Hannes Wader

Wader, Hans Eckhard.


Geboren in Bethel am 23. Juni 1942

Hannes Wader auf eine geografische Region festzulegen, ist widersinnig, lautet doch der Titel seines bekanntesten Werkes: »Heute hier, morgen dort«. Mit Schleswig-Holstein aber verbindet den gebürtigen Westfalen nicht nur der jahrzehntelange Status einer Wahlheimat. Die Land­schaft und Geschichte des Bundeslands haben direkten Einfluss auf die Entstehung seines Werkes.

Wader kommt 1942 in Bethel bei Bielefeld zur Welt. Seine Familie ist, eigener Aussage nach, »arm, aber verhält­nismäßig sauber«. #1 Nach Besuch der Volksschule beginnt Hans Eckard, so sein Taufname, eine Lehre als Dekorateur in einem örtlichen Schuhgeschäft. 1962 bewirbt er sich, nachdem er offenbar sehr lustlos drei Jahre in seinem Lehrberuf gearbeitet hat, für ein Grafikstudium an der renommierten Bielefelder Werkkunstschule. 1963 dann wechselt er an die Akademie für Graphik, Druck und Werbung in Berlin (heute: UdK). Sein Studium finanziert Wader als »Barmusiker und Klarinettist in einer Jazzband«. #2

Das studentische Milieu der Mauerstadt ist für den jungen Musiker prägend. Wader beginnt eigene Lieder zu schreiben und wird Teil der Folk-Szene um Reinhard Mey, Schobert & Black, Insterburg & Co., Klaus Hoffmann, Katja Ebstein, Ulrich Roski, Inga und Wolf. Seinen Durchbruch erlebt er 1966 auf dem damals jährlich stattfindenden Folkfestival auf der Burg Waldeck im Hunsrück. 1969 erscheint dann seine erste Schallplatte Hannes Wader singt bei Philips. Der Posaunist und Sänger Knut Kiesewetter hatte sich für Wader verwandt und die Entstehung einer weiteren seiner damals äußerst populären Witz-Platten von der Vertragsunter­zeichnung abhängig gemacht.

Von 1969 bis ‘74 produziert Kiesewetter nicht weniger als vier Alben mit größtenteils eigenen Liedern Waders, die allesamt reißenden Absatz finden. Spätestens die 1972 bei Philips erschienene LP Sieben Lieder macht Wader zu einer Art Popstar. »Heute hier, morgen dort« wird zu einem geflügelten Wort und eröffnet fortan jedes Wader-Konzert.

Heute hier, morgen dort, bin kaum da, muss ich fort

Hab mich niemals deswegen beklagt

Hab es selbst so gewählt, nie die Jahre gezählt

Nie nach Gestern und Morgen gefragt

 

Manchmal träume ich schwer und dann denk ich es wär

Zeit zu bleiben und nun was ganz andres zu tun

So vergeht Jahr um Jahr und es ist mir längst klar

Dass nichts bleibt, dass nichts bleibt, wie es war

Wie der Text zeigt, ist ein Schlüssel zu Waders Erfolg sicherlich seine Bodenständigkeit. Anders als der politische Intellektuelle Franz-Josef Degenhardt oder der zunächst in Frankreich reüssierende Chansonnier Reinhard Mey, anders auch als der Dissident und Großkünstler Wolf Biermann, verfügt Wader über keine Herkunft oder Ausbildung, die sich inszenatorisch nutzen ließe. Im Gegenteil: seine Statur, Haarfarbe und kräftige Stimme, der damals populäre ›Gammler-Look‹ und die vordergründige Einfachheit der Texte verleihen dem jungen Hannes Wader eine Aura der Nahbarkeit, welche er, ob bewusst oder unbewusst, sei dahingestellt, für sich nutzt.

Obwohl er politisch eindeutig links steht und Teil der Gegenkultur ist, vertritt Wader in dieser Frühphase noch kaum dezidiert politische Positionen. Seine Lieder richten sich vielmehr gegen die Selbstwidersprüche der westdeutschen Wohlstandsgesellschaft und gehen nicht selten von persönlichen Beobachtungen aus. Eine gewisse Naivität lässt sich nicht leugnen, wenn auch nur bedingt in künstlerischer Hinsicht. Wader vermietet seine frisch bezogene Wohnung in Hamburg an eine gewisse „Hella Utesch“ unter, die sich später als Gudrun Ensslin herausstellen wird und in dem Appartement Schusswaffen und Sprengstoff testet. Diese Arglosigkeit beschert dem jungen Sänger jahrelange Über­wachung durch den Verfassungs­schutz.

In der zweiten Hälfte der 70er Jahre nimmt Wader in kurzer Folge eine ganze Reihe von Schallplatten mit fremden, zumeist der Literaturgeschichte entnommenen Texten auf: Hannes Wader  Volkssänger, Plattdeutsche Lieder, Hannes Wader singt Arbeiterlieder und Hannes Wader singt  Shanties. Prinzipiell funktionieren diese Alben wie diejenigen von Zupfgeigen­hansel, Hein & Oss oder Liederjan, das heißt, es werden volkstümliche Lieder neu arrangiert oder für historische Texte, etwa von Klaus Groth, neue Musiken geschrieben. Zumindest für sein Album mit plattdeutschen Liedern bekommt der ja ortsfremde Wader Ärger von den Einheimischen. Der ebenfalls von Knut Kiesewetter entdeckte und geförderte Mundartdichter Fiede Kay wird in Waders Autobiografie Trotz alledem mit den Worten zitiert:

Diene plattdüütsche Platte, wetste wat dat för mich is? Dat is Müll, nix als Müll! Du kanns ja ni mol richti’ plattdütsch schnacken.

Hannes Wader: Trotz alledem. Mein Leben. München 2019, S. 427.

Unabhängig von diesem unbestechlichen Urteil ist es interessant, von den finanziell sehr erfolgreichen Veröffentlichungen dieser Jahre zurück auf die ersten Alben zu schauen. Denn der Rückgriff auf historische Textbestände deutet sich bereits paratextuell an. Auf dem Cover seines Debüts trägt Wader Musketierbart und Schlapphut, auf dem zweiten Album dann Fransenhemd und Stulpenstiefel. Der Titelsong der 1974 erscheinenden LP Der Rattenfänger spielt explizit »vor tausend und einem Jahr«, so dass es zu den Volksliedern und plattdeutschen Liedern kein weiter Weg mehr ist. Wader gibt hier dem Erfolg seiner eigenen Inszenierungs­weise nach – und gewiss auch dem Zeitgeist. Denn das Spiel mit frühneuzeit­lichen Klischees haben vor Wader bereits Peter Rohland, Schobert Schulz & Lothar »Black« Lechleiter betrieben, die wie er der Berliner Liedermacher-Szene entstammen. Wader geht nur einen Schritt weiter, wenn er die ästhetische Konzeption quasi auf seine Biografie ausweitet und nicht nur plattdeutsche Lieder singt, sondern sich 1973 eine Mühle in Dithmarschen und ein Pferd kauft und damit über den Deich reitet wie Weiland der Schimmelreiter. Waders bereits zitierte Autobiografie Trotz alledem ist auch in dieser Hinsicht sehr reflektiert.

Dank seines Erfolgs verfügt Wader über die Mittel, die 1973 erworbene alte Windmühle »Fortuna« renovieren zu lassen und sukzessive um Nebengebäude zu ergänzen. Das Gelände um die Mühle in Struckum wird in den folgenden Jahren zu einem Treffpunkt der deutschen wie internationalen Folk-Szene. Unter anderem entstehen hier die beiden Alben der Folk Friends (FF 1979/81),  zu denen neben Wader auch Derroll Adams, Alex Campbell, Finbar Furey, Wizz Jones und Werner Lämmerhirt gehören. Wie abgeschlossen die damalige Szene ist, verdeutlicht eine Frage Ralf Krämers, ob Wader Kontakt zu Rio Reiser und dessen Band Ton Steine Scherben hatte, »deren Fresenhagener Hof eine gute halbe Stunde von Struckum entfernt liegt«. Ja, antwortet Wader,

aber wir haben vollkommen unterschiedliche Leben gelebt. Rio und ich sind uns später erst wieder begegnet. Zum Beispiel in der Friedensbewegung. Bei ›Künstler für den Frieden‹, wo Rio auch aktiv war. Ansonsten war ich einmal auf seinem Hof in Fresenhagen und sie waren auch mal bei mir. Wir waren uns sympathisch, aber darüber hinaus machten die Scherben Rockmusik und ich war für die ein Folkie. Von daher gab es wenig Berührungspunkte.

Ralf Krämer: »Hannes Wader. Ich hatte konkrete Gründe, Mick Jagger in den Arsch zu treten.« In: planet-interview.de vom 01. Januar 2004.

Es deuten sich in dieser Aussage zwei Entwicklungen an, die das Idyll mittelbar stören: Zum einen sind dem »Folkie« Wader die Niederungen der Ökonomie fremd und er verschuldet sich zunehmend. Zum anderen schlägt er einen anderen Weg als Rio Reiser ein, der nach den Scherben Karriere als Popsänger macht. Wader tritt in die DKP ein und wird, wohl weil man es als Bestätigung seiner vermeintlichen RAF-Verstrickung wahrnimmt, fortan vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk gemieden.

Dabei ist Hannes Wader, trotz seiner Parteimitgliedschaft, eigener Aussage nach kein politischer Künstler. Seine DKP-Mitgliedschaft reflektiert er, wie viele andere Episoden seiner Biografie, in großer Offenheit:

Das war lebensrettend für mich. Einerseits wurde ich verfolgt und boykottiert, andererseits verkauften sich meine Platten plötzlich wie wahnsinnig, und ich trat in der Berliner Philharmonie auf. Das hat mich innerlich zerrissen. Ich war berühmt, allein und hatte alle Freiheiten – und das bekam mir nicht. Ich dachte, wer auf der Bühne steht, ist automatisch eine politische Figur. Weil ich mich irgendwo dran halten wollte, las ich das Kommunistische Manifest von Marx und Engels. Das hat mich umgehauen. Tut es heute noch.

Sven Michaelsen, Michael Ebert: »Politik ist für mich Strafarbeit.« Interview mit Hannes Wader. In: Süddeutsche Zeitung Magazin 5 (2015).

Wader bleibt gut fünfzehn Jahre Mitglied der DKP. Als 1990 der Ostblock implodiert, beendet auch Wader sein parteipolitisches Engagement. Diese geistige Wende deutet sich bereits in dem weitgehend apolitischen Album Nach Hamburg (Mercury 1989) an. Viel eher als politische Agitationen stehen Werte wie moralische Integrität, Bodenständigkeit, Authentizi­tät im Zentrum von Waders Kunst. Eine tiefer gehende Auseinandersetzung mit der Tagespolitik oder eine theoretische Durchdringung der Verhältnisse wie sie etwa Franz Josef Degenhardt nebenan in Quickborn leistet, sind Waders Sache auch später nicht.

1998 verkauft Wader die Mühle in Struckum und zieht in den Kreis Steinburg. 2008 dann endet nach 35 Jahren seine Zeit in Schleswig-Holstein, als Wader mit seiner Frau nach Kassel zieht. Die späten Wander- oder besser Tourneejahre sind Gegenstand von Rudi Gauls Doku­mentation Wader Wecker Vater Land (D 2011). Seit der Trennung von seiner Frau 2021 lebt Wader wieder in der Nähe seiner Geburtsstadt Bielefeld. Denn nichts bleibt, wie es war.

14.03.23 Ole Petras

ANMERKUNGEN

1 Vgl. www.hanneswader.de/kurzbiographie (letzter Zugriff 3. Januar 2022).

2 Ebd.