Kay Hoff

Hoff, Adolf Max.

Bödelstedt und dahinter

Geboren am 15. August 1924 in Neustadt in Holstein
Gestorben am 26. März 2018 in Berlin

 

 

„Mein Schwiegersohn Anton Lumme, der die nachfolgend vorgelegten Geschichten, Skizzen, Dialoge und Monologe im Tone seiner von ihm ‚Bödelstedt‘ genannten holsteinischen Heimatstadt niedergeschrieben hat, war keineswegs ganz unbegabt.“ #1 Gleich mit seinem 1966 veröffentlichten Erstling Bödelstedt oder Würstchen bürgerlich gelingt es Kay Hoff, einen „bemerkenswerten Beitrag zur literarischen Bewältigung der nationalsozialistischen Vergangenheit sowie ihrer Folgen für die Nachkriegszeit“ #2 zu leisten, der die Richtung seines Gesamtwerks vorgibt. Denn sein „umfangreiches Oeuvre, das Romane, Erzählungen, Gedichte, journalistische Arbeiten und Hörspiele umfasst, kennzeichnet insgesamt die kritische Auseinandersetzung mit der bundesrepublikanischen Nachkriegsgesellschaft sowie mit der jüngeren deutschen Zeitgeschichte“. #3

Kay Hoff wird am 15. August 1924 in Neustadt in Holstein als zweiter Sohn einer Kaufmannsfamilie geboren. Er besteht 1942 in Eutin die Abiturprüfung und wird zur Wehrmacht einberufen, obwohl er 1937 einen „Fahrrad-Unfall mit schweren Verletzungen“ erlitten hat und der linke Arm steif bleibt. #4 Nach Kriegsende aus sowjetischer Gefangenschaft entlassen, studiert er ab 1945 Germanistik, Kunstgeschichte und Psychologie in Kiel. 1949 wird er über die Wandlung des dichterischen Selbstverständnisses in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts promoviert. Hoff arbeitet von 1950–1952 als Bibliothekar in Düsseldorf und danach als freier Journalist und Schriftsteller; von 1970–1973 leitet er das Kulturzentrum der Deutschen Botschaft in Tel Aviv. Aus der 1951 geschlossenen Ehe mit Marianne Schilling gehen vier Kinder hervor. Von 1980 bis 2006 lebt Hoff in Lübeck, danach erneut in Berlin.

Hoffs bekanntestes Buch ist Bödelstedt oder Würstchen bürgerlich. „Anhand der Geschichte einer kleinen Stadt von den dreißiger Jahren bis in die sechziger Jahre wird gezeigt, wie ein bis in die erzählte Gegenwart ungebrochener Nationalismus, wie Opportunismus und Kritiklosigkeit dem Nationalsozialismus den Weg ebneten.“ #5 Dabei greift der Autor auf Montagetechniken und multiperspektivische Erzählverfahren zurück, die nachfolgend auch in weiteren Prosaarbeiten Verwendung finden. „Den Kommentaren des fiktiven Herausgebers, eines ehemaligen Nationalsozialisten, stehen kontrastierend verschiedene Aufzeichnungen seines Schwiegersohns gegenüber, die dessen erstarkendes kritisches Bewusstsein dokumentieren.“ #6 Eben um die Erzeugung einer distanzierten Perspektive geht es Hoff, der rückblickend feststellt:

Ich hatte nicht ein Thema – mein Thema hatte mich. Bödelstedt: Das war für mich nicht so sehr ein literarischer, es war ein moralischer Vorwurf. Ich wollte Zeugnis ablegen, genau und ungeschönt, unwiderlegbar bis in die letzte Einzelheit hinein, und ich wollte mit diesem Zeugnis – nun ja – die Welt verändern.

Kay Hoff: Wie ich anfing. In: Erzählungenund autobiographische Prosa.GesammelteWerke in Einzelausgaben, Bd. 8, hg. v. Hans Dieter Zimmermann, Siegen 2005, S. 217–225, hier: S. 221.

Der Gedanke, dass Sprache Einfluss auf die Realität nehmen kann, hat Hoffs Werk tief geprägt. Von Ein ehrlicher Mensch (1967) bis Der Kopf in der Schlinge (2000) erscheinen sechs weitere Romane. In diesen

sind Vergangenheitsbewältigung und Schuld, aus immer neuen Perspektiven betrachtet, zentrale Fragen; dazu treten nach und nach weitere Themen, etwa die Kritik am Kleinbürgertum, die Skepsis gegenüber der Sprache, die Konfrontation zwischen konservativ-bürgerlicher und progressiv-kritischer Literatur, die Krise des Individuums und immer wieder die schwer zu begreifende Liebe. Später wird der Themenkreis noch erweitert um Erörterungen über Wahrheit und Wirklichkeit, Verlust und Vergänglichkeit sowie den Generationskonflikt.

Hoffs Gedichte scheinen auf den ersten Blick grundverschieden von der Prosa zu sein:

An die Stelle der langen, verschachtelten Satzperioden treten Teilsätze, Satzrudimente und -fragmente, einzelne Satzglieder, die der Ergänzung bedürfen. Wo die genaue Bedeutung des einzelnen Wortes in der Prosa durch den Satzzusammenhang gesichert wird, steht es in der Lyrik scheinbar isoliert oder in Kontexten, die einen Bedeutungsraum eröffnen, der die Unübersichtlichkeit auf den ersten Blick nur zu erhöhen scheint. Und trotzdem finden wir die Prinzipien von Genauigkeit und Perspektivität, die Hoffs Prosa regieren, auch in seinen Gedichten wieder, nur in ganz anderer Gestalt.

Ralf-Henning Steinmetz: Kay Hoff zum 90. Geburtstag. Vortrag beim Festakt der Stadt Neustadt in Holstein im Musiksaal des Städtischen Gymnasiums am 20. September 2014, S. 4. [https://www.stadt-neustadt.de/media/custom/1729_8168_1.PDF?1423123588]

Die Lyrik wird von Skepsis geprägt: „Skepsis gegen alle Versprechungen, gegen alle Gewissheiten, aus unguter Erfahrung, Skepsis aber auch gegen sich selbst.“ #7 Als Wurzel dieser Skepsis lassen sich unschwer die Erfahrungen der NS-Zeit ausmachen, die lange im Werk nachwirken. Stilistisch hingegen sind über die Jahrzehnte kaum Veränderungen feststellbar: „Der Autor hat recht früh seinen eigenen Ton gefunden und ihn mit wechselnder Intensität bis zu den späten Gedichten behauptet.“ #8 Neben der Lyrik entstehen Erzählungen, Radio-Features und – zwischen 1961 und 1976 – nicht weniger als zwei Dutzend Hörspiele, die auch im Ausland gesendet werden.

Kay Hoff ist für sein Werk mehrfach ausgezeichnet worden, u.a. mit dem 1. Lyrik-Preis im Wettbewerb junger Autoren des Landes Schleswig-Holstein (1952), dem Förderpreis zum Großen Kunstpreis des Landes Nordrhein-Westfalen (1960), dem Ernst-Reuter-Preis für das Hörspiel Die Chance (1965) und dem Georg-Mackensen-Literaturpreis für die beste deutsche Kurzgeschichte in deutscher Sprache (1968). Im Jahr 1994 war Kay Hoff Ehrengast der Villa Massimo (Rom).

Hoffs Schriften sind durch eine zwischen 2002 und 2005 veröffentlichte Gesamtausgabe im Carl Böschen Verlag weiterhin greifbar. Den Nachlass hat der Autor seiner Geburtsstadt geschenkt: „Das Material (524 Kanzleimappen, circa 80.000 Blatt Papier) ist in jahrelanger Arbeit von Dr. Thomas Wörther im Auftrag der Stadt wissenschaftlich aufgearbeitet und sortiert worden und ab sofort in der Stadtbücherei für die Öffentlichkeit zugänglich.“ #9 Eine Internetpräsenz informiert über Zugriffsmöglichkeiten und stellt Materialien zur Verfügung, darunter ein Findbuch als PDF.

Ab 2022 wird in Neustadt in Holstein zudem der Kay-Hoff-Preis für Literatur und Sprache ausgelobt. Er soll nach dem Willen des Autors „alle drei Jahre für herausragende Leistungen auf dem Gebiet der Literatur an insgesamt fünf außergewöhnliche junge Schriftsteller vergeben werden und ist mit je 10.000 Euro dotiert.“#10 Erster Preisträger ist der Kieler Schriftsteller Christopher Ecker.

12.07.2022 Kai U. Jürgens

ANMERKUNGEN

1 Kay Hoff: Bödelstedt oder Würstchen bürgerlich. GesammelteWerke in Einzelausgaben, Bd. 1, hg. v. Jürgen H. Petersen, Siegen 2002, S. 13.

2 Jürgen H. Petersen, Nachwort. In: Kay Hoff, Bödelstedt, wie Anm. 1, S. 353–360, hier S. 353.

3 Kai Sina: Hoff, Kay. In: Killy-Literaturlexikon. Autoren und Werke des deutschsprachigen Kulturraumes, hg. v. Wilhelm Kühlmann, Bd. 5, Berlin 2009, S. 512–513, hier S. 512.

4 Kay Hoff: Daten und Fakten. In: Kay Hoff: Erzählungen und autobiographische Prosa.GesammelteWerke in Einzelausgaben, Bd. 8, hg. v. Hans Dieter Zimmermann, Siegen 2005, S. 263–264, hier S. 263.

5 Kai Sina: Hoff, Kay, wie Anm. 3, S. 512.

6 Ebd.

7 Hans Dieter Zimmermann: Nachwort. In: Kay Hoff, Gedichte.GesammelteWerke in Einzelausgaben, Bd. 9, hg. v. Hans Dieter Zimmermann, Siegen 2004, S. 329–339, hier S. 330.

8 Ebd., S. 337.

9 Alexander Baltz: Literarischer Nachlass von Kay Hoff wurde in der Stadtbücherei präsentiert. In: Der Reporter, 19. August 2021. [https://www.der-reporter.de/neustadt/neustadt/artikel/literarischer-nachlass-von-kay-hoff-wurde-in-der-stadtbuecherei-praesentiert]

10 Alexander Baltz: Literarischer Nachlass, wie Anm. 9.