Otto Anthes

Anthes, Otto Wilhelm Johannes Eugen; Pseudonym(e): O. Eugen Thossan.

Lehren und dichten im Dienste Lübecks

Geboren in Michelbach an der Aar am 7. Oktober 1867
Gestorben in Wiesbaden am 19. November 1954

Feucht noch von seinem Sieg übers Meer kam der Wind zur Nachtzeit vor dem Burgtor an. Dort traf er den Teufel. – ‚Wohin?‘ fragte der Teufel leutselig. – ‚Wohin sonst, wenn nicht in die Stadt?‘ knurrte der Wind. Der Teufel freute sich, jenen so schlechter Laune zu finden, und schloß sich ihm an, denn er hoffte, ihn zu etwas anzustiften, das die Lübecker ärgern würde.

Otto Anthes: Das Lübecker ABC. Mit Zeichnungen von Carl Julius Milde. Brüssel 1944, o. S.

Das Leben von Otto Wilhelm Johannes Eugen Anthes ist eng mit der Freien und Hansestadt Lübeck verknüpft, in der er ab 1903 als Oberlehrer, ab 1919 als Studienrat und ab 1924 als Oberstudienrat tätig war; zugleich begann er 1908 in der Hansestadt, sich der Schriftstellerei zuzuwenden. Mit den „anti-intellektuellen, romantisierenden Zügen“ gehört sein Werk in den Bereich der norddeutschen Heimatliteratur, in deren Rahmen es sich „durch wohltuenden Humor, stilistische Eleganz und unaufdringliche Volkstümlichkeit“ auszeichnet. #1

Anthes, zweites von sieben Kindern des evangelisch-lutherischen Pfarrers Eugen Anthes (1837–1917) und seiner Frau Auguste Schmidt (1838–1879), verbrachte fast die gesamte Kindheit in Kaub am Rhein. Nach dem Abitur studierte er von 1886–91 Theologie, alte Sprachen und Germanistik in Leipzig und Halle (Saale), um danach seine erste Stelle als Lehrer in Weidenau an der Sieg anzutreten. Nach weiteren Stationen kam er 1903 nach Lübeck, wo er Deutsch und evangelische Religion an der staatlichen Ernestinenschule unterrichtete; einer höheren Mädchenschule in der Altstadt, die 1919 in ein Mädchengymnasium umgewandelt wurde.

Anthes sah sich als Reformpädagoge und stand in Verbindung mit der Hamburger Kunsterziehungsbewegung um Alfred Lichtwark (1852–1914), dem langjährigen Leiter der Hamburger Kunsthalle. In dieser Rolle veröffentlichte Anthes zahlreiche programmatische Schriften, etwa in der von Ferdinand Avenarius (1856–1923) gegründeten einflussreichen Zeitschrift Der Kunstwart. In seinem Buch Dichter und Schulmeister (1904) thematisiert Anthes die Behandlung von Literatur. Er trat generell dafür ein, „den Deutschunterricht von toter grammatischer Terminologie zu befreien und eine lebendige, schülergerechte Sprach-, Literatur- und Kunsterziehung einzuführen“. #2 1926 zog sich Anthes aus gesundheitlichen Gründen in den Ruhestand zurück und arbeitete fortan als freier Schriftsteller.

Nachdem Anthes bereits während des Studiums unter dem Pseudonym Eugen Thossan einfache Unterhaltung geschrieben hatte, erschienen 1897 die Novelle Klosterjungen (in einer gemeinsamen Buchveröffentlichung mit niemand geringerer als Fanny Gräfin zu Reventlow) und 1912 der Roman Heinz Hauser, ein Schulmeisterleben; beide mit biographischem Hintergrund. Die nachfolgenden Prosaarbeiten setzen sich oft „mit der Geschichte Lübecks und spezifischen Eigentümlichkeiten seiner Bewohner auseinander", wobei ein „humorvoll-distanziertes und zugleich sehr liebevolles Verhältnis“ durchscheint #3. Zu den entsprechenden Büchern gehören Lübische Geschichten (1922), Lübeck – du seltsam schöne Stadt (1943) und Lübecker Miniaturen (1948). In dem Roman Der Graf von Chasot (1948) behandelt er das Leben des Lübecker Stadtkommandanten Egmont Graf von Chasôt (1716–1797), in Das Lübecker ABC (1944) werden historische Begebenheiten geschildert:

Wenn der Weihnachtsmarkt zu Lübeck alle Menschen auf die Beine brachte, war auch in den Kellern und Trinkstuben fröhliches Treiben, und dazu mußte Musik sein. So war auch einmal vom Wirt im Kleinen Keller ein blutjunger Musikus aus Hamburg angeworben worden mit Namen Johannes Brahms, daß der die Gäste am Klavier unterhielte. Er war solchen Tuns gewohnt von seinem Vater her, der in Hamburg als Bierfiedler schlecht und recht seinen Unterhalt verdiente.

Otto Anthes: Das Lübecker ABC. Mit Zeichnungen von Carl Julius Milde. Brüssel 1944, o. S.

Inspiriert vom Anblick der Marientürme und ihrem Glockenspiel, kommt ihm dann aber ein Thema einer Symphonie in den Sinn: „Nun steht der Name Johannes Brahms vor den Leuten, riesenhaft und überwältigend, wie einst die Marientürme vor dem unbekannten Klavierspieler, der im Kleinen Keller die Tasten drosch.“ #4

Letztlich aber verstand sich Anthes vor allem als ein Mann des Theaters. Sein 1909 in Wien aufgeführtes Drama Don Juans letztes Abenteuer wurde zu einem europäischen Ereignis und an mehr als vierzig Bühnen inszeniert; ein Erfolg, der sich mit der von Paul Graener (1872–1944) vertonten gleichnamigen Oper wiederholte. Weitere Bühnenwerke von Anthes konnte diese Wirkung jedoch nicht erreichen, weshalb er sich nach dem Ersten Weltkrieg vorwiegend publizistisch und organisatorisch für das Schauspiel einsetzte: Als bürgerliches Mitglied der Theaterbehörde in Lübeck (1918–1933), als Mitbegründer und Vorsitzender des Lübecker Volksbühnenvereins (1921–1933 und bei der Neugründung 1946), als Vorsitzender der Literarischen Gesellschaft, als Mitglied im Ausschuß für die Freilichtbühne, schließlich als Schriftleiter der Kulturzeitschriften Die Trese und Die Salzspeicher. In der Künstlerkneipe Zur Eule gehörte er gut 16 Jahre lang zum allabendlichen Inventar. Dort verkehrten u.a. Lübecker Größen wie der Maler Karl Gatermann d.Ä. (1883–1959), die Schauspielerin Frieda „Fita“ Benkhoff (1901–1967), der SPD-Politiker und Widerstandskämpfer Julius Leber (1891–1945), das „Lübecker Original“, der Schauspieler und Entomologe Ernst Albert (1859–1936), der Dirigent Hermann Abendroth (1883–1956), der Regisseur Jürgen Fehling (1885–1968) und der Schriftsteller und Humanist Max Herbert Eulenberg (1876–1949). Doch auch Joachim Ringelnatz und Thomas Mann sollen in der Eule zu Gast gewesen sein.

1936 zog Anthes nach Wiesbaden, von wo aus er 1942 kriegsbedingt nach Niederschlesien auswich. Nach einem Intermezzo am Bodensee lebte von 1946 bis 1948 erneut in Lübeck, um danach endgültig wieder nach Wiesbaden zu ziehen. Dort ist er m 19. November 1954 gestorben. Die nach ihm benannte Otto-Anthes-Volksschule in Lübeck wurde 1994 in die IGS Geschwister-Prenski-Schule umbenannt.

20.4.2021Kai U. Jürgens

ANMERKUNGEN

1 Peter Guttkuhn: Anthes, Otto. In: Biographisches Lexikon für Schleswig-Holstein und Lübeck, Bd. 7, Neumünster 1985, S. 21–23; hier: S. 23.

2 Ebd., S. 22.

3 Ebd., S. 23.

4 Otto Anthes: Das Lübecker ABC. Mit Zeichnungen von Carl Julius Milde. Brüssel 1944, o. S.