Helmold

Helmold; (Auch: Helmold von Bosau).

Geboren ca. 1120
Gestorben in Bosau nach 1177

Die Szene spielt im Jahr 1167 in Bosau am Plöner See. Ein paar niedrige Holzhäuser, eine kleine hölzerne Kirche, die noch nicht lange hier steht. Ein Priester greift zu Feder und Pergament und beginnt mit der Niederschrift eines Buches, das die nächsten 850 Jahre gelesen werden wird. Um 1170 war das Werk abgeschlossen. Wie es im Mittelalter üblich war, bekam es keinen Titel. Spätere Generationen nannten es „Chronica Slavorum“ oder „Slawenchronik“.

Was bringt einen hoch gebildeten Geistlichen, der lesen und schreiben kann, Latein beherrscht und in der klassischen Literatur wie auch in der Kirchengeschichte und Theologie bewandert ist, nach Bosau, an die Grenze des Heiligen Römischen Reichs, weit entfernt von den geistig-kulturellen Zentren des christlichen Abendlandes, in ständiger Gefahr, bei einem erneuten Slawenaufstand ermordet zu werden?

Wir wissen über Helmold von Bosau relativ wenig. Er stammte vermutlich aus dem Harzvorland, trat um 1134 in das zu Missionszwecken gegründete Kloster Segeberg ein und war später ein Weggefährte der Bischöfe Vizelin und Gerold. Beide bewunderte er für ihren Eifer, trotz Gefahr für Leib und Leben in der Slawenmission zu wirken. Mit Vizelin, dem später heilig gesprochenen „Apostel der Slawen“, hatte Helmold im Kloster Faldera (Neumünster) gelebt, dem Ausgangspunkt der Slawenmission, und nach Vizelins Tod hatte er 1156 Bischof Gerold auf einer Inspektionsreise durch Wagrien begleitet. Bis nach Oldenburg waren sie vorgedrungen, dem um 970 gegründeten, inzwischen schon wieder verlassenen Bischofssitz.# Danach hatte Helmold die Pfarre Bosau am Plöner See erhalten, die einzige intakte Pfarre in ganz Wagrien, das immer noch von kriegerischen Konflikten zwischen slawischen Bauern und christlichen Kolonisten geprägt war. Bosau hatte schon Vizelin und später Gerold als Bischofssitz gedient, nachdem die erste Oldenburger Missionskirche von aufständischen Slawen zerstört worden war. Helmolds Motiv, sich ausgerechnet der Slawenmission zu widmen, kennen wir nicht. Wir können aber davon ausgehen, dass er – genau wie Vizelin – ein Mensch war, dem der Missionsbefehl Christi wichtiger war als das eigene Leben.

Die Chronik, die Helmold zwischen 1167 und 1170 in Bosau niederschrieb, ist im Grunde eine Darstellung der Expansion des christlichen Reiches und der Christianisierung der Slawen in Holstein, Mecklenburg, Brandenburg und Pommern von der Zeit Karls des Großen bis in die damalige Gegenwart, die Zeit Heinrichs des Löwen. Die originale Handschrift existiert nicht mehr. Die älteste erhaltene Abschrift stammt von 1255 – sie wurde mehr als 70 Jahre nach Helmolds Tod angefertigt und mit der Chronik des Arnold von Lübeck vereinigt. Trotz aller Unsicherheiten der schriftlichen Überlieferung ist die „Slawenchronik“ des Helmold von Bosau auch in dieser problematischen Form eine äußerst wichtige historische Quelle zur Christianisierung und Landnahme Nord- und Ostelbiens durch das Heilige Römische Reich. Große Bedeutung hat sie für das Bild der Slawen in der Geschichtsschreibung. Denn naturgemäß berichtet Helmold nicht nur über Kirchenpolitik, sondern auch über die Slawen selbst als Objekte der Mission. Er beschreibt die Wagrier, Polaben, Ranen und andere slawische Volksgruppen aus der Sicht des Missionars, für den die Slawen in erster Linie Heiden waren, die es zu bekehren und zu unterwerfen galt. Deshalb wurden ihnen lauter schlechte Eigenschaften zugeschrieben wie Treulosigkeit, Bösartigkeit, Verlogenheit, Hang zu Raub und Diebstahl, unstatthaftes Aufbegehren gegen die Segnungen christlicher Herrschaft. Solche Zuschreibungen rechtfertigten den Einsatz von Gewalt bei der Unterwerfung „heidnischer“ Volksstämme unter den christlichen Gott und den christlichen Fürsten. Im mittelalterlichen Denken waren Kreuz und Schwert zwei Seiten derselben, als gerecht angesehenen Sache. Das Problem ist nur, dass Helmolds Slawenbild in der Geschichtsschreibung der nächsten 800 Jahre unkritisch weitergetragen wurde. Seine Beschreibung der Slawen in Holstein und Mecklenburg wurde jahrhundertelang als „objektiv“ missverstanden. Erst jüngster Zeit wird die „Slawenchronik“ so gelesen, wie sie gelesen werden muss: als ein Werk des Mittelalters aus mittelalterlicher Sicht. Was die Bedeutung des Helmold von Bosau keineswegs schmälert.

15.3.2021Susanne Luber