Uwe Herms
Herms, Uwe
Mit Thoreau als Vorbild
Geboren in Salzwedel am 9. September 1937
Gestorben in Garding am 7. Februar 2023
„Jemand hat mir erzählt, daß der wundersam zerfledderte Landstreifen Nordfriesland mit seinen Inseln und Halligen früher einmal eine ganze, eine heile, eine unverwundete Angelegenheit war, und zwar gerade mal vor zwanzigtausend Jahren.“ #1 So schreibt Uwe Herms über die Halbinsel Eiderstedt, die ihm – dem Verfasser von Prosa, Lyrik und Drehbüchern – zu einer bisweilen leicht unheimlichen Heimat geworden sei. Doch es gebe ja auch die Wetterkräfte, die reiche Luft sowie „das Bodenleben zu Wasser und zu Lande“, die „kathartisch zu heilen und zu beglücken vermögen“. #2
Uwe Herms wurde am 9. September 1937 in Salzwedel/Altmark geboren, wuchs in Hamburg auf und studierte ab 1959 Literaturwissenschaft, Geschichte und Kunstgeschichte in Hamburg, Heidelberg und in den USA. 1963 legte er sein Examen als Master of Arts an der Northwestern University (bei Chicago) ab, an der er zuvor als Assistant Instructor Arbeitserfahrungen gesammelt hatte. Ab 1966 schrieb er für verschiedene überregionale Zeitungen und Zeitschriften und wurde 1972 Fernsehredakteur beim NDR. Nach einer Gastdozentur an der University of Texas in Austin (USA) begann er, ab 1977 freiberuflich als Schriftsteller und als Redakteur für Rundfunk und Fernsehen zu arbeiten. In diesem Jahr veröffentlichte er mit der Brokdorfer Kriegsfibel sein Debüt. Weitere Bücher – teils selbst geschrieben, teils herausgegeben – folgten, darunter Im Land zwischen den Meeren. Reisen in das unbekannte Schleswig-Holstein (1996) und die Erzählung Wal und Wettermacher (2002). Er absolvierte mehrere Gastdozenturen und Vortragsreisen, u.a. in China und Indien. Von 1995 bis 2008 wohnte Herms überwiegend in Berlin, seither wieder hauptsächlich in Poppenbüll auf der Halbinsel Eiderstedt, #3 wo er sich schon vor langer Zeit im alten Hebammenhaus niedergelassen hat:
„Es ist ein kaltes Haus“, sagt Uwe Herms, während er von seinem Lieblingssessel unter der wuchtigen Leder-Ausgabe von Meyers Konversationslexikon aus dem Jahr 1900 versonnen zum Fenster hinausschaut. „Weil es mitten im Wind auf einem alten Deich steht.“ Die Tür zum Garten steht dennoch offen. Ein Vorhang, der mit bunten Wäscheklammern an einem Hanfseil festgemacht ist, soll Fliegen abhalten. Aber die kommen trotzdem herein und belagern den Rand einer Schale mit Kirschen, die seine Frau Ingeborg ihm hingestellt hat. Weil der Vorhang etwas kurz geraten ist, wehen von Zeit zu Zeit Rosenblätter ins Zimmer, die sich mit seltsamer Sorgfalt zu Füßen des Schriftstellers ablagern.
Sein Haus in Eiderstedt hat Herms – nicht nur in der gleichnamigen Erzählung von 1985 – zum Gegenstand seiner Literatur gemacht; er hat von hier aus auch Betrachtungen zum Verhältnis von Literatur und Landschaft in Schleswig-Holstein angestellt, die dem „Literaturland SH“ in vielem verwandt sind. In seiner kleinen Schrift Schleswig-Holstein – Schlupfwinkel der Literatur (1988) gibt er zu bedenken:
Schleswig-Holstein ist ein Land, das niemanden durch Zusammenballung von Industrie und Menschen überwältigt. Es hat durch seine Überschaubarkeit und Schönheit eine ordnende Kraft, es ist sozusagen ein naturwüchsiges Kunstwerk.
Bei seiner Betrachtung der Literaturlandschaft im Norden hebt er Hans Fallada besonders hervor, weist aber in Gestalt von Hans Friedrich Blunck auch auf die NS-Schattenseite der hiesigen Literaturgeschichte hin. Auch seine bereits erwähnten Reiseberichte aus Schleswig-Holsteinsind literaturhistorisch grundiert - neben vielen anderen Gegenständen tauchen Autoren wie Hans Christian Andersen, Theodor Mommsen, Max Frisch und Alfred Kerr Im Land zwischen den Meeren auf.
Herms, der mit Siegfried Lenz und mit seinem Eiderstedter Dichterkollegen Hein Hoop befreundet war, ist nach eigener Aussage stark von der „Aussteigerbiografie“ des US-amerikanischen Schriftstellern und Philosophen Henry David Thoreau (1817–1862) beeinflusst worden. Insbesondere dessen Klassiker Walden; or, Life in the Woods (1854; dt. Walden. Ein Leben mit der Natur) habe ihn „in seinem Handeln und Schreiben nachhaltig beeindruckt“. #4 Eiderstedt spielt für ihn daher eine ähnliche Rolle wie der Walden Pond in Massachusetts für Thoreau:
Die zivilisatorische Anbindung durch Straßenverkehr, Häuseransammlung und Lichtverschmutzung löst sich irgendwie auf zugunsten einer weitgewölbten, schwach von der untergegangenen Sonne durchschimmerten Dunkelheit, die mir im Auto das Gefühl gibt, ich könnte gleich abheben ins Weltall hinaus. Dieses Gefühl hat mich zuerst in den sechziger Jahren erfaßt, und seither ist mir Eiderstedt die Vorstufe oder Startrampe zum Paradies (oder doch zur Hölle?), zum Fluchtort, zum Asyl, ja auch zum Exil geworden. […] [E]ine scheinbar überschaubare Welt als Exil mit kosmischer Dimension, mit ganz elementaren geologischen, klimatischen und biologischen Verhältnissen.
Für sein Werk hat Herms viele Preise und Stipendien erhalten, u.a. in der Villa Massimo, Rom (1979/80), im Künstlerhaus Edenkoben, Rheinland Pfalz (1995 & 1998) sowie im Internationalen Künstlerhaus Villa Concordia in Bamberg (2001/02). Beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt wurde er 1983 mit dem Preis der Kärntner Industrie ausgezeichnet.
12.12.2022 Kai U. Jürgens, Jan Behrs
ANMERKUNGEN
1 Uwe Herms: Bei Nacht fast wie auf Weltraumkurs. In: SHZ vom 7. September 2011, https://www.shz.de/lokales/niebuell-leck/artikel/bei-nacht-fast-wie-auf-weltraumkurs-40856437.
2 Ebd.
3 Vgl. die Biographie in: Littera Borealis. Edition zur zeitgenössischen Literatur im Norden. Ausgabe 12: Uwe Herms, hg. v. d. Sparkassenstiftung Schleswig-Holstein, Kiel 2013, S. 40.
4 Zit. n. de.wikipedia.org/wiki/Uwe_Herms.
Veranstaltungen
Keine Veranstaltungen vorhanden
ORTE
WERKE
• Brokdorfer Kriegsfibel. Hamburg: Selbstverlag 1977.
• Der Mann mit den verhodeten Hirnlappen erfindet Transportmittel und anderes. Hamburg: Svato 1977.
• Familiengedichte. Hamburg: Svato 1977.
• Das Haus in Eiderstedt. Erzählung. München: Bertelsmann 1985.
• Schleswig-Holstein – Schlupfwinkel der Literatur. Kiel: Ehlers 1988.
• (mit Claudia Mahler:) Yoga-Schule. Hamburg: Rasch und Röhring 1993.
• Im Land zwischen den Meeren. Reisen in das unbekannte Schleswig-Holstein. Mit einem Vorwort von Siegfried Lenz und Bildern von Hans-Ruprecht Leiss. Hamburg: Rasch und Röhring 1996.
• Wundertüte eines halben Tages. Erzählungen. Hamburg: Rasch und Röhring 1997.
• Schrauben, aha. Prosa und Gedichte. Bamberg: Fränkischer Tag 2001.
• Literaturhaus Schleswig-Holstein, Sparkassenstiftung Schleswig-Holstein (Hrsg.): Littera Borealis 12: Uwe Herms. Kiel: Sparkassenstiftung Schleswig-Holstein 2013.