Hans Fallada

Geboren als Rudolf Wilhelm Friedrich Ditzen am 21. Juli 1893 in Greifswald
Gestorben am 5. Februar 1947 in Berlin

Erfolgsautor im Stil der Neuen Sachlichkeit

Ich habe natürlich nicht immer getrunken, es ist sogar sehr lange her, daß ich mit dem Trinken angefangen habe. Früher ekelte ich mich vor Alkohol; allenfalls trank ich mal ein Glas Bier; Wein schmeckte mir sauer, und der Geschmack von Schnaps machte mich krank. Aber dann kam eine Zeit, da es mir schlecht zu gehen anfing. Meine Geschäfte liefen nicht so, wie sie sollten, und mit den Menschen hatte ich mancherlei Mißgeschick.

Hans Fallada: Der Trinker. Reinbek bei Hamburg 1980, S. 5.

Er war alkohol- und rauschgiftsüchtig, saß mehrfach im Gefängnis und konnte zugleich mit seinen Romanen ein großes Publikum erreichen: Hans Fallada, der mit seinen der Neuen Sachlichkeit zuzurechnenden Büchern wie Kleiner Mann – was nun? (1932), Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (1934)und Jeder stirbt für sich allein (1947) Literaturgeschichte geschrieben hat. Sein schwieriges Leben trägt allerdings selbst romanhafte Züge.

Hans Fallada wird 1893 als Rudolf Ditzen in Greifswald geboren und verbringt seine Kindheit in Berlin und Leipzig. 1911 leidet er unter depressiven Zuständen und tötet „bei einem als Duell getarnten Doppelselbstmordversuch einen Mitschüler“. #1 Nach einem Aufenthalt in der Nervenheilanstalt wird er für unzurechnungsfähig erklärt und wächst unter der Obhut seiner Tante auf; zu einem Schulabschluss kommt es nicht. 1917 erfolgen wegen „Alkohol- und Morphiumentzug“ #2 Aufenthalte in verschiedenen Heilanstalten. Zwischen 1920 und 1923 ist Fallada auf verschiedenen Gütern in Norddeutschland beschäftigt; seine ersten beiden Romane – Der junge Goedeschal sowie Anton und Gerda, deren Erscheinen diese Jahre flankiert – bleiben ohne Resonanz. Doch Falladas finanzielle Verhältnisse werden zunehmend zum Problem: Mit dem spärlichen Gehalt eines Gutsbeamten kann er „seinen enormen Verbrauch an Stimulantien – ohne eine Morphium- oder Kokaininjektion und einige Gläser Kognak beginnt er nach den Inflationsjahren gar nicht erst sein Tagewerk – nicht mehr bestreiten“. #3 1923 wird Fallada wegen Unterschlagung zu mehreren Monaten Haft verurteilt, 1926 folgt eine – am Landgericht Kiel verhängte – zweieinhalbjährige Gefängnisstrafe wegen verschiedener Betrugsdelikte. Im Zentralgefängnis Neumünster ist Fallada entschlossen, „nicht aufzufallen, seine Zeit auf der ‚Insel‘ abzusitzen, bis Rettung kommt. Er verfällt in einer Art Trance, aus der er erst ein halbes Jahr vor seiner Entlassung wieder erwacht, als es um Strafnachlaß und seine Resozialisierung geht.“ #4 Nach seiner Entlassung schreibt Fallada: „Neumünster ist eigentlich schrecklich. […] Die Hauptstraße, die Allée de Fête, der Trip und Strich von Neumünster, heißt der Kuhberg, und ich glaube, daß sich an diesem Namen alle tragenden Mütter Neumünsters versehen haben, denn was hier an Weibern rumläuft, sollte sicher selbst den Wollüstling kaltlassen.“ Er fügt allerdings hinzu: „Die Umgebung dieser Stadt ist nicht reizlos.“#5

1929 wird er dennoch Lokalreporter und Annoncenwerber in Neumünster. Die Heirat mit der acht Jahre jüngeren Anna Issel (1901–1990) wird zu einem nicht nur biographischen, sondern auch literarischen Glücksfall, denn „ohne ihre praktische Lebenserfahrung ist Falladas Werk wohl undenkbar“. #6 Von 1930 bis 1932 arbeitet er als Angestellter des Rowohlt-Verlags, wo er im Folgejahr mit Bauern, Bonzen und Bomben (1931) erstmals Erfolg hat: „Dem Roman liegen eigene Erfahrungen und Erlebnisse mit der ‚Landvolkbewegung‘ in Schleswig-Holstein zugrunde, einer Organisation, die sich die Bauern 1929 im Kampf gegen die Agrarkrise geschaffen hatten. Der Stoff ist dicht und handlungsreich erzählt und rankt sich um Politik und Korruption in einer Kleinstadt, wobei die moralische Verkommenheit des Systems offengelegt wird. Fallada vermittelt Einsichten in die Brüchigkeit und Schwäche demokratischer Strukturen in der Weimarer Republik.“#7

Den Durchbruch beim großen Publikum erzielt Fallada jedoch 1932 mit Kleiner Mann – was nun?, ein Roman, der schon im Folgejahr ins Englische übersetzt wird und bis heute eng mit seinem Namen verbunden ist. Die Handlung spielt zur Zeit der großen Wirtschaftskrise und deren Folgen im Leben des Angestellten Johannes Pinneberg, der direkt mit sozialem Abstieg konfrontiert wird und letztlich nur durch seine lebenskluge Freundin (und spätere Ehefrau) „Lämmchen“ stabilisiert wird. Hierbei fließen zahlreiche biographische Begebenheiten aus dem Leben Falladas mit ein. Der Roman „ist eine im sachlich-realistischen Stil erzählte Geschichte von Menschen in Deutschland am Ende der Weimarer Republik. Die Schilderungen der Arbeits-, Sozial- und Wohnverhältnisse, die Darstellung von Gehalts- und Haushaltsrechnungen spiegeln detailliert die sozialen Verwerfungen dieser Zeit.“ #8 Das Buch wird umgehend verfilmt und der weltweit bekannteste Titel Falladas. Vollständig erscheint es allerdings erst 2016, da der Autor noch vor der Erstausgabe Kürzungen vorgenommen hatte.

Ab 1933 arbeitet Fallada als freier Schriftsteller. Nach einer Denunziation und der mit dieser verbundenen elftägigen SA-Haft erwirbt er im abgelegen Carwitz bei Feldberg ein Haus. Der nachfolgende Gefängnisroman Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (1934) erweist sich als großer Erfolg, wobei der Autor sichtlich eigene Erfahrungen im Zentralgefängnis Neumünster verarbeitet. „Geschildert wird, wie ein kleiner Angestellter in die Mühlen der Justiz gerät und den verhängnisvollen Kreislauf Gefängnis – Entlassung – Armut – Gefängnis nicht mehr zu durchbrechen vermag.“ #9 Nach mehreren Gelegenheitsarbeiten legt Fallada dann 1937 den zweibändigen Gesellschaftsroman Wolf unter Wölfen vor, der „Schicksale der Inflations- und Krisenzeit der zwanziger Jahre“#10 thematisiert: „Spekulanten und Abenteurer, Prostituierte, Kriegsgewinnler und entlassene Offiziere sind die Figuren auf Falladas literarischer Bühne, die zugleich Verfall, Sucht und Rauschgift als Kennzeichen modernen Großstadtlebens vor Augen führt. Nur das Land scheint noch Halt zu bieten: ein Trugschluss, da auch hier die Verhältnisse brüchig und instabil sind.“#11 Der Roman wird erneut zu einem großen Erfolg, doch Fallada gerät mehr und mehr ins Visier der nationalsozialistischen Kritik und gilt nunmehr als „unerwünschter Autor“.

Dies hat bereits bei Der eiserne Gustav (1938) Konsequenzen. Der Roman schildert den sozialen Abstieg eines Berliner Droschkenkutschers von der Schlussphase der Kaiserzeit bis zum Ende der 1920er Jahre. „Bornierte Prinzipientreue, heroische Illusionen, markige Attitüden des Helden können nicht über das Elend der Inflation, die Zerrüttung der familiären Verhältnisse und den Niedergang des Gewerbes hinwegtäuschen.“#12 Hieran vermochte auch die (authentische) Fahrt von Berlin nach Paris und zurück nichts zu ändern, die den realen Gustav Hartmann (1859–1938) berühmt gemacht hat. Allerdings ändert Fallada den Schluss des Romans, „weil die Reichsschrifttumskammer ihn kritisiert hatte“.#13Nachfolgend zieht sich Fallada „ganz ins politisch unverfängliche Schreiben zurück (Erinnerungsbücher, Zeitungsgeschichten, Unterhaltungsromane)“,#14 hat aber zunehmend mit Existenzängsten zu kämpfen; auch die Ehe kriselt wiederholt. 1943 ist er Berichterstatter im Auftrag des Reichsarbeitsdienstes in Frankreich, um ein Tagebuch zu schreiben.

Im Folgejahr erreicht die Zerrüttung seiner Ehe ihren Höhepunkt, und der „hochneurotische und alkoholabhängige Fallada“ wird von seiner Frau Anna geschieden. Nach einem handfesten Streit, der als „Mordversuch“ gewertet wird, weil Fallada in einen Tisch schießt, wird er in die Landesanstalt Neustrelitz zwangseingewiesen, wo er heimlich an seinem Manuskript Der Trinker arbeitet. Der Roman wird erst 1950 veröffentlicht und beschreibt „die Folgen von Suchtverhalten als ruinösen Prozess menschlicher Entwürdigung: Der Geschäftsmann Erwin Sommer, dessen formalisierter Alltag sich durch zunehmenden Alkoholgenuss schleichend, aber unaufhörlich auflöst, kann die Fassade bürgerlichen Lebens nicht mehr aufrechterhalten.“#15 Am Ende steht die Suzidabsicht: „Nein, ich will nicht in diesem Zotenhaus uralt werden und dann langsam verrecken, ich will einen Tod sterben, wie ihn alle draußen haben können – nach eigener Wahl.“#16

Fallada heiratet 1945 die junge Unternehmerwitwe Ursula Losch (1921–1958), die allerdings selber drogengefährdet ist, was seine Probleme verschärft. Nach Kriegsende wird er vier Monate lang Bürgermeister von Feldberg; in der Folge erleidet er einen körperlichen Zusammenbruch und Krankenhausaufenthalte. Es folgt ein Umzug nach Berlin; auf Vermittlung von Johannes R. Becher (1891–1958) wird er Mitarbeiter bei der Täglichen Rundschau. Falladas letzter Roman, Jeder stirbt für sich allein (1947), ist eine „Decouvrierung des Nazi-Regimes“.#17 Basierend auf einem authentischen Fall rekonstruiert das Buch das Leben eines Arbeiterehepaars, dessen einziger Sohn im Krieg gefallen ist und das mit Postkarten gegen den Nationalsozialismus anschreibt; am Ende kommt es zur Hinrichtung. Der Roman kam mit der Hilfe von Johannes R. Becher zustande, der Fallada Gestapo-Akten überließ. Nach der posthumen Erstveröffentlichung konnte der Roman 2011 in einer restaurierten Fassung erscheinen und wurde zu einem internationalen Bestseller.

Nachdem Falladas Drogenprobleme wiederholt zu Klinikeinweisungen führten, stirbt er am 5. Februar 1947 in einem zum Hilfskrankenhaus eingerichteten Pankower Schule. In seinem Aufsatz Wie ich Schriftsteller wurde heißt es: „Ich muß. Ich muß so schreiben, wie das Gesetz in mir ist, oder ich muß das Schreiben lassen. Und da ich das Schreiben nicht lassen will und werde, so muß ich mich hetzen, heute, morgen, wahrscheinlich werde ich mich noch als alter Mann hetzen, als Greis, immer werde ich Angst haben, ich werde nicht fertig.“#18

Nach Fallada sind mehrere Schulen und Straßen benannt; die Stadtbibliothek Greifswald trägt seit 1993 seinen Namen. In Carwitz steht das Hans-Fallada-Haus#19 – in dem er von 1933 bis 1944 gelebt hat – für Besichtigungen zur Verfügung; der Museumsbetrieb wird durch die Hans-Fallada-Gesellschaft#20 geleistet, die zudem im Jahresrhythmus Hans-Fallada-Tage organisiert. Vor Ort befindet sich auch das vom Literaturzentrum Neubrandenburg e. V. verwaltete Hans-Fallada-Archiv, #21 das zahlreiche Dokumente, Materialien und Ausstellungsstücke verwahrt. Seit 1981 vergibt die Stadt Neumünster den Hans-Fallada-Preis, der in der Regel alle zwei Jahre verliehen wird und mit 10.000 Euro dotiert ist. Die Auszeichnung ehrt bevorzugt jüngere Personen aus dem deutschsprachigen Raum, deren Prosawerke „Zeitprobleme, vorzugsweise des letzten Jahrzehnts, mit politisch-sozialem Hintergrund behandeln, so wie es Hans Fallada in seinem literarischen Werk getan hat“.#22

10.4.2021 Kai U. Jürgens

ANMERKUNGEN

1 Deutsches Literatur-Lexikon – das 20. Jahrhundert, Bd. 8, Zürich/München 2005, S. 258f.

2 Ebd., S. 259.

3 Jörg Fauser: Fallada. In: Ders., Essays, Reportagen, Kolumnen I. Hg. v. Carl Weissner. Jörg Fauser Edition, Bd. 6, FFM 1991, S. 96–117; hier: S. 104f.

4 Tom Crepon & Marianne Dwars: An der Schwale liegt (k)ein Märchen. Hans Fallada in Neumünster. Neumünster 1993, S. 19.

5 Hans Fallada: Brief an Johannes Kagelmacher, 21. Oktober 1928. Zit. n. Hans Fallada. Sein Leben in Bildern und Briefen. Hg. v. Gunnar Müller-Waldeck und Roland Ulrich, Berlin 2012, S. 83.

6 Fauser, Fallada. Wie Anm. 4, S. 107.

7 Kindlers Literatur Lexikon, Bd. 5, Stuttgart/Weimar 2009, S. 373

8 Ebd., S. 374

9 Hans Fallada – Leben und Werk in Daten. In: Hans Fallada. Sein Leben in Bildern und Briefen. Hg. v. Gunnar Müller-Waldeck und Roland Ulrich, Berlin 2012, S. 265–270; hier: S. 268.

10 Ebd.

11 Kindlers Literatur Lexikon. Wie Anm. 8, S. 374.

12 Fallada. Leben und Werk. Wie Anm. 10, S. 268.

13 Kindlers Literatur Lexikon. Wie Anm. 8, S. 375.

14 Fallada. Leben und Werk. Wie Anm. 10, S. 268

15 Kindlers Literatur Lexikon. Wie Anm. 8, S. 375.

16 Fallada: Der Trinker. Wie Anm. 1, S. 211.

17 Kindlers Literatur Lexikon. Wie Anm. 10, S. 375.

18 Hans Fallada: Wie ich Schriftsteller wurde. Zit. n. Fallada. Sein Leben. Wie Anm. 6, S. 254.

19 fallada.de/museum-oeffnungszeiten.

20 fallada.de.

21 fallada.de/gesellschaft-archiv.

22 www.neumuenster.de/kultur-freizeit/kultur/kulturfoerderung/hans-fallada-preis.