Berit Glanz

Glanz, Berit

Geboren in Preetz 1982

Berit Glanz wurde 1982 in Preetz geboren. Sie studierte Theaterwissenschaften und Skandinavistik in München, Stockholm und Reykjavík und lebte längere Zeit in Island. Seit 2010 ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Fennistik und Skandinavistik der Universität Greifswald. Neben ihrer literarischen und wissenschaftlichen Tätigkeit ist sie Literaturkritikerin für diverse Zeitungen und Redaktionsmitglied von 54books. Darüber hinaus ist sie auf Twitter aktiv und schreibt auf Substack den wöchentlichen Newsletter Phoneurie – auf beiden Plattformen zeigt sie sich als scharfsinnige und unterhaltsame Beobachterin, die sich für den virtuellen Raum ebenso interessiert wie für den realen und besonders die Grenzbereiche und Überschneidungen zwischen beiden in den Blick nimmt.

In Glanz‘ erstem Roman Pixeltänzer finden wir eine ähnliche Vermischung zwischen der digitalen und der analogen Sphäre. Erzählt wird die Geschichte der Softwaretesterin Beta, die recht komfortabel im Berliner Tech-Startup-Milieu lebt und durch eine neue App unverhofft in die Geschichte der Kunst des frühen 20. Jahrhunderts gezogen wird: Ein per Algorithmus vermitteltes Telefongespräch mit einem Fremden führt Beta auf die Spur der avantgardistischen Schauspielerin und Maskengestalterin Lavinia Schulz, deren Geschichte der Roman dann in meta-fiktionaler Brechung ebenfalls erzählt. Der Text wird dadurch aufregend, dass hier zwei scheinbar unvereinbare Welten zusammentreffen. Einerseits die der radikal gegenwärtigen Hauptfigur, die sich für analoge Dinge nur eingeschränkt interessiert: „Letztlich führen einem Sammlungen doch nur die eigene Vergänglichkeit vor Augen.“#1 Andererseits die der radikalen Künstlerin der Vergangenheit, über die (auch wegen der tendenziell sexistischen Perspektive der Kunstgeschichte) kaum etwas im Netz zu finden ist und die der Nachwelt nur wegen einiger vergessener Kisten in der Abstellkammer eines Museums erhalten geblieben ist. Hier wendet sich der Roman ganz der schmutzigen Sphäre des Alten und Analogen zu:

Auf dem Dachboden standen, im Halbdunkel hinter einem Pfeiler verborgen, drei Holzkisten, von denen eine an der Seite aufgebrochen war. Aus dem Loch quollen einige Stofffetzen, das meiste war beschichtet mit dem Taubendreck und Staub von Jahrzehnten.

Berit Glanz: Pixeltänzer. Roman. Frankfurt am Main: Schöffling & Co. 2019, S. 244.

Beide Welten werden von Glanz in einer auch formal innovativen Weise zusammengeführt, die den Beifall der Kritik und des Publikums gefunden hat: 2017 erhielt sie für ein Kapitel des unfertigen Romans den Literaturpreis und den Publikumspreis des Landes Mecklenburg-Vorpommern, 2020 den Friedrich-Hebbel-Preis, und das Buch wurde überwiegend enthusiastisch besprochen.

In ihrem Lyrikband Partikel greift Glanz einen Aspekt ihres Romans, nämlich die Wiederentdeckung eher randständiger Figuren der Kunstgeschichte, in anderer Form auf. Die Rolle von Lavinia Schulz übernimmt in diesem Buch der Maler Alfred Partikel, der, als Ostpreuße buchstäblich aus der Peripherie Deutschlands kommend, 1945 nach seiner Flucht nach Ahrenshoop beim Pilzesuchen verschwand:

Keine Knochen im Farn
Keine Kleidung zwischen Zweigen
Keine Fährten im Moos

Aufgelöst, verweht
Verschwunden, verschollen

Berit Glanz: VI. In: Partikel. Gedichte. Leipzig: Reinicke & Voß 2020, S. 38.

Gleichzeitig wird mit der Bedeutung des Familiennamens gespielt und die Auflösung von Partikeln in eher chemischem Vokabular als Dispersion verstanden:

Zwei Stoffe ineinander verteilt
Partikel in einem Dispersionsmedium

Festkörper in Lösung

Berit Glanz: Dispersionsstudie A. In: Partikel. Gedichte. Leipzig: Reinicke & Voß 2020, S. 12.

Nicht zuletzt ist Partikel aber auch ein Gedichtband über die Ostsee, deren Wellengang nicht nur im konventionellen Sinn als Naturschönheit, sondern ebenfalls als Dispersion aufgefasst werden kann:

Der Schaum der Brandungszone
mit fein verteilter Luft
aufgeschlagenes Wasser

Berit Glanz: Dispersionsstudie G. In: Partikel. Gedichte. Leipzig: Reinicke & Voß 2020, S. 41.

Auch wenn entsprechend der Anlage des Bandes hier wohl eher an die mit Alfred Partikel verbundenen Ostseegegenden vom Kurischen Haff bis zum Darß zu denken ist, wird auf diese Weise auch eine Verbindung zum Geburtsort der Dichterin unweit der Kieler Förde hergestellt.

Der zweite Roman von Berit Glanz, Automaton, erscheint am 24. Februar 2022.

25.2.2021 Jan Behrs

ANMERKUNGEN

1 Berit Glanz: Pixeltänzer. Roman. Frankfurt am Main: Schöffling & Co. 2019, S. 17.