Roswitha Quadflieg

Quadflieg, Roswitha

Bücher schreiben und gestalten

Geboren in Zürich am 03. November 1949

Sie ist in erster Linie als Schriftstellerin bekannt, doch sie hat in ihrer Schenefelder Werkstatt dreißig Jahre lang herausragende Bücher gestaltet, die unter Bibliophilen bis heute einen hervorragenden Ruf genießen: Roswitha Quadflieg. Doch das ist nicht alles, denn als Illustratorin konnte sie Michael Endes Kinderbuchklassiker Die unendliche Geschichte zu einem eindrücklichen Erlebnis machen. „Wer sich mit ihrem außergewöhnlichen Oeuvre beschäftigt, es liest, betrachtet, durchblättert, der zollt der hochgewachsenen Frau überschwänglichen Respekt.“ #1

Roswitha Quadflieg wurde am 3. November 1949 in Zürich geboren; ihr Vater Will und ihr Bruder Christian sind beide als Schauspieler bekannt geworden. Sie wuchs in Hamburg auf und studierte dort Malerei, Grafik und Illustration an der damaligen Fachhochschule für Gestaltung; 1973 erfolgte ihr Abschluss als Diplom-Designerin. Ein Studium der Typographie an der Hochschule für bildende Künste schloss sich bis 1974 an. „Ich machte weiter, ließ mich an kursfreien Tagen morgens unrechtmäßig vom Hausmeister in den Werkstätten einschließen und abends entlassen und bearbeitete, fern von allen Scheinen und Dozenten, Lithosteine, Holz, Linoleum und Zink. Und ich begann, Literatur zu entdecken, Literatur abzuschmecken.“ #2 Schon 1973 gründete sie die Raamin-Presse, indem sie in einem Haus in Schenefeld – Kreis Pinneberg – Setzkästen und zwei Druckmaschinen aufstellte. „Umgeben von einem mehr und mehr verwildernden Garten setzte und druckte ich hier 30 Jahre lang Texte der Weltliteratur mit eigenen Bildern in unterschiedlichen graphischen Techniken.“ #3 Ihre erste Publikation ist Frau Grau von Ror Wolf, die achtundzwanzigste und letzte Alles kommt auf so viel an (2003) von Samuel Beckett, das bis dahin unveröffentlichte Hamburg-Kapitel aus dessen German Diaries. #4 Dazwischen liegen in Inhalt wie äußerer Gestalt höchst unterschiedliche Pressendrucke zu Autoren wie Friedrich Hölderlin, Franz Kafka, Theodor Storm und Georg Trakl, alle von Roswitha Quadflieg gestaltet, gedruckt sowie mit Originalgraphiken versehen; darunter Holzschnitte, Holzstiche und Radierungen. Die kleinen nummerierten und signierten Auflagen machen sie zu gesuchten Sammlerstücken. Dabei ging es Quadflieg nie um diesen Aspekt, sondern um kreative Selbstbestimmung. Sie hat die Raamin-Presse gegründet, „um Bücher machen zu können, deren Gestaltung ich selber verantworte, von der Auswahl des Papiers, über die die Typographie und die Bilder bis hin zum Einband. Es ist also nicht meine Absicht, Inhalte in kleinster Auflage zu verbreiten oder um jeden Preis ‚edles Material‘ zu verwenden, wie manche der klassischen Pressen in ihren Luxusausgaben. Mich interessiert das Buch, das Sichtbarmachen von Inhalten in so oder so gestalteter Form.“ #5

2003 löste Quadflieg ihre Bücherwerkstatt auf, um sich auf ihren zweiten Beruf der Schriftstellerin zu konzentrieren, den sie seit 1985 ausübt; in diesem Jahr erschien ihr Debüt Der Tod meines Bruders. Nachfolgend entstanden „Essays, Kurzgeschichten, Theaterstücke, Hörspiele und Drehbücher“; #6 ihr Roman Bis dann (1994) wurde unter dem Titel Eine Herzensangelegenheit verfilmt (1997; Regie: Gert Steinheimer). Anlässlich von Der Glückliche. Roman zu zehn Stimmen (2009) schreibt die Süddeutsche Zeitung, die „Lebensläufe der anderen“ wären Quadfliegs Spezialthema und sie würde sich stets auf fremde Biografien einstellen: „Ob sie aus dem Inneren einer Figur erzählt, die an einem markanten Punkt ihres Lebens dessen Verfehltheit erkennen muss, wie in Fabels Veränderung und Die Braut im Park, oder ob sie nach dem Tod einer realen Person aus Archivmaterial deren Biographie rekonstruiert, wie in Requiem für Jakob, 2005 in Enzensbergers Anderer Bibliothek erschienen: Immer bleibt erkennbar, dass sie das eigene Leben gleichsam in Klammern setzt, um ganz der Logik eines anderen zu folgen.“ #7 So beschäftigte sich die Autorin 2016 in Das kurze Leben des Giuseppe M. mit einem Fall von Schlägertum in der U-Bahn: „Die Schriftstellerin Roswitha Quadflieg, bekannt für ihre konzise und ohne Tremolo nachfragende, sondierende Prosa, hat jetzt Das kurze Leben des Giuseppe M. rekonstruiert. Entstanden ist eine Collage aus den Erinnerungen der Freunde und Freundinnen, der Eltern und Geschwister, der Kollegen und Lehrer. Keine künstlich poetisierende Anverwandlungsanmaßung befleckt diese Buchseiten, die auch in keiner Zeile hagiografisch sind: Der freundlich-schusselige Giuseppe M., Altruist und Chaot, kampfsportbegeisterter Harmoniesucher, wird vom juristischen ‚Fall mit Todesfolge‘ wieder zu einem Menschen.“ #8Frei (2018/2022) hat Quadflieg zusammen mit ihrem damaligen Lebensgefährten und jetzigen Ehemann Burkhard Veigel geschrieben. Die „rasant erzählte Fluchthelfer-Geschichte“ basiert auf wahren Ereignissen und spiegelt nicht nur die deutsche Teilung wider, sondern erzählt auch von einer „Amour fou“: „Die in 20 Tagesetappen erzählte Liebesgeschichte gibt dem Roman eine klare, schnelle Struktur und Tempo. So kann der gut siebzigjährige pensionierte Orthopäde Janus Emmeran mit seiner kolossalen Fluchthelfer-Vergangenheit eine Jenseits-der-Vierzig-Jährige und sehr selbstbewusste Einzelkämpferin für die Literatur aus dem Osten kennen- und lieben lernen. Zwei Menschen im Hormonrausch – eine sehr zeitgemäße Berliner Geschichte.“ #9 2022 erscheint von Quadflieg Ihr wart doch meine Feinde: „Eine Informantin in Diensten der Staatssicherheit der DDR wird zu Grabe getragen und was dann folgt, ist eine Erzählung in bester dürrenmattscher Diktion: Eine Anhörung unterschiedlichster Meinungen und Kommentare. Und am Ende passiert ein Mord.“ #10

Als Illustratorin hat Roswitha Quadflieg in anderen Verlagen u.a. Titel von Peter Marginter, Walter Kempowski und Theodor Storm ausgestattet, doch ihre bekannteste Arbeit ist Die unendliche Geschichte von Michael Ende: Da der Roman „auf zwei Ebenen spielt, kam ich auf die Idee, den Text in zwei Farben drucken zu lassen, die realen Ebene in Rot, ‚Phantasien‘ in Grün. Michael Ende war sofort begeistert, und gemeinsam schafften wir es, den Verleger von dieser ungewöhnlichen Typographie zu überzeugen. Diese beiden Farben wurden der Grundton des gesamten Buches.“ #11

Quadfliegs Werk ist mehrfach ausgezeichnet worden . Zudem wurden ihr Einzelausstellungen u.a. in Berlin, Den Haag und Zürich gewidmet. Die von ihr 2003 in der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg eingerichtete Ausstellung Beckett in Hamburg 1936 kann online betrachtet werden.

Seit 2012 lebt Roswitha Quadflieg in Berlin.

3.3.2022 Kai U. Jürgens

ANMERKUNGEN

1  Hella Kemper: Nächtelang zwischen Spuk und Realität in der „Hexenküche“. In: Die Welt, 23. November 2003. Zit. n. https://www.welt.de/print-wams/article103166/Naechtelang-zwischen-Spuk-und-Realitaet-in-der-Hexenkueche.html.

2 Roswitha Quadflieg: 20 Jahre Raamin-Presse 1973–1993. Einundzwanzig Büchergeschichten und eine halbe. Ein Almanach. Hamburg 1993, S. 11.

3 Roswitha Quadflieg: Mehr über mich. Zit. n. https://www.roswithaquadflieg.de/_files/ugd/39ffa1_2da5b05619674390be936a4803bf3a49.pdf.

4 Eine Übersicht zur Raamin-Presse und Quadfliegs Ausstellungen findet sich hier: https://www.roswithaquadflieg.de/_files/ugd/39ffa1_96bdab2c215a4e9285b84835e322c81d.pdf.

5 Roswitha Quadflieg: Traumalphabet. Eine Bibliogenie. Zürich 1988, S. 12.

6 Roswitha Quadflieg: Mehr über mich, wie Anm. 3.

7 Meike Fessmann: Warum musste Dr. W. sterben? In: Süddeutsche Zeitung vom 19. Februar 2010, zit. n. https://www.roswithaquadflieg.de/_files/ugd/54eced_c6c4ae7453e4406eb113315116e4e7cb.pdf.

8 Marko Martin: Die traurige Realität von Gewalt und milder Strafe. In: Die Welt, 12. März 2016. Zit. n. https://www.welt.de/kultur/literarischewelt/article153226621/Die-traurige-Realitaet-von-Gewalt-und-milder-Strafe.html.

9 Werner van Bebber: Leben am Limit. Adrenalin im geteilten Berlin: Eine rasant erzählte Fluchthelfer-Geschichte. In: Der Tagesspiegel, 25. September 2018. Zit. n. https://www.roswithaquadflieg.de/_files/ugd/39ffa1_f8a8f4f9076a49efb03d486c8e1f4cc0.pdf.

10 Roswitha Quadflieg: Ihr wart doch meine Feinde, Leipzig 2022, Klappentext.

11 Roswitha Quadflieg: „Die unendliche Geschichte“. Zit. n. https://www.roswithaquadflieg.de/_files/ugd/39ffa1_de1b26f0b03642a99b095d01cd067ae9.pdf.