Rocko Schamoni

Schamoni, Rocko. Pseudonyme: Bims Brohm, Bernd Pöhler

Musiker, Komiker, Clubbetreiber und Romanautor

Geboren in Lütjenburg am 08. Mai 1966

Lebt in Hamburg

Rocko Schamoni gehört zu den recht zahlreichen Autor*Innen der Gegenwart, die der Provinz entfliehen, um dann von ihrer neuen großstädtischen Heimat aus das Provinzielle zum Thema zu machen. In Schamonis Fall handelt es sich bei der Wahlheimat um Hamburg, beim Herkunftsort hingegen um die Kleinstadt Lütjenburg im Kreis Plön. In seinem erfolgreichsten literarischen Werk, dem autobiografischen Roman Dorfpunks (2004), tritt sie als „Schmalenstedt“ auf, und Schamoni beschreibt eingehend und verständnisvoll die Zwänge, unter denen „SH-Punks“ fern der Metropole stehen: Mit der angepassten Elterngeneration will man keinen Frieden machen, und mit den tumben und brutalen Dorfjugendlichen der Gegend ist keine Verständigung möglich. Die einzige Rettung ist die Flucht in die Großstadt, aber auch hier haben es die Provinzler*Innen nicht leicht: die von ihnen vergötterte Subkultur ist in Hamburg längst von einem neuen Trend abgelöst worden, sodass die Neuankömmlinge zunächst kritisch beäugt werden. Genau aus diesem Dilemma entsteht aber das ästhetische Potential von „Dorfpunk“: Gerade seine hoffnungslose Provinzialität führt dazu, dass er cooler und verrückter ist als die Punk-Orthodoxie und schließlich seinen Platz in der (Gegen-)Gesellschaft finden wird.

Bevor Schamoni als mit seinem literarischen Jugendrückblick als Autor durchstartete, hatte er sich bereits in anderen Bereichen der Kultur einen Namen gemacht: Zunächst als Musiker, wobei der ursprüngliche Punk schnell um (ironischen) Schlager und elektronische Musik ergänzt wurde. Zwischen 1988 und 2019 erschienen über zehn Alben, zuletzt Musik für Jugendliche (2019). Sind schon Schamonis musikalische Darbietungen oft sehr komisch, gilt das erst recht für die Aufnahmen mit dem Trio Studio Braun, das mittlerweile sieben Alben mit anarchischen Telefonstreichen veröffentlicht hat. Teilweise mit, teilweise ohne Studio Braun ist Schamoni auch als Filmschauspieler aktiv, unter anderem in einer Verfilmung von Dorfpunks (2009), die unter anderem in Lütjenburg und Schönberg gedreht wurde. Schließlich ist sein Engagement als Clubbetreiber zu erwähnen: Bis 2018 war er Mitbesitzer des Golden Pudel Clubs unweit des Hamburger Fischmarkts im ehemals schleswig-holsteinischen Altona.

Was die literarische Entwicklung angeht, arbeitete sich Schamoni nach Dorfpunks in einigen weiteren Romanen mehr oder weniger direkt, aber jedenfalls sehr selbstironisch an der eigenen Biografie ab, etwa in Sternstunden der Bedeutungslosigkeit (2007) und Tag der geschlossenen Tür (2011). In jüngerer Zeit hat er sich der Geschichte der Hamburger Subkultur zugewandt und 2019 mit Große Freiheit einen Roman über den Zuhälter und  Sexkinobetreiber Wolli Köhler vorgelegt. Zwei Jahre später folgte mit Der Jaeger und sein Meister ein weiterer Roman, in dessen Zentrum der in der Psychiatrie in Bad Oldesloe verstorbene Maler und Kabarettist Heino Jaeger steht. In einem langen und persönlichen Prolog äußert sich Schamoni zu der Geistesverwandtschaft, die er mit am Rande der bürgerlichen Gesellschaft stehenden Künstlern wie Jaeger empfindet:

Wir alle suchen eine Zeit unseres Lebens nach unserer Herkunft genauso wie nach unserem Zuhause, das häufig ganz woanders liegt als unsere Heimat. Wir suchen nach Traditionen, auf die wir uns berufen können, was deutschen Künstlern aufgrund der jüngeren deutschen Geschichte und ihrem abgrundtiefen Riss eher schwerfällt. Im humorkargen Gefilde der deutschen Kunst bot Heino Jaeger einen Ankerpunkt in einem unbekannten kleinen Hafen, den ich freudig anfuhr.

Rocko Schamoni: Der Jaeger und sein Meister. Roman. München: hanserblau 2021, S. 26.

Die Beschäftigung mit der Halbwelt des Stadtteils St. Pauli verbindet Schamoni mit einem weiteren in Lütjenburg geborenen Autor, Hans Eppendorfer.

18.10.2021 Jan Behrs