Jules Verne und Paul Verne

Verne, Jules-Gabriel

Der "Vater der Science Fiction" in Schleswig-Holstein

Geboren in Nantes am 8. Februar 1828
Gestorben in Amiens am 24. März 1905


Verne, Paul

Seefahrer und Schriftsteller

Geboren in Nantes am 29. November 1829
Gestorben in Paris am 27. August 1897

Ganze zwei Male hat der „Vater der Science Fiction“ Schleswig-Holstein bereist: im Juli/August 1861 und erneut im Juni 1881, dieses Mal in Begleitung seines jüngeren Bruders Paul. Dazwischen lag nicht nur sein Aufstieg vom unbekannten Gelegenheitsautor zum gefeierten Weltbestseller, sondern auch, einer Wasserscheide gleich, der Deutsch-Französische Krieg von 1871/72. Beide Reisen haben im ausufernden Werk Vernes ihre, wenngleich bescheidenen, Spuren hinterlassen.

Mit zwei Freunden unternimmt Jules Verne im Hochsommer 1861 eine Reise durch den Westen und Norden Deutschlands mit dem Endziel Skandinavien: mit der Eisenbahn geht es zunächst von Paris über Köln, Hannover nach Hamburg, welches von dem neugierigen Trio in ausgiebigen Spaziergängen erforscht wird. Die nächste Etappe ist schließlich Lübeck, von wo aus man schließlich den Dampfschoner „Svea“ in Richtung Stockholm besteigt. In seinem unveröffentlichten Reisetagebuch beschreibt Verne die Hansestadt so:

Der Anblick von Lübeck. Ohne seine Türme könnte man es für ein Dorf auf dem flachen Lande halten. […] Die Trave rollt ihr schwarzes und tiefes Wasser mitten durch eine entzückende Ebene. Ein wahrer Strom, der Dreimaster und gewaltige Steamer trägt. Das Land ist fast bis in den Fluss hinein durch Ackerbau genutzt und hat ein herrliches Grün. Einige Landhäuser von Lübecker Senatoren sind zu sehen. Es wirkt genauso wie in der Normandie.

Nachdem die drei Freunde den Süden Schwedens, Norwegens und Dänemarks durchquert haben, geht es am 6. August von Kopenhagen aus mit der Eisenbahn zunächst bis Korsør, wo sie am selben Abend das Dampfschiff nach Kiel besteigen.

In seinem Roman Voyage au centre de la terre („Reise zum Mittelpunkt der Erde“), in dem Verne 1864 einen Teil seiner Reise literarisch verarbeitet hat, findet sich auch diese idyllische Replik über Kiel wieder:

In Kiel, wie sonstwo, muss man wohl einen Tag herumbringen können. Wir gingen auf den grünen Ufern der Bucht, an deren Ende sich die kleine Stadt erhebt, spazieren, durchstreiften die dicht belaubten Waldungen, die ihr das Aussehen eines Nestes in einem Büschel Zweige verleihen, bewunderten die Landhäuser, von denen ein jedes mit seinem Badehäuschen am kühlen Wasser ausgestattet ist, und unter Herumlaufen und Schimpfen hatten wir es schließlich bis zehn Uhr abends geschafft.

Jules Verne: Reise zum Mittelpunkt der Erde (übersetzt von Volker Dehs), Düsseldorf/Zürich 2005, S. 65.

Nach mehrwöchiger Reise besteigen die drei Freunde in Kiel die Eisenbahn nach Altona und fahren von dort heimwärts nach Paris.

20 Jahre vergehen. Jules Verne steigt in dieser Zeit vom unbekannten Gelegenheitsautor zu einem der meistgelesenen Schriftsteller der Weltliteratur auf. Romane wie Cinq Semaines en ballon (1863, „Fünf Wochen im Ballon“), De la Terre à la Lune, trajet direct en 97 heures 20 minutes (1865, „Von der Erde zum Mond“), Vingt mille lieues sous les mers (1869/70, „Zwanzigtausend Meilen unter dem Meer“) und Autour de la Lune (1870, „Reise um den Mond“) erfreuen sich auch im Land der ehemaligen Todfeinde, dem Deutschen Reich, einer schnell wachsenden Leserschaft und machen Verne zum bestverdienenden Autor seiner Zeit. Seine Buchtantiemen investiert er zu einem nicht geringen Teil in mehrere moderne Segelschiffe.

Schließlich, im Frühsommer 1881, beschließen er und sein Bruder Paul, ebenfalls ein schiffsbegeisterter Schriftsteller, eine erneute Reise nach Skandinavien zu unternehmen. Dieses Mal jedoch ausnahmslos auf der Wasserroute. Jules Vernes neueste Luxusyacht, die Saint Michel III, dient den Brüdern und ihren Reisebegleitern als kommodes Vehikel. Die Tour von Rotterdam nach Kopenhagen und zurück wird von Paul Verne in einem ausführlichen Reisebericht geschildert und schon im folgenden Jahr auch auf Deutsch veröffentlicht. #1

Am 14. Juni 1881 erreicht die Saint Michel III Wilhelmshaven. Der ursprüngliche Plan, von hier aus nach Hamburg zu segeln, wird zugunsten einer Reise durch den Eiderkanal bis Kiel aufgegeben. Paul Verne:

Am 15. Juni gegen Abend kamen wir in dem Hafen von Tönning an, der eine malerische Lage am rechten Eiderufer hat, und nachdem am folgenden Morgen Kohle gefasst war, besorgten wir uns einen Lotsen nach Rendsburg, dem Punkte, wo der eigentliche Kanal seinen Anfang nimmt. […] Zunächst fährt man von hier aus also den reizenden Eiderfluss hinauf, der sich in unzähligen Krümmungen dahinwindet. […] Das Land ist flach, aber üppig grün und hat viele Weiden, auf denen sich Pferde, Kühe und Schafe zu Hunderten nach Herzenslust bedienen; von Zeit zu Zeit erscheinen einzelne, bewaldete Hügel, Fabriken, Bauernhäuser mit ungeheurem Strohdache, die niedrigen Backsteinmauern durchbrochen durch die grauen Pfosten der Fenster mit grünen Läden, weiterhin ein oder zwei kleine Städtchen, Friedrichstadt, Erfde, Hohner Fähre und andere Flecken, welche alle unter Bäumen versteckt liegen.

Zitiert nach Frank Trende (Hg.): Jules Verne in Schleswig-Holstein. Bericht von Paul Verne, Husum 2008, S. 34-37.

Jules Verne selbst hat die Reise in einem Tagebuch festgehalten, welches erstmals 2013 von Friedemann Prose veröffentlicht wurde. #2 Der Tonfall hier ist zuweilen nüchterner als im Bericht des Bruders, doch auch er zeigt sich von der üppigen Idylle entlang des Eiderkanals verzaubert:

Freitag, 17. Juni
[…] Wir sehen die Strafanstalt – das Zuchthaus – liegen. Der Fluss bildet wegen der Querung durch die Eisenbahnbrücke einen See. Man hat uns geraten, dem Lotsen nichts zu trinken anzubieten. […] Für uns ist es eine bewundernswerte Durchreise. Die Landschaft ist grün. Ein wahrer Park. Die prächtigen Bäume. Die Enge des Flussbettes. Ein mit Menschen vollbeladener kleiner Dampfer taucht auf. […] Die Wirtshäuser an den Schleusen sind mit ihrem roten Dach unter dem dichten Grün der Bäume bezaubernd. Das Wetter ist wunderbar.

Zitiert nach Friedemann Prose (Hrsg.): „Jules Verne’s [sic] Reise zum Mittelpunkt des Nordens“, in: Mitteilungen des Canal-Vereins, Nr. 29/30, Rendsburg 2013, S. 9-114, hier S. 50/55.

Am selben Nachmittag geht die Saint Michel III am Gaardener Ufer vor Anker. Während Jules es in seinem Tagebuch bei einem Satz („Die Bucht ist herrlich.“#3) belässt, lässt es sich der jüngere Bruder Paul nicht nehmen, seine Eindrücke in aller Ausführlichkeit zu schildern:

Der Kieler Busen ist von einem dichten Rahmen herrlicher Bäume eingefasst. Ulmen, Buchen, Kastanien und Eichen, welche oft bis zum Strande herabgehen, erreichen hier eine kaum glaubliche Größe. Zahlreiche Landhäuser schimmern auf den die Bucht umgebenden Hügeln lachend aus dem dunklen Grün hervor, während die verschiedenen Punkte des Hafens durch flinke kleine Dampfer in bequeme Verbindung gesetzt sind. Man kann sich kaum einen freundlicheren, erquicklicheren Anblick denken als den jener Häuschen von oft phantastischer Bauart, welche das schöne, wechselreiche Ufergestade schmücken.

Zitiert nach Frank Trende (Hrsg.): Jules Verne in Schleswig-Holstein. Bericht von Paul Verne. Husum 2008, S. 70-74.

Es ist nicht allein die blühende Natur, von der sich die französische Besuchergruppe fasziniert zeigt; vor allem die militärischen Anlagen hinterlassen einen tiefen Eindruck: „Ein feindliches Schiff, das diesen Weg zu forcieren versuchte, würde zweifelsohne binnen weniger Minuten zerschmettert sein.“#4

Vierundzwanzig Stunden später (und unter großem Interesse der lokalen Presse) verabschiedet sich die Saint Michel III wieder und nimmt Kurs auf Kopenhagen. „Wir sehen die Befestigungsanlagen, die Kasernen“, notiert Jules Verne. „Der Ausgang der Bucht ist erreicht. Die drei Leuchtfeuer sind in Sicht. Um Mitternacht gehe ich schlafen."#5 Und Paul ergänzt:

Erst spät am Abend verschwand die Sonne unter dem Horizonte – und wie ließ sie sich bitten! […] Jetzt stand der ganze Himmel wie von einer Feuersbrunst in Flammen. Die leichten Wolken, welche die Sonne zur Ruhe begleiteten, erglänzten so leuchtend rot, dass uns die Augen davon schmerzten. Das Meer rollte langsam, gleich einer Masse flüssigen Goldes dahin. Inmitten dieses Übermaßes von Glanz und Licht bildete ein kleines, mürrisches Wölkchen, das ganz schwarz am Himmel stand, einen merkwürdigen Kontrast mit seinen schimmernden Nachbarn – es schien wie zur Strafe ausgeschlossen von der allgemeinen Illumination.

Zitiert nach Frank Trende (Hg.): Jules Verne in Schleswig-Holstein. Bericht von Paul Verne. Husum 2008, S. 78.

Bereits zehn Tage später durchquert die Saint Michel III auf ihrem Rückweg übers englische Deal nach Cherbourg erneut den Eiderkanal. Ein letztes Mal finden Land und Leute entlang des Ufers ihren Widerhall im Tagebuch Jules Vernes:

Dienstag, 28. Juni
Um 5 Uhr legen wir wieder ab. Das Wetter ist gut. Der Kanal. Das Schilfrohr, das sich senkt. Die weißen Schwäne, Kraniche, Störche. Ein Schiff mit Namen Margridha. Dann die Strafanstalt von Rendsburg. […] Die Häuser haben große Strohdächer, kleine rote Ziegelmauern, die kurzen Balken darin und die Fensterläden sind grün. Die Mauern sind sehr niedrig. Man redet von der Rache des Holsteiners. Er muss gegen seinen Willen deutscher Soldat sein. Seine Flucht und die Verfolgung. Um ihn festzunehmen, muss die ganze überlegene Macht zusammengenommen werden. […]

Mittwoch, 29. Juni
[…] Wir haben eine klare Sicht auf Helgoland mit seinen roten Felsen. Die Insel sieht aus wie das Haupt der Sphinx. Wir haben uns sehr bemüht, die Bäume dort zu zählen!! Das Meer wirkt verlassen. 10 Uhr. Wir sichten ein neues Leuchtfeuer zwischen Terschelling und Texel.

Zitiert nach Friedemann Prose (Hrsg.): „Jules Verne’s [sic] Reise zum Mittelpunkt des Nordens“, in: Mitteilungen des Canal-Vereins, Nr. 29/30, Rendsburg 2013, S. 9-114, S. 91ff.

Mit diesem Eintrag verabschiedet sich Jules Verne auf Nimmerwiedersehen von Schleswig-Holstein. Zu einem weiteren Widerhall in seinem literarischen Werk kommt es nicht. Immerhin begibt sich 83 Jahre später der deutsche Verne-Liebhaber Arno Schmidt auf Spurensuche entlang des Treidelpfades am Eiderkanal, in der Tasche und stets griffbereit „das betreffende Kleinoktavbändchen“#6 mit Paul Vernes Beschreibungen der Reise im Juni 1881.

28.5.2021Jens Raschke

ANMERKUNGEN

1 Paul Verne: Von Rotterdam nach Kopenhagen an Bord der Dampfyacht ‚Saint Michel‘, Wien 1882. Auch in: Jules Verne: Die Jangada, Bd. II, Wien/Leipzig 1887, S. 187-247; hier zit. nach: Frank Trende (Hrsg.): Jules Verne in Schleswig-Holstein. Bericht von Paul Verne. Husum 2008.

2 Friedemann Prose (Hrsg.): „Jules Verne’s [sic] Reise zum Mittelpunkt des Nordens“, in: Mitteilungen des Canal-Vereins, Nr. 29/30, Rendsburg 2013, S. 9-114.

3 Zit. n. Trende, S. 70-74.

4 Ebd., S. 74.

5 Zit. n. Prose, S. 61.

6 Arno Schmidt: „Dichter & ihre Gesellen“ [1966], in: ders.: Ausgewählte Werke, Band 3. Berlin 1990, S. 573.