Werner von der Schulenburg
Schulenburg, Werner von der; Pseudonym: Gebhard Werner
Vielseitiger Schriftsteller und deutsch-italienischer Vermittler
Geboren in Pinneberg am 9. Dezember 1881
Gestorben in Magliasina (Kanton Tessin/Schweiz) am 19. März 1958
Der Schriftsteller Werner von der Schulenburg stammte aus einem preußischen Adelsgeschlecht und wurde in Pinneberg geboren, wo sein Vater nach einer Kriegsverwundung Beamter war. Der Familientradition entsprechend, wurde Werner im Alter von zehn Jahren auf eine Kadettenanstalt geschickt, um auf eine Karriere beim Militär vorbereitet zu werden – eine Erfahrung, die ihn beispielsweise mit dem etwas jüngeren Ernst von Salomon verbindet. Er kam zunächst nach Plön, dann nach Berlin-Lichterfelde, und schrieb über die traumatischen Erfahrungen dieser Zeit später ein wütendes Buch, in dem es heißt:
Kein Proletarierkind hat eine solche entsetzliche Jugend gehabt wie ich. Kein Kind, das in sizilianischen Bergwerken arbeiten muß, kann seelisch tiefer zerbrochen sein, als ich es war. Und wenn ich noch ein ganz klein wenig geworden bin […], so ist dies das Verdienst meiner gesunden […] Natur.
Dass der Autor durchaus „etwas geworden ist“, macht schon die Einleitung des Bandes klar, die er mit „Dr. Dr.“ unterzeichnet – er hatte nicht die von der Familie erwünschte Militärlaufbahn eingeschlagen, sondern das Abitur nachgeholt und 1911 in Jura und 1918 in Kunstgeschichte promoviert. In derselben Zeit begann er, Lyrik und Prosa zu veröffentlichen, etwa einen Eulenspiegel in Versen, der den angeblich in Mölln verstorbenen Narren aktualisiert und zu einer recht radikalen oppositionellen Figur macht:
Ich hasse Euere kluge Zweifelsucht.
Ich hasse Eueres Willens faule Frucht.Ich hasse Euere lahme Menschlichkeit.
Ich hasse Euch, die ihr nicht Menschen seid.Ich hasse Euch, die ihr nur sterbt und erbt.
Ich hasse Euere Güte, die verderbt.
[…]
Ich hasse Euer Herz, das nicht mehr brennt.
Ich hasse Euch, die ihr nicht hassen könnt.
Schulenburgs Romane dieser Zeit schlagen einen entspannteren, teils ironischen Ton an. Seine Themenwahl lässt bereits erkennen, welcher Weltgegend sich der Autor zeitlebens verbunden fühlt: Der historische Roman Stechinelli (1911) erzählt die Geschichte des italienischen Adeligen Francesco Maria Capellini, der im 17. Jahrhundert in den welfischen Herzogtümern im heutigen Niedersachsen zu Reichtum und Ansehen kam und als deutsch-italienischer Brückenbauer wirkte. Malatesta (1923) bleibt gleich ganz in Italien und beschäftigt sich mit dem „Wolf von Rimini“ genannten Renaissancefürsten Sigismondo Malatesta. Nur gelegentlich verschlägt es Schulenburgs Protagonisten nach Schleswig-Holstein, etwa in seinem frühen Roman über die Provinzstadt „Söderburg“, die sarkastisch als fortschrittsfeindliches Nest dargestellt wird:
[G]lauben Sie mir, nirgendwo auf der Welt ist so viel Bosheit, Mißgunst, Klatschsucht, Niedrigkeit des Charakters, so viel wirklich Unedles konzentriert als in einer kleinen Stadt. Glauben Sie mir, so ein Posemuckel ist ein geistiges Perugia, jedes Gebäude ist eine Festung, von jedem Hause werden in das andere Pechkränze und Brandfackeln geworfen. Wagen Sie es nie, etwas vornehmen zu wollen, was nicht alle Leute vor Ihnen auch getan haben.
Schulenburg selbst zog 1919 in die italienischsprachige Schweiz und bewegte sich in Italien in den Kreisen um Mussolini, dessen Anhänger er wurde und dessen Drama Cavour er ins Deutsche übersetzte. Sein Verhältnis zum Nationalsozialismus war komplizierter: Einerseits war er immer wieder für das Regime tätig, unter anderem in der Botschaft in Rom, und verfasste von dort Berichte für das Reichssicherheitshauptamt. Andererseits hatte er „gesinnungs-aristokratische Vorbehalte“ #1 gegen die Machthaber, was ihn in die Nähe der Widerstandsgruppe des 20. Juli brachte – zwei der Mitverschwörer waren außerdem seine Cousins.
Nach dem Ende des Kriegs befand sich Schulenburg, der in der Nazizeit noch mit zahlreichen heiteren Theaterstücken wie Schwarzbrot und Kipfel und Diana im Bade (beide 1935) Erfolg gehabt hatte, in schwierigen materiellen Bedingungen – erst der große Erfolg des 1950 erschienenen historischen Romans Der König von Korfu sollte daran etwas ändern. Hier verarbeitet Schulenburg die Geschichte seiner eigenen Familie: Der Verteidiger der Insel Korfu gegen die Türken, General Matthias Johann von der Schulenburg, war ein Vorfahr des Autors, und dieser nutzt die Gelegenheit, den Verwandten als gebildeten, hochintelligenten Paneuropäer zu inszenieren: „Schulenburg, der Mann, der Soldat, welcher den europäischen Willen, wie ihn der große Leibniz dargelegt hatte, vollstrecken sollte.“ #2 Der General wird als militärischer Künstler imaginiert, der sein Talent zur Kriegsführung der „geniale[n] Nüchternheit der großen Niederdeutschen“ verdankt #3, dabei aber bescheiden im Hintergrund bleibt: „ein Held im Schatten“ #4, der alles Prahlerische vermeidet und sich während seiner Heldentaten nach norddeutschem Brot und Schinken sehnt. Den Leser*Innen bietet der Roman einen spannenden, süffig erzählten Plot, der die Hauptfigur quer durch das Europa des frühen 18. Jahrhunderts führt, sowie ein Bekenntnis zur europäischen Integration (unter maßgeblicher deutscher Führung), das in der frühen Bundesrepublik auf offene Ohren gestoßen sein dürfte. Nach dem Erfolg des Königs von Korfu veröffentlichte Schulenburg in den 1950ern noch eine Reihe heiterer Romane, wobei auch seine Geburtsstadt zu ihrem Recht kommt: Créme à la Cocotte (1956) bewegt sich laut Untertitel „zwischen Pinneberg und Monte Carlo“. 1958 starb Werner von der Schulenburg in Magliasina im Tessin.
2.8.2022 Jan Behrs
ANMERKUNGEN
1 Hans-Albrecht Koch: Art. „Schulenburg, Werner von der“. In: Killy Literaturlexikon. Hrsg. v. Wilhelm Kühlmann u.a. Bd. 10, Berlin/Boston: De Gruyter 2012.
2 Werner von der Schulenburg: Der König von Korfu. Roman. Braunschweig u.a.: Westermann 1950, S. 35.
3 Ebd., S. 102.
4 Ebd., S. 54.
Veranstaltungen
Keine Veranstaltungen vorhanden
ORTE
Werke
- Chronik der Stadt Söderborg. Ein Kleinstadt-Roman. Berlin: Concordia 1908.
- Eine Winterfahrt durch die Provence. Berlin: Concordia 1910.
- Stechinelli. Der Roman eines Kavaliers. Dresden: Reißner 1911.
- Sanssouci. Ein Lustspiel in vier Akten. Dresden: Reißner 1911.
- Eulenspiegel. Ein Heidebuch. Dresden: Reißner 1911.
- Don Juan im Frack. Roman. Dresden: Reißner 1912.
- Die zehn katholischen Novellen. Dresden: Reißner 1912.
- Antiquitäten. Roman. Dresden: Reißner 1912.
- Judas. Ein Epos. Dresden: Reißner 1914.
- Deutsche Flamme. Balladen. Dresden: Reißner 1915.
- Thomas Dingstäde. Roman aus der Zeit vor dem Kriege. Dresden: Reißner 1916.
- Ein neues Porträt Petrarcas. Eine Studie über die Wechselwirkung zwischen Literatur und bildender Kunst zu Beginn der Renaissancezeit. Bern: Francke 1918.
- Meine Kadetten-Erinnerungen (1892-1899). Ein Beitrag zur Lösung einer Zeitfrage. München: Steinicke 1919.
- Dante und Deutschland. Europäisches Denken und die deutsche Kaiseridee im 14. und im 20. Jahrhundert. Freiburg: Guenther 1921.
- Doktor Boétius der Europäer. Roman. Dresden: Reißner 1922.
- Diplomatische Halbwelt. Aus den Papieren eines verstorbenen Diplomaten. Roman. Konstanz: See-Verlag 1922.
- Malatesta. Der Roman eines Renaissancemenschen. Dachau: Einhorn 1923.
- Don Juans letztes Abenteuer. Roman. Konstanz: Wöhrle 1924.
- Briefe vom Roccolo. Eine Tessiner Novelle. Dachau: Einhorn 1924.
- Könige. Novellen aus dem Riesengebirge. Hildesheim: Borgmeyer 1925.
- Der junge Jacob Burckhardt. Biographie, Briefe und Zeitdokumente (1818-1852). Stuttgart: Montana 1926.
- Jesuiten des Königs. Roman. Stuttgart: Union 1927.
- Der Ring der Marquise. Komödie in vier Akten. Berlin: Drei-Masken-Verlag 1930.
- Schattenspiel der Liebe. Eine Komödie. Berlin: Chronos 1930.
- Zaungast der Weltgeschichte. Berlin 1930.
- Glas von Murano. Schauspiel. München: Verlag Das Werk 1932.
- O.H.L. befiehlt Schauspiel. Berlin: Chronos 1932.
- Land unter dem Regenbogen. Roman. Braunschweig: Vieweg 1934.
- Diana im Bade. Lustspiel in drei Akten. München: Verlag Das Werk 1935.
- Schwarzbrot und Kipfel. Lustspiel in drei Akten. München: Verlag Das Werk 1935.
- Der Umweg. Romantische Komödie. München: Verlag Das Werk 1937.
- Eine Frau erklärt den Krieg. Komödie. München: Verlag Das Werk 1937.
- Johann Caspar Goethe. Vater eines Genies. Berlin: Metten 1937.
- Die Götter lachen. Komödie in drei Akten. Berlin: Drei-Masken-Verlag 1938.
- Licht aus dem Westen. Schauspiel. München: Verlag Das Werk 1938.
- Die Secretessa. Ein Gesellschaftsstück in drei Akten. Berlin: Drei-Masken-Verlag 1938.
- Der graue Freund. Ein Roman aus Übersee. Berlin: Deutscher Verlag 1938.
- Rosenrote Ochsen. Eine Komödie in drei Akten. Berlin: Drei-Masken-Verlag 1939.
- Die Perlen Karls des Kühnen. Komödie in drei Akten. Verlag Das Werk 1941.
- Hinter den Bergen. Erzählung. Berlin: Sicker 1944.
- Artemis und Ruth. Eine Erzählung aus dem Tessin. München: Piper 1947.
- Stundenbuch der Liebe. Ein Brevier für Liebende. Stuttgart: Körner 1947.
- Beglänzte Meere. Stuttgart: Körner 1947.
- Der König von Korfu. Roman. Braunschweig u.a.: Westermann 1950.
- Das Mädchen mit den Schifferhosen. Eine Erzählung. Flensburg: Wolff 1951.
- Der Papagei der Konsulin. Ein heiterer Roman. Stuttgart 1952.
- Der Genius und die Pompadour. Roman. Stuttgart: Verlag Deutsche Volksbücher 1954.
- Crème à la Cocotte. Ein heiterer Roman zwischen Pinneberg und Monte Carlo. Flensburg: Wolff 1956.
- Tre Fontane. Tessiner Roman. Stuttgart: Decker 1961.