Anna Ovena Hoyers
Hoyer(s), Anna Ovena, auch: Anna Owena Hoijer(s). Geboren als Anna/Anke Ovens.
Eigensinnige Dichterin und religiöse Polemikerin
Geboren in Koldenbüttel 1584
Gestorben auf Gut Sittwick bei Stockholm am 27. November 1655
Mit der Barockdichterin Anna Ovena Hoyers ist eine ganz eigenständige Stimme der schleswig-holsteinischen Literatur zu entdecken, die mit ihrer nordfriesischen Heimat trotz späterer Auswanderung nach Schweden schon durch die niederdeutsche Sprache eng verbunden war. Sie wurde in Koldenbüttel in eine extrem wohlhabende Gutsbesitzerfamilie geboren, wuchs aber bei ihrem Onkel im nahegelegenen Witzwort auf, da ihre Eltern früh gestorben waren. Obwohl selbst nicht adelig, war sie mit dem herzoglichen Haus Schleswig-Holstein-Gottorf eng verbunden – mit der etwa gleichaltrigen Herzogin Augusta von Dänemark, die den Herzog im Alter von 15 Jahren geheiratet hatte, war sie befreundet. Ein ähnliches Schicksal stand auch Hoyers bevor: Ebenfalls mit 15 wurde sie mit dem Staller (einem hohen Verwaltungsbeamten) von Eiderstedt, Hermann Hoyer, verheiratet; bis 1621 gebar sie neun Kinder. Die Hoyers lebten im Schloss in Tönning sowie auf dem Familiensitz Hoyerswort (heute Teil der Gemeinde Oldenswort), bis Hermann 1622 starb und Annas privilegierte Welt zusammenbrach: Aufgrund von Erbstreitigkeiten verlor sie ihr gesamtes Vermögen und musste Hoyerswort schließlich 1632 verkaufen. In dieser schwierigen Lage wandte sie sich zunehmend der Religion zu, wobei sie es nicht mit der im Land verankerten lutherischen Orthodoxie hielt, sondern Sympathien für die in dieser Zeit aufkommenden mystischen Strömungen zeigte. Das alleine war in einer Zeit der extrem verhärteten religiösen Fronten skandalös, und als Hoyers überdies kurz nach dem Tod ihres Mannes dem Laienprediger Nikolaus Teting Obdach auf Hoyerswort gewährte, führte das zu ihrer gesellschaftlichen Isolation. Vermutlich 1632 siedelte sie deswegen nach Schweden über, von wo aus sie sich weiterhin mit Schriften auf Deutsch in die theologischen Debatten in ihrem Heimatland einmischte. Bei einem Besuch in der alten Heimat erlebte sie 1634 die verheerende Burchardiflut, die sie in zwei zu Lebzeiten nicht gedruckten Gedichten theologisch ausdeutet:
Nun woll an, Ihr Spötter und Verächter,
kompt seht waß Gott gethan,
geht im Eyderstedschen Lande,
in Dithmarschen vnd im Strande,
Rundt umb herr, an andern örthen mehr,
Da Gott alß ein gerechter,
gestraffet hat so schwer.
1650 erschien in Amsterdam eine große Sammlung ihrer Werke; sie starb 1655.
Als Schriftstellerin war Hoyers weitgehend von der literarischen Szene ihrer Zeit isoliert, was mit ihrer geografischen Position am Rande des deutschen Sprachraums und ihrer abweichlerischen religiösen Haltung, aber natürlich auch mit ihrem Geschlecht zu tun hatte. In der Einleitung zu ihrem erfolgreichsten Werk, dem Gespräch eines Kindes mit seiner Mutter, gibt sie sich selbstbewusst als Pionierin weiblichen Schreibens zu erkennen und geht gegen die damit verbundenen Vorurteile an:
DIes Buch durch eine Fraw beschribn/
Wird man gwiß darumb mehr beliebn/
Weiln dergleichen nie gesehen/
Von Frawn so geistreich ausgehen:
Man wolls nur lesen und betrachtn/
Vnd auff der Spötter Red nicht achtn/
Die da sagen: es sey nicht fein/
Das ein Fraw ein Scribent will sein
[…]
GOtt woll das sich niemand wol schämn
Von Frawn guth Exempel zu nehmn
Wer andere Barockliteratur kennt, wird merken, dass Hoyers’ Stil anders ist als der ihrer berühmten Zeitgenossen Martin Opitz oder Andreas Gryphius: Ihre paargereimten Knüttelverse scheinen eher aus dem 16. Jahrhundert zu kommen und vermeiden barocke Kompliziertheit und zur Schau gestellte Bildung und Scharfsinnigkeit – auch das trennt sie von der sonstigen literarischen Welt des 17. Jahrhunderts. Die Position als Außenseiterin, die in scheinbar anspruchslosen Worten schlicht und direkt die „Einfältige Warheit“ (so der Titel eines ihrer Schriften) ausspricht, passt hervorragend zu Hoyers’ inhaltlicher Stoßrichtung: Ihr Hauptgegner sind die Priester der institutionalisierten Kirchen, die von der arglosen Landbevölkerung in Ehren gehalten werden und es sich auf Kosten der Armen gut gehen lassen. Gegen sie und ihre vermeintliche Bildung schreibt sie unermüdlich an:
Meint ihr daß das recht weißheit sey/
Wann man viel sprachen lernet frey/
Grichsch und Latein kann schwatzen?
Nein lieben Leut/ das fehlet weit/
In sprachen steckt nicht die weißheit/
[…]
Die weißheit Gottes aber lest
Sich finden nicht im sünden nest/
Steckt nicht in klugen worten/
Wenns darin zuerlangen wer’
Könt man durch der Welt-weisen lehr
Mit geldt leicht dazu kommen:
Nein/nein/ die sach ist nicht so klar/
Sie ist nicht allen offenbar/
Wohnt allein bei den frommen.
In ihrem niederdeutschen Stück De Denische Dörp-Pape wird diese Kritik den Priestern selbst in den Mund gelegt und damit besonders effektvoll – die Geistlichen geben selbst freimütig zu, sich auf Kosten der leichtgläubigen Bauern und Bäuerinnen ein angenehmes Leben zu machen:
Unse Thohörers sint sin schlicht/
Verstahn sich up de saken nicht/
De meist’ hup kann nicht lesen.
All wo wy ’t maken/ so ist recht/
Se achten uns vör Gades Knecht
[…].
Dats wahr/ wy hebben gude dage/
Leven in rouw und ahne klage/
Beter alß de Soldaten.
Dat Offer dricht uns grot gewinn/
Unse schwatzen bringt Järlich in/
Mehr als der Advocaten.
Angesichts solcher Verderbtheit bleibt der Autorin dann nur noch eine wenig subtile Zusammenfassung:
Alle Solcke Papen Sint Apen.
De fast in eren sünden schlapen/
Vn nich recht handlen by den Schapen.
Van ehnen iß nichts guds to hapen.
Bei derart unverblümten Worten wird leicht übersehen, dass Hoyers durchaus formbewusst und verspielt zur Sache geht: Sie liebt es, wie im ersten oben zitierten Vers die Anfangsbuchstaben der Worte symmetrisch anzuordnen, um dann ein Wortkreuz daraus zu bauen – diese typographischen Spielereien können beeindruckende Ausmaße annehmen (siehe die Abbildung rechts). Und auch sonst ist das Bild der erbittert und mit schlichten Versen gegen die Kirche kämpfenden Einzelgängerin etwas korrekturbedürftig, weil nur ein Teil ihrer Werke überhaupt gedruckt wurde: „In dem Stockholmer Manuskript ihrer unveröffentlichten Werke erscheint H. als Dichterin geistlicher und weltlicher Lieder, die man zu den bedeutenden deutschsprachigen Liedern des 17. Jahrhunderts rechnen muß“, wie Johanna Goedeking-Fries feststellt. #1
In der Literaturgeschichte musste Hoyers lange mit sexistischen Vorurteilen kämpfen: Viele (männliche) Literarhistoriker waren insbesondere von ihrem vermeintlich unweiblichen Stil irritiert, und nicht ohne Grund war das Gespräch eines Kindes mit seiner Mutter, das noch am ehesten eine klassisch weibliche Position einnimmt, lange ihr bekanntestes Werk. Erich Schmidt empfindet 1881 in etwas herablassender Weise „Mitgefühl bei aller Unweiblichkeit, Eckigkeit, Verranntheit, Welt- und Bildungsfeindlichkeit“, kommt aber auch zu respektvolleren Aussagen: „Nie wol hat eine Frau so ungestüm polemisirt, wie diese herbe Kämpferin.“ #2 Erst in jüngerer Zeit wird Hoyers gerade wegen ihrer Härte und Unverblümtheit als ernstzunehmende Autorin eigenen Rechts wertgeschätzt, und 1986 wurde ihre Amsterdamer Werkausgabe nach fast 350 Jahren neu aufgelegt. #3
13.6.2022 Jan Behrs
ANMERKUNGEN
1 Johanna Goedeking-Fries: Art. „Hoyers, Anna Ovena“. In: Neue Deutsche Biographie 9 (1972), S. 669-670; online unter https://www.deutsche-biographie.de/pnd122335430.html#ndbcontent
2 Erich Schmidt: Art. „Hoyers, Anna Ovena“. In: Allgemeine Deutsche Biographie 13 (1881), S. 216–217, online unter https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Hoyers,_Anna_Ovena&oldid=-
3 Anna Ovena Hoyers: Geistliche und Weltliche Poemata. Neudruck der Ausgabe Amsterdam 1650, hrsg. und mit einem Nachwort versehen von Barbara Becker-Cantarino. Tübingen: Niemeyer 1986.
Veranstaltungen
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ORTE
WERKE
• Gespräch eines Kindes mit seiner Mutter. Von dem Wege zu wahrer Gottseligkeit. 1628.
• Ein Schreiben über Meer gesand an die Gemeine in Engeland auß einer alten Frawen handt die ungenandt/ Gott ist bekandt. 1649.
• Annae Ovenae Hoijers Geistliche und Weltliche Poemata. Amsteldam: Elzevier 1650. Online unter http://diglib.hab.de/drucke/1271-6-theol-2s/start.htm