Klavki

Klavki; geboren als Oliver Eufinger

Wortgewaltiger Dichter und Poetry Slammer

Geboren in Kiel am 4. Oktober 1972
Gestorben in Kiel am 4. April 2009

Obwohl Klavki 2009 im frühen Alter von 36 Jahren verstarb und der Nachwelt somit nur ein Frühwerk hinterlassen konnte, kommt die Schleswig-Holsteinische Literaturgeschichtsschreibung nicht an ihm vorbei. Klavki, mit bürgerlichem Namen Oliver Eufinger (geb. Fischer), wuchs in Kiel auf, studierte in Rostock Philosophie und Deutsch (auf Lehramt) und kehrte dann in seine Heimat zurück, um dort ab 2003 als freier Autor zu arbeiten.
Zunächst trat er mit seinen Texten als Poetry Slammer an die Öffentlichkeit, als es sich dabei noch um eine relativ junge und unbekannte Sparte der Literatur handelte. Seine wortneuschöpferische Sprachgewalt, kombiniert mit einem eindringlichen Vortragsstil, faszinierte das Publikum und verhalf ihm auf den Slam-Bühnen schnell zu Erfolgen. 2006 gewann er den vom Club Prinz Willy ausgerichteten „Prosacup Kiel“. In alternativen Kulturzentren wie der Kieler Schaubude und in der von der Kieler Slam-Poetry-Agentur assemble ART in der Hansa48 veranstalteten Reihe „WortGewalten“ lud man ihn bald schon für Auftritte außer Konkurrenz ein. Als „Delegierter“ aus Schleswig-Holstein trat Klavki fortan auch bundesweit auf Poetry-Slam-Wettbewerben auf, oft an der Spitze platziert. Klavkis Slam-Texte wurden daraufhin als Hörbücher mit den Titeln Sprachkrümel und Lippig leben bei assembleART veröffentlicht. Sie sind inzwischen vergriffen.
Trotz der Erfolge entfernte sich Klavki aber zunehmend von der Poetry-Slam-Szene, weil ihm viele dort vortgetragene Texte zu sehr auf bloße Effekte zielend und zu oberflächlich erschienen. Die Einladung des Goethe-Instituts zum „6. Nordic Poetry Festival“ 2006 in Tallinn empfand Klavki als Wendepunkt und las als einer von 23 Teilnehmer*innen aus zwölf Ländern neben Autor*innen wie Inger Christensen, Jon Fosse und Peter Laugensen. Es folgten Lesungen in Schweden, Dänemark und Deutschland (u.a. bei der „Brandenburgischen Literaturnacht“ zusammen mit Christa Wolf).
Kennzeichnend für Klavkis frühe Texte aus seiner Poetry-Slam-Zeit sind eine radikal-realistische Detailtreue gepaart mit einer Art „Polemikpoesie“. Dabei tritt das Sprecher-Ich oft aus einer Position des idealistisch Getriebenen auf, der den Alltag der Anderen kritisiert. Häufig schrieb Klavki in seinen „Stamm-Cafés“ wie dem Café Lucy (ehemals im Jungfernstieg), im Taktlos (Hansastraße) und der Café-Restaurant-Bar LOUF an der Kiellinie, in denen er Stunden zubrachte, und verarbeitete dabei die sich ihm bietenden Alltagssituationen. So enstanden Texte wie Im Cafe I:

[…] jeder hier meint
er sei mittendrin
und doch schauen alle nur zu
sitzend stierend nachmittags im café
als ob sie schon fernsehn
verorten ihre zeit zwischen war und wird
betonträumerisch verdiesseitst

herzgehobelte selbstpardonisierer
sitzriesen und zeitverzettler
ewig ablaufend tag
ewig einschwebend nacht
aber sämtlich fähig
eine abstrakte kleinplastik
notfalls als flaschenöffner zu verwenden

In: Klavki: Slam I, Reihe „gelbe Hefte“, Selbstverlag Kiel 2006 (vergriffen, Neuauflage geplant).

Klavkis Literaturverständnis war gekennzeichnet von einer  – geradezu polemischen – Abkehr von Büchern als reinen Fetisch-Objekten, die sich bequem als Staubfänger ins Regal stellen lassen. Sein Credo (in verschiedenen seiner Texte immer wieder auftauchend): „Nach einer anderen Sprache verlangen die ungeschriebenen Sätze.“ Literatur, verstanden als die – im Wortsinne – bedeutungsvollste Art von Sprache, sollte plötzlich, unmittelbar und anfassbar sein, den Menschen etwas angehen. Wo immer man ihr begegnete, sollte „die Wirklichkeit ein Loch“ bekommen. (Literarische) Sprache begriff er daher vor allem als performativen künstlerischen Akt, bevorzugte also das gesprochene gegenüber dem geschriebenen Wort. Insofern knüpfte er an sein Poetry-Slam-Werk an und suchte nach crossmedialen Präsentationsformen seiner Texte.
So las und stellte er seine Texte zusammen mit bildenden Künstler*innen, die sich in ihren Arbeiten auf Klavki-Texte bezogen, in Galerien aus, z.B. bei der Ausstellung „Kiel im Blick“ in der Hansa48 im Dezember 2007 #1. Ab 2004 entwickelte er zusammen mit dem Kieler bildenden Künstler Marcus Meyer und unterstützt von der damaligen Kieler Oberbürgermeisterin Angelika Volquartz und dem Kirchenkreis Kiel das Projekt Schrift im Land #2: Im Dezember 2006 brachten sie am Rande der Autobahn 215 in der Nähe des Freilichtmusums Molfsee riesige leuchtende Lettern u.a. mit dem Nietzsche-Zitat „WAS SPRICHT DIE TIEFE MITTERNACHT?“ an #3. Die Installation wurde mit dem Slogan „ICH IST JEDER“ auch während der Proteste gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm gezeigt. Bei seinem Projekt Take a Poem legte Klavki kleine Flyer mit epigrammartigen Sprachschnippseln in Kieler Kneipen (u.a. im Blauen Engel, wo diese Aktion nach seinem Tod mit Klavki-Texten auf Bier-Etiketten wiederholt wurde) und Kulturzentren aus – eine Literatur zum Mitnehmen. Um Poesie im Alltag #4 ging es auch in einer Textinstallation gleichen Namens an der Kiellinie, bei der Klavki über 300 Texttafeln mit einzelnen Worten, Gedichten und Kurzprosa entlang etwa einem Kilometer der Kieler Fördepromenade als „Freiluftbibliothek“ befestigte.
Solche crossmedialen Projekte zeigten einen weiteren Aspekt von Klavkis Sprachverständnis und Poetologie. Sie waren von der Vorstellung geprägt, dass Worte immer zugleich auch Zitate seien. Die Literatur anderer Autor*innen sollte nicht wie ein unantastbares Denkmal behandelt werden. Sie konnte nur lebendig bleiben, wenn sie zitiert wurde. So finden sich in seinen Gedichten zahlreiche Zitate von Autoren wie Paul Celan, Arno Schmidt oder Heiner Müller – oft nicht als solche gekennzeichnet. Auch Autor*innen, die mit Klavki befreundet waren, fanden sich zuweilen in Klavkis Texten auf solche Weise zitiert. Das weiter unten zitierte Gedicht Meine Stadt #5, Klavkis wiederum meist zitierte Hommage an seine Heimatstadt, beruht z.B. auf einer Skizze des Siegener Lyrikers Crauss. nach seinem Kiel-Besuch im Rahmen einer Lesung des „Forums der 13“ #6, in dem er wie Klavki Mitglied war. Klavki sah solche Art des „Zitierens“ nicht als Plagiat, sondern als gemeinsames „Weiterschreiben“, als kollektive (Weiter-)Nutzung sprachlicher Ideen Einzelner und vertrat das als Teil seines poetologischen Konzepts.
Überhaupt sind viele, vor allem spätere Texte Klavkis eigentlich poetologische Manifeste, besonders deutlich die Erzählung Der Wolkenhändler#7 und das groß angelegte Epos Der Traumzeuge#8, aus dem er bei der Leipziger Buchmesse 2007 im Rahmen der Reihe „Prosanova – junge Literatur aus Rostock“ las. Mit ihnen positionierte sich Klavki im Diskurs über den Zustand der zeitgenössischen deutschsprachigen Literatur. Zu einem poetologischen „Gefecht“ kam es, als der Literaturwissenschaftler und ehemalige Kollege aus dem „Forum der 13“ Michael Lentz 2005 seine zehn Thesen zur Poesie unter dem Titel Windstille in Dunkelland in der FAZ veröffentlichte. #9 Klavki reagierte darauf mit einem leidenschaftlichen offenen Brief:

Die Dichter lügen ja zu WENIG! Aus den Texten vieler junger Autoren tränen nur noch Dekadenzperlen: Verfangen zwischen der Melancholie der Morgenrasur und der Trauer der täglichen Notdurft […] Ein moosiger Schlaf liegt über dieser Vollkommenheitspoesie. Aber in mir ranken noch Embryonalnebel: Ich werde das Schicksal hetzen, mit der Axt einschlagen, bis das Wunder in einem einzigen Wort kommt. […] Solange sie weiterhin ihre Sprache konservieren, werde ich auch weiterhin schreien gegen diese somnambule Sicherheit des Schlichten.

Solche wortmächtige Leidenschaft im Diskurs über Literatur zeigt zudem noch einmal, wie wichtig, lebensnotwendig und existenziell Literatur für Klavki war. Als ihm Anfang 2007 eine aggressive Form von Krebs diagnostiziert wurde, schrieb er zunehmend gegen den Tod an. Einige Jahre vor Wolfgang Herrndorfs Krebs-Blog-Projekt Arbeit und Struktur dokumentierte Klavki autobiografisch in seinem Blog #10 den Kampf gegen den Tumor, den Sterbeprozess und die Liebe zum Leben. Schlichte, aber schmerzhafte Sätze wie „Ich würde gern meine Freunde vererben“ oder Formulierungen wie „die Wunde des ungeschriebenen Textes“ prägten den authentischen Ton. In dieser Zeit entstand auch sein unvollendet gebliebenes Epos Der Traumzeuge.
Im Jahr 2008, schon deutlich von der Krankheit gezeichnet, erhielt er vom Land Schleswig-Holstein ein zweimonatiges Arbeitsstipendium im Kloster Cismar#11 (wo er Kontakt zu der ebenfalls in Cismar lebenden Lyrikerin Doris Runge knüpfte), nachdem ihn Mecklenburg-Vorpommern schon 2007 als Stipendiat in Rostock begrüßt hatte.
Kiel blieb als Produktions- und Lebensort auch zu dieser Zeit für Klavki von enormer Bedeutung. Er widmete der Stadt sogar sein wohl bekanntetes Gedicht:

Meine Stadt schmeckt salzig.
Selbst die Toten riechen hier nach Meer.
Meine Stadt schmeckt salzig.
Und am Himmel:
Weiße Bojen.
Ein Fahnen-Vorbei.
Fusseliges Himmelsplankton. Die Wolken
betten sich
in ihrer Ortslosigkeit.
Aber in meiner Stadt
leben Götter aus Honig
Fremde und Freunde
und nie
hat jemand unsere Geschichte
zu Ende erzählt [...]

Erschienen zuletzt in: Walter Arnold (Hrsg.): Kiel im Gedicht, Kiel: Wachholtz 2017.

Klavkis Texte, vor allem aber seine Persönlichkeit scharte diverse Künstlerfreund*innen vorwiegend aus Kiel, Rostock und Greifswald um sich, die sich um den Fortbestand und die Pflege seines Werkes kümmern. Zum Todestag (4. April) und/oder Geburtstag (4. Oktober) finden seit seinem Tod regelmäßig „Hommagen an Klavki“ in der Hansa48 statt. Von seinen zu Lebzeiten herausgegebenen sieben „gelben Heften“ sind vier in durchgesehenen 2. und 3. Auflagen erschienen (aber bereits wieder vergriffen). Auf der Website www.klavki.de findet sich umfangreiches Material aus und zu Klavkis Werk, u.a. auch Original-Tondokumente sowie ein Pressespiegel. Jörg Meyer betreut den literarischen Nachlass. Klavki wird also „weitergeschrieben“ und er behielt letztlich Recht, als er am 11.3.2009, drei Wochen vor seinem Tod, in seinem Blog notierte:

erst allmählich wird sich diese gegend
von meiner geschichte erholen

28.6.2021 Jörg Meyer/Christiane Kiesow

ANMERKUNGEN

 1 Vgl. Bericht von Jörg Meyer in den „Kieler Nachrichten“ vom 14.12.2007 (dokumentiert unter www.schwungkunst.de/klavki/klavki_fundus/kiel_im_blick_kn_071214.pdf).
 2 Vgl. Presseinfo unter folgendem Link: www.schwungkunst.de/klavki/sil_presseinfo.pdf
 3 Vgl. Bericht von Jörg Meyer in den „Kieler Nachrichten“ vom 3.1.2007 (dokumentiert unter www.schwungkunst.de/klavki/klavki_fundus/schrift_im_land_kn_070103.pdf).
4 Vgl. Bericht von Jörg Meyer in den „Kieler Nachrichten“ vom 25.10.2008 (dokumentiert unter www.schwungkunst.de/klavki/klavki_fundus/poesie_im_alltag_kn_081025.pdf).
5 Erschienen zuletzt in: Walter Arnold (Hrsg.), Kiel im Gedicht, Kiel : Wachholtz 2017, S. 14.
6 Das Forum der 13 (www.forum-der-13.de) ist ein literarisches Forum, gegründet 1999 im Nordkolleg Rendsburg beim „Treffen der 13“. Eine vollständige Aufnahme der Lesungen des Forums der 13 im Kieler Luna Club, im Nordkolleg Rendsburg und im Kieler Prinz Willy findet sich hier: www.schwungkunst.de/mp3/forum_der_13_liest
7 Gelesen vom Greifswalder Schauspieler Jan Holten und eingeleitet von Michael Gratz in der Sendung „plattform“ vom 1.2.2013 auf radio 98eins (dokumentiert unter www.schwungkunst.de/klavki/klavki_fundus/klavki_wolkenhaendler_jan_holten.mp3).
8 Lesung Klavkis aus dem frühesten Manuskript im März 2007: www.schwungkunst.de/klavki/klavki_fundus/klavki_traumzeuge.mp3.
9 www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/thesen-zur-poesie-windstille-in-dunkelland-1210887.html.
10 https://klavki.podspot.de (nach wie vor online).
11 Vgl. den Bericht von Birgit J. Neumann in den „Lübecker Nachrichten“ vom 20./21.4.2008 (dokumentiert unter www.schwungkunst.de/klavki/klavki_fundus/klavki_pressespiegel.pdf, S. 7).