Kirsten Boie

Boie, Kirsten

Vielseitige und produktive Kinderbuchautorin

Geboren in Hamburg am 19. März 1950

Wer kennt sie nicht – die Kinderbücher von Kirsten Boie? Seit 1985 sind über einhundert Titel erschienen; farbenprächtig erzählte Geschichten, mit denen sich die Autorin an alle Altersgruppen wendet. Tatsächlich ist Boie seit langem „eine der renommiertesten Kinderbuchautorinnen“ hierzulande, wobei sie die Kritik „als Nachfolgerin von Astrid Lindgren“ #1 feiert. Weniger bekannt ist hingegen, dass sie auch Fernsehdrehbücher schreibt und sich in Reden und Aufsätzen zum Thema Kinderliteratur äußert.

Kirsten Boie wird am 19. März 1950 in Hamburg geboren, „ihr Vater war bei der Sparkasse, die Mutter, wie damals üblich, zu Hause. Beide Eltern kümmerten sich viel um die Tochter und den deutlich jüngeren Bruder.“ #2 Sie studiert in Hamburg (und 1970/71 in Southampton) Germanistik, Anglistik und Philosophie; 1978 veröffentlicht sie ihre Doktorarbeit zur Prosa von Bertolt Brecht. Den nachfolgend eingeschlagenen Beruf als Lehrerin muss sie „nach der Adoption zweier Kinder 1983 und 1985 aufgeben“. #3 Ihr kurz darauf veröffentlichtes Debüt Paule ist ein Glücksgriff (1985), das die Geschichte eines schwarzen Adoptivkinds erzählt, wird ein großer Erfolg und u.a. für den Deutschen Jugendbuchpreis nominiert. #5 Bekannt ist Boie nicht zuletzt wegen ihrer Buchreihen, darunter King-Kong (ab 1989–2011; Illustrationen: Silke Brix), Juli (1992–1999; Illustrationen: Jutta Bauer) oder die Geschichten aus dem Möwenweg (ab 2000; Illustrationen: Katrin Engelking). Die Texte sind oft auch in Audiofassungen erhältlich, was ihrer Verbreitung zugute kommt.

Boies Werk ist vielseitig: „Direkt und ehrlich“ erzählen die Bücher von der Lebenswelt der Kinder und würden „sowohl durch eingängige Handlung und liebevolle Gestaltung als auch durch Anspruch überzeugen“. #5 Die Bandbreite ist groß: Nicht Chicago. Nicht hier (1999) wendet sich an Zwölfjährige und „ist ein beklemmendes Buch über Mobbing in der Schule“, das nicht nur durch die „erschreckend realistisch geschilderte Handlung, sondern auch durch seinen anspruchsvollen Stil beeindruckt“. #6Ringel, Rangel, Rosen (2010) „thematisiert am Schicksal der jugendlichen Protagonistin Karin die Hamburger Sturmflut von 1962, verknüpft das Zeitgeschehen jedoch zur Vermittlung einer der mentalitätsprägenden Erfahrungen dieser Altersgruppe, dem Bewusstwerden über die deutschen Verbrechen und die Verwicklung der Elterngeneration in die Vorgänge während der NS-Diktatur. Aus der subjektiven Sicht der dreizehnjährigen Hauptfigur geschrieben, spielt Kirsten Boie gezielt mit historischen Leerstellen und animiert darüber zu einer aktiven Lektüre.“ #7 Der Jugendroman Dunkelnacht (2021) über das Verbrechen der „Penzberger Mordnacht“ vom 28. April 1945 gilt als „großer Wurf über ein sehr dunkles Kapitel der deutschen Geschichte“: „Ein fesselndes Stück Literatur, das Archiv-Recherche und Bericht mit Fiktion zu einer Novelle verwebt, die, wie man es sich wünscht, aber nicht immer bekommt in der Jugendliteratur, noch viel mehr Fragen, Schichten, Zusammenhänge hervorholt, als auf der Erzähloberfläche zu sehen ist.“ #8

Im Hinblick auf ihr mehrere Altersgruppen umspannendes Werk äußert Boie, nicht bewusst „nach Maß“ zu arbeiten, sondern intuitiv vorzugehen:

In der Regel ist es eher so, dass das Auftauchen eines Themas, manchmal (selten) auch schon gleich einer Geschichtenidee oder einer Figur von vornherein mit der unkonkreten Vorstellung, eher: das Gefühls von einer bestimmten Lesergruppe verknüpft ist. Ich sage also nicht: ‚Dieses Thema wäre etwas für sieben- oder achtjährige Kinder mit den folgenden Verständnismöglichkeiten. Wie muss also meine Geschichte aussehen, wie darf/sollte sie formal gestaltet sein, was ist sprachlich möglich?‘ Stattdessen ist mit dem Auftauchen erster Ideen bereits das intendierte Leseralter, der vermutete Entwicklungsstand, der Sprachstand dieser Gruppe verbunden. Beides kommt gemeinsam, im Paket sozusagen. Es geht nicht um eine bewusste Entscheidung. Und ich kann mich irren.

Und wenig später heißt es im Hinblick auf die Verwendung spezifischer stilistischer Mittel: „Es war eine spontane Entscheidung, die Sprache ist mir zugefallen; warum ich sie gewählt habe, kann ich nachträglich begründen, aber selten ging eine bewusste Entscheidung voraus.“ #9 Grundsätzlich wichtig ist Boie zum einen, „dass Literatur für Kinder immer auch Literatur sein sollte; zum anderen, dass darüber nicht vergessen wird, an wen sie sich richtet“, #10 dass es sich also um Literatur für Kinder handelt.

Kirsten Boies Werk ist in viele Sprachen übersetzt und mehrfach ausgezeichnet worden. Als wichtigste Anerkennung gilt der Autorin die Tatsache, dass sie dreimal für den Andersen Award vorgeschlagen wurde; „das ist die international wichtigste Auszeichnung für Kinderbuchautoren weltweit – quasi der ‚Nobelpreis‘ der Kinderliteratur“. #11 Von Boies zahlreichen Preisen seien genannt: Die Kalbacher Klapperschlange (1988), der Evangelische Buchpreis (2006), der Wildweibchenpreis (2008), der Große Preis der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendliteratur e. V. Volkach (2008), der Gustav-Heinemann-Friedenspreis für Kinder- und Jugendbücher (2011) und der Zürcher Kinderbuchpreis (2018). 2022 wurde sie für den Astrid Lindgren Memorial Award sowie für den IBBY-iRead Award nominiert. Boie wurde 2006 das Bundesverdienstkreuz und 2011 das Verdienstkreuz 1. Klasse der Bundesrepublik Deutschland verliehen. Sie ist seit 2019 Ehrenbürgerin der Freien und Hansestadt Hamburg.

Kirsten Boie war 2001/02 „Poet in Residence“ an der Universität Duisburg-Essen und hatte 2006/07 die Poetik-Professur an der Carl von Ossietzky-Universität Oldenburg inne. Nach ihr sind mehrere Schulen benannt, zum Beispiel seit 2020 eine Sprachheilschule in Freiburg. #12 2011 wurde Boies Kinderbuch Der kleine Ritter Trenk in Form einer siebenundzwanzigteiligen Zeichentrickserie umgesetzt, 2015-2017 folgten zwei Staffeln von Wir Kinder aus dem Möwenweg. Sie schrieb auch selbst viel fürs Fernsehen, zuletzt das Drehbuch für den 2021 ausgestrahlten Kurzspielfilm Paule und das Krippenspiel (mit Michael Demuth).

Ihr neuestes Werk, der Jugendroman Heul doch nicht, du lebst ja noch, ist im Januar 2022 erschienen. Er erzählt von den Schrecken der Naziherrschaft, genauer gesagt aus den ersten Tagen nach dem zweiten Weltkrieg in Hamburg.

Kirsten Boie lebt im Kreis Stormarn.

20.1.2022 Kai U. Jürgens

ANMERKUNGEN

1 Melanie Kronenberg: Boie, Kirsten. In: Killy-Literaturlexikon. Autoren und Werke des deutschsprachigen Kulturraumes, hg. v. Wilhelm Kühlmann, Bd. 2, Berlin 2008, S. 65.

2 Julia Schaaf: Wunder sind für alle da. Über die Autorin Kirsten Boie. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28. Oktober 2015. (https://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/menschen/ritter-trenk-von-autorin-kirsten-boie-kommt-ins-kino-13874619.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2)

3 Kronenberg: Boie, Kirsten. Wie Anm. 1.

4 Vgl. Gabriela Pichaničová: Kirsten Boie und ihr kinder- und jugendliterarisches Werk. Brünn 2008, S. 24. (https://silo.tips/download/kirsten-boie-und-ihr-kinder-und-jugendliterarisches-werk )

5 Kronenberg: Boie, Kirsten. Wie Anm. 1.

6 Ebd.

7 Norman Ächtler & Monika Rox-Helmer: Einleitung. In: Zwischen Schweigen und Schreiben. Interdisziplinäre Perspektiven auf zeitgeschichtliche Jugendromane von Kirsten Boie und Gina Mayer, hg. v. Norman Ächtler & Monika Rox-Helmer, Frankfurt am Main 2013, S. 7–12, hier S. 8.

8 Eva-Maria Nagel: Sie hatten geglaubt, der Krieg sei beendet. Der Jugendroman „Dunkelnacht“. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 15. April 2021. (https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/rezensionen/kinderbuch/kirsten-boies-jugendroman-dunkelnacht-17255362.html)

9 Kirsten Boie: Maßgeschneidert. Über die Herausforderung, Geschichten, Stoffe, Themen, Motive für LeserInnen einer jeweils bestimmten Altersgruppe zu erzählen. In: 1001 Buch, Heft 1/2018. Hier zit. n. dem PDF, S. 4. (https://www.kirsten-boie.de/wp-content/uploads/2020/11/4608-ma_geschneidert.pdf)

10 Kirsten Boie: Biografie. (https://www.kirsten-boie.de/biografie/)

11 Kirsten Boie: FAQ. (https://www.kirsten-boie.de/faq/#toggle-id-1)

12 Vgl. hierzu die Angaben in: Littera Borealis. Edition zur zeitgenössischen Literatur im Norden. Ausgabe 9: Kirsten Boie, hg. v. d. Sparkassenstiftung Schleswig-Holstein, Kiel 2010, S. 39.