Hengameh Yaghoobifarah
Yaghoobifarah, Hengameh.
Journalist*in, Polemiker*in und Romanautor*in
Geboren 1991 in Kiel.
Hengameh Yaghoobifarah trat 2021 erstmals als Romanautor*in in Erscheinung, dürfte aber einem größeren Publikum bereits vorher als Kolumnist*in und Polemiker*in ein Begriff gewesen sein: Seit 2016 erscheint in der taz die Kolumne „Habibitus“, und bereits seit 2013 schreibt Yaghoobifarah für die feministische Zeitschrift Missy. Ein 2016 erschienener, viel debattierter Text über das Fusion-Festival wurde später in erweiterter Form als Buch veröffentlicht: Ich war auf der Fusion, und alles, was ich bekam, war ein blutiges Herz. In diesem Text untersucht Yaghoobifarah den Umgang der mehrheitlich weißen Festivalbesucher*Innen mit kultureller Aneignung und kommt zu einem vernichtenden Ergebnis:
Ob die Abwesenheit von People of Color wohl der Anlass dafür war, dass weiße Leute sie cosplayten? Ihre stereotypen, rassistischen Kostüme waren jedenfalls überall. Neben den Dreadlocks trugen weiße Menschen Kimonos, Kegelhüte, Oberteile mit random chinesischen Zeichen, Bindis, Saris, Federkopfschmuck, Tunnel, Turbane, Sharwals oder einzelne Federn im Haar […]. Wie Karneval der Kulturen in Berlin, nur ätzender und mit höherer Dichte an Kartoffeln. Was blieb, war eine ausgeleerte Hülse von kapitalistischen, exotisierenden sowie essentialisierenden Vorstellungen von etwas, was weiße Leute gerne als fremd bezeichnen würden.
2020 erschien in der taz ein Artikel über Rassismus und die Polizei, der polemisch vorschlug, die nach der Abschaffung der Polizei arbeitslosen Polizist*Innen mangels anderer Einsatzmöglichkeiten auf Mülldeponien einzusetzen. Der Text führte erneut zu einer verbissenen Diskussion, auch innerhalb der taz, und wuchs sich innerhalb von kurzer Zeit zu einer grotesken Debatte über Identitätspolitik aus, in die sich selbst Bundesinnenminister Horst Seehofer und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier einmischten – Seehofer kündigte gar an, Strafanzeige erstatten zu wollen. Derartige Überreaktionen warfen nicht nur ein fragwürdiges Licht auf den Stand der Pressefreiheit in Deutschland, sondern hatten in Form von Online-Hetzkampagnen und Morddrohungen auch direkte Konsequenzen für Yaghoobifarah.
2019 gab Yaghoobifarah zusammen mit Fatma Aydemir den vielbeachteten Band Eure Heimat ist unser Albtraum heraus, in dem sich 14 Autor*Innen aus verschiedenen Blickwinkeln kritisch mit dem Begriff „Heimat“ auseinandersetzen. In ihrer Einleitung stellen Aydemir und Yaghoobifarah heraus, dass sich nicht nur marginalisierte Gruppen mit diesem problematischen Konzept auseinandersetzen sollten:
[N]icht die Herausgeber_innen und Autor_innen dieses Buchs entscheiden, wo das „Wir“ endet und das „Ihr“ beginnt. Sondern jede_r Leser_in bestimmt für sich selbst: Will ich in einer Gesellschaft leben, die sich an völkischen Idealen sowie rassistischen, antisemitischen, sexistischen, heteronormativen und transfeindlichen Strukturen orientiert? Oder möchte ich Teil einer Gesellschaft sein, in der jedes Individuum, ob Schwarz und/oder jüdisch und/oder muslimisch und/oder Frau und/oder queer und/oder nicht-binär und/oder arm und/oder mit Behinderung gleichberechtigt ist?
Weil Yaghoobifarahs Interventionen also bisher eher politischer Art waren, reagierten einige Kritiker*Innen überrascht, als 2021 der Roman Ministerium der Träume erschien: Es handelt sich hier um einen ganz klassischen, handlungsreichen Roman, der zudem noch Elemente des Thrillers und des Kriminalromans einarbeitet (ohne diese allerdings zu ernst zu nehmen). Erzählt wird die Geschichte von Nasrin Behzadi, die nach dem überraschenden Tod ihrer Schwester nicht nur Verantwortung für ihre zur Waisen gewordene Nichte übernehmen, sondern sich auch mit den unbewältigten Traumata ihrer eigenen Jugend auseinandersetzen muss. Dabei wird im Verlauf des mit Verve geschriebenen Romans deutlich, dass das scheinbar Private immer auch politisch ist: Die in Berlin lebende Erzählerin, die in der Hochhaussiedlung Hudekamp in Lübeck aufwuchs, muss feststellen, dass sie die 1980er und 90er Jahre mit ihrer heute verdrängten rassistischen Gewalt nicht abschütteln kann. Das führt dazu, dass sie auch die in der schleswig-holsteinischen Literatur nicht seltene Vorstellung hinterfragt, man könne sich der Vergangenheit einfach durch den Wegzug in die Metropole entledigen – am Ende muss sie zurück nach Lübeck, um den Tod der Schwester aufzuklären. An dieser Stadt stört sie gerade der Kontrast zwischen der Postkartenidylle und den unguten eigenen Erinnerungen:
Dieselbe Stadt, die ich als so grauenvoll wahrnehme, ist für andere ein pittoresker Urlaubsort am Meer, mit Sehenswürdigkeiten, die es zu fotografieren lohnt, kulinarischen Spezialitäten, deren Wucherpreise eher für als gegen den Genuss sprechen, und einer Luft, die man tief einatmet, um die Lungen zu reinigen. Ich konnte währenddessen hier nie durchatmen.
Der Roman macht sehr deutlich, dass die weiße deutsche Mehrheitsgesellschaft der Erzählerin nicht helfen wird: wenig überraschend ist die Polizei weit davon entfernt, ein Freund und Helfer zu sein, und auch sonst schlägt der migrantisch gelesenen und queeren Nasrin immer wieder offener Hass entgegen. Am Ende sind es deswegen ihre schon seit den 1990ern antifaschistisch organisierten Jugendfreunde aus Hudekamp, die die Sache in die Hand nehmen und dem Roman einen zumindest ansatzweise versöhnlichen Abschluss verleihen. Mit Ministerium der Träume ist Yaghoobifarah somit neben vielen anderen Dingen auch ein berührendes Porträt einer Community gelungen, die ins Abseits gedrängt wurde und sich dennoch zu behaupten weiß.
15.6.2021Jan Behrs
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