe, die Partei der Weltänderung, die Partei des fanatischen Rationalismus, die Partei der Tat hat einen Verlust zu beklagen.“ #3

Leybolds schmales Werk besteht hauptsächlich aus Glossen und Gedichten. In beiden Textsorten geht es ihm wie vielen Schriftsteller*Innen des Frühexpressionismus um die Herstellung von Intensität: Er will ausdrücken, was für seine Generation das Leben ausmacht, auch wenn das freimütige Schildern von sexuellen und anderen Exzessen in einer erstarrten und konservativen Gesellschaft zum Konflikt mit den Älteren führt. In seiner Zeitschrift hat er dieses Programm besonders direkt als radikale, gewalttätige Abgrenzung von den Autoritäten formuliert:

Schlagt um euch: gegen alten Hausunrat! Geht ein wertvolles Stück dabei in Fetzen: Was schadets? Ihr Respektspersonen! Ihr Wohlpolierte! Ihr Oberbonzen! Man soll euch hier die Zunge zeigen! […] Hier ist der Tummelplatz: ihr, die ihr etwas auf dem Herzen habt gegen verrottet Stinkendes, gegen alte Saupfützen, gegen Klebrig-Abgegriffenes: hier ist der Tummelplatz! Schlösser vom Maul!

Hans Leybold: Gegen Zuständliches. In: „Gegen Zuständliches“. Glossen, Gedichte, Briefe. Hrsg. v. Eckhard Faul. Hannover: Postskriptum 1989, S. 34.

In Leybolds Lyrik können wir genauer sehen, wie dieses „Zunge zeigen“ gegen die etablierte Literatur aussieht: Es besteht hauptsächlich aus einem typisch expressionistischen Katalog von Großstadtbildern, die in ihrer Hässlichkeit provozierend auf literarische Spießer wirken und konventionelle Vorstellungen von Schönheit herausfordern sollen. In seinen Glossen wird wiederholt Emanuel Geibel als Feindbild genannt, und in der Tat haben Leybolds Verse so wenig wie möglich mit Geibelscher Betulichkeit zu tun:

Glutblumen ihr, aus Wolkenbäuchen
im Glanz verstreuten Lichtes laut erblüht,
Stadtbogenlampen. Singend durch die Nebel keuchen
die Hurenlieder. Gelblichgrüner Eiter glüht
um Wunden violetter Zentren. […]

Hans Leybold: Der hymnische Fluch. In: „Gegen Zuständliches“. Glossen, Gedichte, Briefe. Hrsg. v. Eckhard Faul. Hannover: Postskriptum 1989, S. 50, V. 1–5.

Politisch interessiert ist Leybold in seinen Gedichten weniger, als man angesichts des Titels seiner Zeitschrift denken könnte: Seine Revolution ist hauptsächlich ästhetischer Art. Dennoch findet er in seiner Lyrik gelegentlich zu intensiven politischen Aussagen. So wird in einem Gedicht über den „dritten Stand“ nicht nur ein konkreter Klassengegensatz beschworen, sondern auch der Mond als an Matthias Claudius erinnerndes poetisches Klischee verächtlich gemacht:

Wir Durstigen! Kein Quell stillt unsere Brände.
Wir brüten Wut. Es qualmen grau die Kerzen
in unsern Kellern. Verfluchte Sattheit! Unsre Hände
hart geballt. Nur manchmal leuchtet uns der Mond:
gequollenes Symbol des Feisten, der in Villen wohnt.

Hans Leybold: Le tiers état. In: „Gegen Zuständliches“. Glossen, Gedichte, Briefe. Hrsg. v. Eckhard Faul. Hannover: Postskriptum 1989, S. 54, V. 6–10.

In den Gedichten mit Hugo Ball erkundet Leybold schließlich die Grenzen des Verständlichen: Auch hier gibt es provokante Schilderungen von Sex und Unterwelt, aber hauptsächlich wird hier, wie später bei Dada, die hehre Poesie an sich als Ausdruck von etwas Vermittelbarem, Nachvollziehbarem in Frage gestellt:

Ein Doppeldecker steigt aus jeder Flasche
Und stößt sich heulend seinen Kopf kaputt.
Der Übermensch verzehrt die Paprikagoulasche,
Zerbröselnd Semmeln, rülpsend in den Kälberschutt.

Ha Hu Baley: Ein und kein Frühlingsgedicht. In: Hans Leybold: „Gegen Zuständliches“. Glossen, Gedichte, Briefe. Hrsg. v. Eckhard Faul. Hannover: Postskriptum 1989, S. 64, V. 1–4.

Es ließe sich darüber spekulieren, welchen Verlauf Leybolds Dichterkarriere hätte nehmen können – wäre er wie Hugo Ball zum Dadaisten geworden? Oder mit Kurt Hiller zum politischen Aktivisten, der von seinen expressionistischen Anfängen später nichts mehr wissen wollte? Fest steht, dass er in seinen wenigen Lebensjahren ein Werk hinterlassen hat, dass fester Bestandteil der in Schleswig-Holstein sonst unterrepräsentierten Großstadtliteratur ist – wütend, obszön und radikal.

18.5.2021Jan Behrs

ANMERKUNGEN

1 Zitiert nach dem Nachwort des Herausgebers in Hans Leybold: „Gegen Zuständliches“. Glossen, Gedichte, Briefe. Hrsg. v. Eckhard Faul. Hannover: Postskriptum 1989, S. 109. Diese Gesamtausgabe des schmalen Werks ist die erste und bisher auch letzte Leybold-Edition.

2 Eckhard Faul: Nachwort. In: Hans Leybold: „Gegen Zuständliches“. Glossen, Gedichte, Briefe. Hrsg. v. Eckhard Faul. Hannover: Postskriptum 1989, S. 112.

3 Kurt Hiller: Ein Nachruf. In: Hans Leybold: „Gegen Zuständliches“. Glossen, Gedichte, Briefe. Hrsg. v. Eckhard Faul. Hannover: Postskriptum 1989, S. 87 (erstmals Neue Badische Landeszeitung vom 29.12.1914).